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Asphaltgeschichten (11): Knastgedanken

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Da blockiert man ein bisschen die Straße, nicht als konservativer Bauer, sondern als Klimaschützerin – und schon hat eine:n der Staat am Wickel. In ihrer Reihe „Asphaltgeschichten“ schildert Eileen Blum, was jenen passieren kann, die sich für die Zukunft einsetzen.

Bis heute wissen wir nicht, wie die Geschichte endet, die unsere Autorin im Sommer letzten Jahres zu erzählen begann. Im Mai hatte sich Eileen Blum, damals noch Fachpflegekraft am Konstanzer Klinikum und Sprecherin der Konstanzer Gruppe von Letzte Generation, auf den Weg nach Berlin gemacht, um sich dort an Straßenblockaden zu beteiligen. Was ihr dabei durch den Kopf ging, weshalb sie bei der falschen Aktion landete, wie die Mitstreiter:innen aufgestellt waren – all das berichtete sie in den bisherigen Folgen von Asphaltgeschichten (siehe die Auflistung ganz unten). 

Dass sich ihre Schilderung der damaligen Ereignisse etwas hinzieht, hat mit persönlichen Umständen zu tun – ändert aber nichts an der höchst lesenswerten (und erkenntnisstarken) Erzählung. Am Ende der vorangegangenen Folge fordert eine ältere Polizistin, dass die festgenommene Aktivistin ihre Schuhe auszieht: Ich „betrete in Socken einen großen, kahlen Raum, der ein wenig an eine Mischung aus Duschen in der Turnhalle und Umkleide erinnert. Der Geruch von kaltem Rauch umfängt mich. Dann fällt die Tür ins Schloss. Ich bin allein.“

Der Raum, in dem ich eingesperrt bin, ist groß. Ungefähr zehn Schritte lang und acht breit. Die Wände sind mit lauter kleinen blau-weißen Kacheln gefliest. Der Boden ist schräg und läuft in der Mitte auf einen kleinen vergitterten Gulli zu – vermutlich, um die Sammelzelle auszuspritzen. Dicht an die Wände gedrängt stehen reihum kantige Holzbänke. Von der Atmosphäre her erinnert es mich an eine Mischung aus Umkleidekabinen und Sammelduschen in der Turnhalle meiner alten Schule. 

Unschlüssig, was ich jetzt mit mir anfangen soll, stelle ich mich auf eine der Bänke, um durch das schmale Milchglasfenster zu spähen, das einen winzigen Spalt breit offen steht. Dahinter wartet die Freiheit. Was die anderen jetzt wohl machen? Martin hatte versprochen, auf mich und Konstantin zu warten. Ob er jetzt schon irgendwo da draußen sitzt und Däumchen dreht?

Ich muss leider feststellen, dass ich zu klein bin, um durch den Fensterspalt blicken zu können. Egal. Vermutlich hätte ich ohnehin nur einen Streifen blauen Himmels oder die grau-weißen Wände der Polizeistation sehen können. Ich steige wieder hinunter und setze mich auf die Bank. Mir gegenüber hängen große, in milchiges Plexiglas gefasste Lampen, die ihr schmutzig-weißes Licht in den Raum werfen.

Die Bank ist hart, der Raum kalt, das künstliche Licht sticht ein bisschen in den Augen, ohne wirklich etwas von der leicht dämmrigen Atmosphäre in der Zelle nehmen zu können. Mir ist leicht schlecht von der rauchigen Luft. Vielleicht auch, weil ich den ganzen Tag noch nichts gegessen habe. Um wenigstens irgendwas zu tun und mich ein wenig von der Übelkeit abzulenken, beginne ich, vorsichtig den Kleber von meiner Handfläche zu pulen. In der GESA lernt man, dass Aktivismus neben viel Organisieren vor allem eines bedeutet: Warten. 

„Die Zeit rennt, wir bleiben stehn“

Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, als ich plötzlich Stimmen auf dem Gang höre. Weitere Aktivist:innen, die auch in Gewahrsam sind? Oder andere Straftäter:innen, die vielleicht am Ende mit zu mir in die Sammelzelle gesperrt werden? 

