Theodor Plievier © Archiv Bosch

Theodor Plievier: Revolutionär, Kommunist, Dissident

Theodor Plievier © Archiv Bosch
Theodor Plievier © Privat

In „Konstanz literarisch“ ist Manfred Bosch der kulturellen Tradition der Stadt über fünf Jahrhunderte hinweg nachgegangen. seemoz porträtiert in lockerer Folge einige der dort vorgestellten Personen. Im Vordergrund stehen freiheitliche, demokratische und antifaschistische Traditionslinien im 19. und 20. Jahrhundert.  Der international erfolgreiche Autor Theodor Plievier sollte in Konstanz nicht glücklich werden.

Uferstraße 44 lautete die letzte deutsche Adresse des Schriftstellers Theodor Plievier (1892–1955), bevor er 1952 nach fünf Jahren in Wallhausen ins Tessin weiterzog. Der in Berlin gebürtige Autor hatte sich nach einer abgebrochenen Lehre als Stukkateur auf Wanderschaft begeben, als Matrose bei der Handelsflotte angeheuert und in Südamerika in verschiedenen Berufen gearbeitet, um nach seiner Rückkehr nach Deutschland bei Beginn des Ersten Weltkriegs zur Marine eingezogen zu werden. Die schlechte Behandlung der Mannschaften auf den Kriegsschiffen bildete den Hintergrund seines ersten Romans Des Kaisers Kulis (1930) und motivierte ihn zur Teilnahme an den Wilhelmshavener Unruhen vom November 1918, die sich zum Kieler Matrosenaufstand ausweiteten. In den zwanziger Jahren begründete er die lebensreformerisch orientierte Künstlerkolonie „Kommune am Grünen Weg“ in der Nähe von Urach mit, gab eine anarchistische Flugschriftenreihe heraus und etablierte sich als Schriftsteller. Mit Der Kaiser ging, die Generäle blieben (1932) schrieb er einen Roman, dessen Titel zum viel gebrauchten Begriff wurde für die Halbheit der Revolution von 1918.

Flucht in die Sowjetunion

1933 entging Plievier mit Hilfe von Freunden seiner Verhaftung durch Flucht nach Prag, von wo er auf Umwegen gemeinsam mit seiner zweiten Frau Hildegard – ohne dass dies ihr eigentliches Ziel war – in die Sowjetunion gelangte. Zeitweise mit anderen Emigranten nach Taschkent evakuiert, bekam er im Rahmen seiner Mitgliedschaft im „Nationalkomitee Freies Deutschland“ Gelegenheit zur Einsicht in die Feldpost deutscher Soldaten, die in Stalingrad gekämpft hatten. Diese Briefe und die Möglichkeit, gefangene Soldaten zu befragen, bildeten die Grundlage für seinen Roman Stalingrad (1945), den Plievier in den 50er Jahren mit Moskau (1952) und Berlin (1954) zu einer international erfolgreichen Trilogie erweiterte. 1945 kehrte er zusammen mit Johannes R. Becher, den er aus seiner Uracher Zeit kannte, aus dem sowjetischen Exil nach Berlin zurück und wurde in Weimar Landesleiter des „Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“.

Abrechnung mit dem Stalinismus

Da sich Plievier von diktatorischen Regimen immer mehr abgewandt hatte, kehrte er 1947 von einer Reise in den Westen nicht mehr in die „sowjetisch besetzte Zone“ zurück. Wohl durch Fürsprache des Verlegers Curt Weller teilte ihm die französische Besatzungsmacht in Konstanz die Dachwohnung in der ehemaligen Webschule in Wallhausen zu. Während seine dritte Frau Margret sich um deren Instandsetzung kümmerte, verfasste Plievier für den bevorstehenden Schriftstellerkongress in Frankfurt seine Rede Über die Freiheit – eine Abrechnung weniger mit dem Kommunismus als mit dessen sowjetisch-stalinistischer Spielart, der er einen humanistischen Individualismus entgegensetzte. Plieviers Glaube, so Rudolf Hagelstange in einem Nachruf, „war im Mutterland der Revolution geprüft worden. Das Ergebnis war eindeutig ausgefallen“.

Literarisches Schaffen in Wallhausen

In seiner Wallhauser Zeit unterhielt Plievier engen Kontakt zu zwei Konstanzer Verlegern: Der befreundete Curt Weller, dem er im Frühjahr 1948 in einem Gästebucheintrag für seine „hilfreiche Hand“ bei der Ansiedlung am Bodensee dankte, brachte in Lizenz den Erzählband Das gefrorene Herz (1948) sowie die Romane Haifische und Im letzten Winkel der Erde (beide 1949) heraus, und im Verlag Johannes Asmus Konstanz/Stuttgart erschien 1949 die vollständig neu bearbeitete Ausgabe von Des Kaisers Kulis (das Vorwort trägt den Vermerk „Wallhausen, den 8. März 1949“). Im Folgejahr stellte der Autor im Konstanzer Europa-Haus sein Hörspiel Die Ballade vom Frieden vor. Im Oktober 1949 reichte Plievier das Gesuch zum Bau des Hauses Uferstraße 44 am Ortseingang ein, das er selbst jedoch nur noch kurz bewohnte. Ursprünglich hatte Plievier am „Bodensee […] für lange Zeit Anker“ werfen wollen, doch aufgrund zahlreicher Anfeindungen kehrte er 1952 Deutschland den Rücken und zog sich nach Avegno im Valle Maggia zurück. Dort starb er 1955 im Alter von 63 Jahren.

Text: Manfred Bosch, Foto Theodor Plivier © Privat

Die Serie wird fortgesetzt. Zuletzt erschienen die Porträts
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Erich Bloch
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Curt Weller

Weitere Informationen

Zum Autor

Manfred Bosch lebt als Schriftsteller, Literaturhistoriker und Herausgeber in Konstanz. Neben zahlreichen Darstellungen zur südwestdeutschen Zeit- und Literaturgeschichte widmet er sich in Darstellungen (u.a. Bohème am Bodensee. Leben am See von 1900 bis 1950, Lengwil 1997), Herausgaben und Anthologien der neueren Literaturgeschichte des Bodenseeraums.

Zum Buch

Manfred Bosch, Konstanz literarisch. Versuch einer Topografie, UVK Verlag 2019, 351 Seiten, €22,00.

Manfred Boschs literarischer Streifzug durch Konstanz vom Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ist nicht wie bei Darstellungen dieser Art üblich chronologisch oder nach sachbestimmten Aspekten angeordnet. Sein Stadtrundgang beginnt alphabetisch in der „Alfred Wachtel-Straße“ und endet „Zur Friedrichshöhe“. Er nimmt Straßen, Plätze und Gebäude in den Blick, erzählt welche LiteratInnen, PublizistInnen, VerlegerInnen, Kulturschaffende hier gelebt haben oder als Reisende – sei es als Gast oder auf dem Weg ins Exil – die Stadt passiert haben. Er beschreibt geschichtsträchtige Orte wie das ehemalige Dominikanerkloster (Inselhotel), den Kreuzlinger Zoll, die in den 1960er-Jahren gegründete Universität und bietet einen Überblick über Verlage, Bibliotheken, Lesegesellschaften, Theater und Pressewesen der Stadt. Über 600 Namen umfasst allein das Personenregister.

Erschienen ist das Buch in der von Jürgen Klöckler herausgegebenen „Kleinen Schriftenreihe des Stadtarchivs Konstanz“.

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