Ilse Bartels © Archiv Bosch

Ilse Bartels: Einzige Konstanzer Verlegerin in der Nachkriegszeit

Ilse Bartels © Privat
Ilse Bartels © Privat

In „Konstanz literarisch“ ist Manfred Bosch der kulturellen Tradition der Stadt über fünf Jahrhunderte hinweg nachgegangen. seemoz porträtiert in lockerer Folge einige der dort vorgestellten Personen. Im Vordergrund stehen freiheitliche, demokratische und antifaschistische Traditionslinien im 19. und 20. Jahrhundert. Ilse Bartels war in der Nachkriegszeit Verlegerin eines schöngeistigen Verlags.

In der Wessenbergstraße 24, ehemals Modehaus Lohrer, residierte nach 1945 der Lingua-Verlag. Seine Gründerin Ilse Bartels (1903–1985), einzige Verlegerin im Konstanz der unmittelbaren Nachkriegszeit, stammte aus Bordenau bei Hannover und hatte nach einer kaufmännischen Lehre und einer Ausbildung zur rhythmischen Gymnastin als Sekretärin bei dem Schriftsteller Günter Weisenborn gearbeitet.

Kommunistin und Spanienkämpferin

Durch ihre Schwester Waltraut verh. Nicolas kam sie 1929 mit Ernst Nicolas in Verbindung, der als Ernst Ottwalt durch seine politischen Romane Deutschland erwache und Denn sie wissen was sie tun bekannt wurde. Ihm und Ilse Bartels diktierte Bertolt Brecht das Drehbuch zu Kuhle Wampe in die Maschine. Nach 1933 arbeitete Bartels für die illegale KPD und folgte 1935 Waltraut und Ernst Nicolas über Prag zunächst ins sowjetische Exil. 1937 schließlich beteiligte sie sich am Spanischen Bürgerkrieg und kehrte nach zwei Jahren im Pyrenäenlager Gurs, in dem damals Spanienkämpfer interniert wurden, nach Deutschland zurück, wo sie erneute Haft erwartete.

Zur Schwester Waltraut Nicolas nach Konstanz

Nach Kriegsende schlug sich Ilse Bartels mit dem Fahrrad nach Konstanz durch, wo seit 1944 ihre Schwester Waltraut in der Bodanstraße 17 lebte. Diese war 1936 mit ihrem Mann in die erste große stalinistische Verhaftungswelle geraten und wegen Spionage, Agitation gegen den Sowjetstaat und Trotzkismus zu fünf und ihr Mann zu zehn Jahren Straflager verurteilt worden. Aufgrund einer Klausel des „Deutsch-sowjetischen Freundschaftspaktes“ nach Deutschland abgeschoben, wurde Waltraut Nicolas trotz Verurteilung wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ nicht erneut inhaftiert, weil sie der Gestapo Informationen über das sowjetische Lagersystem lieferte. Dass ihr Mann bereits 1943 in Lagerhaft verstorben war, erfuhr sie erst 1958. Mit ihren in den Nachkriegsjahren verfassten Büchern wurde sie neben Margarete Buber-Neumann zu einer der meistgelesenen Kritikerinnen des Kommunismus.

Der Lingua-Verlag

Ilse Bartels stellte im Sommer 1946 den Antrag auf Genehmigung eines schöngeistigen Verlags, dem umgehend stattgegeben wurde. Sie verlegte vor allem französische Autoren wie Alphonse Daudet, George Sand, Barbey d’Aurevilly und Guy de Maupassant. Von ihrer Privatwohnung in der Muntpratstraße 5 aus nahm sie Anfang 1948 den Kontakt zu Brecht wieder auf, den sie zuletzt in seinem Svendborger Exil gesehen hatte. „In Konstanz wurde Ihre ,Mutter Courage‘ gespielt mit Bühnenbildern von Caspar Neher, die gut waren“, schrieb sie. „Sonst nur annähernd so, wie man sich’s gewünscht hätte. Helli [gemeint: Brechts Frau Helene Weigel] wäre mir lieber gewesen als Mutter Courage. Ich freue mich darauf, Sie wieder zu sehen und wieder spielen zu sehen.“ Weisenborn habe sie im vergangenen Jahr in Konstanz anlässlich der Uraufführung seines Stückes Babel getroffen – ein Drama, das zwar eine Mischung von großer Begabung und Verworrenheit zeige, „[A]ber es freute mich, ihn zu sehen, weil er zu den wenigen menschlich sehr Anständigen gehört, die nicht gerade dicht gesät sind […] [W]enn Sie oder Helli mir einmal ein Wort von sich schreiben, würden Sie mir eine große Freude machen. Sie und Helli sind eine der wenigen Brücken, die in den vergangenen Jahren gehalten haben. […] Können Sie nicht einen Abstecher nach Konstanz machen!!“(1)

Als Verlagsmitarbeiterin beschäftigte Bartels Erika Windisch, die hier ihren späteren Mann Hans Sauerbruch kennenlernte; er hinterließ nicht nur ein halbes Hundert Sgraffiti an Fassaden der Konstanzer Altstadt, sondern illustrierte auch mehrere Bücher des Lingua Verlags. Dessen letzte Bücher erschienen 1949; wie manch andere Konstanzer Verlage überlebte auch er die Währungsreform nicht. 1950 zog Bartels nach Berlin, wo sie sich sozialer Arbeit widmete. 1975 übersiedelte sie in ein Pflegeheim in Isny, dort starb sie 1985.

Anmerkungen

1. Hermann Haarmann, Christoph Hesse (Hgg.), Briefe an Bert Brecht im Exil (1933–1949), Bd. 3. Berlin/Boston 2014, S. 1561 f.

Text: Manfred Bosch, Foto Ilse Bartels © Privat

Die Serie ist hiermit abgeschlossen. Hier die anderen Porträts:
Karl Hüetlin
Joseph Fickler
Ignaz Vanotti
Karl Zogelmann
Hans und Hermann Venedey
Friedrich Munding
Alice Berend
Erich Bloch
Fritz Picard
Heiner Wollheim
Felix Guggenheim
Curt Weller
Theodor Plievier

Weitere Informationen

Zum Autor

Manfred Bosch lebt als Schriftsteller, Literaturhistoriker und Herausgeber in Konstanz. Neben zahlreichen Darstellungen zur südwestdeutschen Zeit- und Literaturgeschichte widmet er sich in Darstellungen (u.a. Bohème am Bodensee. Leben am See von 1900 bis 1950, Lengwil 1997), Herausgaben und Anthologien der neueren Literaturgeschichte des Bodenseeraums.

Zum Buch

Manfred Bosch, Konstanz literarisch. Versuch einer Topografie, UVK Verlag 2019, 351 Seiten, €22,00.

Manfred Boschs literarischer Streifzug durch Konstanz vom Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ist nicht wie bei Darstellungen dieser Art üblich chronologisch oder nach sachbestimmten Aspekten angeordnet. Sein Stadtrundgang beginnt alphabetisch in der „Alfred Wachtel-Straße“ und endet „Zur Friedrichshöhe“. Er nimmt Straßen, Plätze und Gebäude in den Blick, erzählt welche LiteratInnen, PublizistInnen, VerlegerInnen, Kulturschaffende hier gelebt haben oder als Reisende – sei es als Gast oder auf dem Weg ins Exil – die Stadt passiert haben. Er beschreibt geschichtsträchtige Orte wie das ehemalige Dominikanerkloster (Inselhotel), den Kreuzlinger Zoll, die in den 1960er-Jahren gegründete Universität und bietet einen Überblick über Verlage, Bibliotheken, Lesegesellschaften, Theater und Pressewesen der Stadt. Über 600 Namen umfasst allein das Personenregister.

Erschienen ist das Buch in der von Jürgen Klöckler herausgegebenen „Kleinen Schriftenreihe des Stadtarchivs Konstanz“.

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