Ich schlucke und muss an mein Praktikum in der Psychiatrie und an so manche Patient:innen im Krankenhaus denken. Mit den meisten Straftäter:innen, denen ich dort bislang begegnet bin, kam ich einigermaßen klar, auch wenn manche Situationen schon ein bisschen grenzwertig waren. Aber damals war ich nicht alleine mit ihnen in einer Zelle eingesperrt, sondern Pflegekraft im Dienst, zusammen mit einem ganzen Team an Kolleg:innen, einem Alarmknopf, Fixierungsgurten und Beruhigungsmedikamenten … Ich sollte besser nicht zu viel darüber nachdenken. Aber das ist leichter gesagt als getan, wenn man sonst nichts zu tun hat …

Wieder ertönen Schritte auf dem Gang und Stimmen, die langsam immer lauter und deutlicher werden. Eine Idee beginnt in meinem Kopf Gestalt anzunehmen. Wenn ich die Polizisten hören kann, dann müssen sie ziemlich sicher auch in der Lage sein, mich zu hören. Vielleicht kann ich zumindest das Polizei-Publikum nutzen und meinen Protest in der Zelle fortsetzen? Ich überlege einen Moment, hole tief Luft und fange erst leise, dann immer lauter an, das Lied zu singen, das AnnenMayKantereit vor gut einem halben Jahr in Nordrhein-Westfalen gesungen haben. Direkt an der Kante des Kohletagebaus vor Lützerath:

„Wer jung genug ist, wird sehen, wie der globale Süden brennt / Wer klug genug ist, will sich nicht ausmalen, wie konsequent man dann an Grenzen Flucht bekämpft / Wir werden den Preis dafür bezahlen, dass wir nur bei Wahlen wählen und es wird uns quälen / Die Zeit rennt, wir bleiben stehn! / Wer nicht an die Gezeiten glaubt, wird untergehen! Untergehen …“

Zuwachs in der Zelle

Der Raum hat eine tolle Akustik und für eine Weile ist das eine gute Beschäftigung. Es ertönen mehrfach Schritte auf dem Gang, verhallen aber jedes Mal nach kurzer Zeit wieder, ohne dass irgendetwas nennenswertes passiert. 

Mit einem Mal geht plötzlich die Tür auf und eine zierliche blonde Frau betritt zögerlich den Raum. Eine zweite mit kurzen schwarzen Haaren wird unsanft hineingeschuckt, fällt fast und reißt dabei beinahe die Blonde mit sich. Hinter ihr wird die Tür geräuschvoll ins Schloss geworfen. 

Beide schauen erst sich, dann mich mit großen Augen an. Die Schwarzhaarige wirkt noch sehr jung, die Blonde ein paar Jahre älter als ich. „Hi“, sage ich ein wenig schüchtern. „Ich bin Eileen … ihr seid auch von LG, oder?“

Die Schwarzhaarige nickt. „Wir sind von der Aktion am Kurfürstendamm.“ Sie macht eine kurze Pause. „Ich hab vorhin im Getra (Gefangenentransporter, d.Red.) versucht, die Funksprüche der Polizei mitzuhören. Anscheinend geht es bei der Blockade an der Prenzlauer Allee richtig zur Sache. Die Aktivist:innen haben sich entschieden, nicht zu kooperieren, und die Polizei fährt jetzt alles an Schmerzgriffen und Druckmitteln auf, was sie hat.“ Sie setzt sich neben mich. „Kannst mich Elle nennen.“ „Ich bin Ina“, sagt die Blonde leise. Sie sieht ziemlich mitgenommen aus. 

„Eure erste Blockade?“ frage ich. Ina nickt. „Erste in Berlin“, sagt Elle. Ich nicke. „Meine auch.“ Wir unterhalten uns kurz. Wenn unsere Informationen richtig sind, haben die meisten Blockadeteams es erfolgreich auf die Straße geschafft. Nur von zwei wissen wir, dass sie vorher von Zivilpolizisten aufgehalten wurden. Nach wenigen Minuten versandet unser Gespräch. 

„Papa, was hast du damals getan?“

Wir trauen uns nicht, wirklich viel weiter zu reden, denn wir wissen nicht, ob und was die Polizei alles mithört. Ich frage ein paar private Dinge, aber nur solche, die die Polizei ohnehin schon wissen müsste. Elle ist ziemlich genau so alt wie ich, Ina schon fast dreißig und arbeitet eigentlich im Büro. Sie hat vor Aufregung die ganze Woche schlecht geschlafen. Ich biete den beiden von dem Wasser an, das die Polizistin mir in die Hand gedrückt hat, bevor ich in die Zelle gesperrt wurde. Ina nimmt dankend an, Elle schüttelt den Kopf. Sie erzählt, dass sie wie ich den ganzen Tag noch nichts gegessen hat und ihr immer schlecht wird, wenn sie auf leeren Magen trinkt. 

Wir schweigen, starren Löcher in die Luft und versuchen weiter, den Kleber von unseren Händen zu pulen. Gerade die kleinen Stücke vorne an den Fingern sind hässlich. Richtige Fitzelarbeit, und wenn man nicht aufpasst und ein zugeklebtes Häutchen erwischt, kann man sich schnell ein ganzes Stück Haut mit abreißen.

Von draußen dringen wieder Polizeistimmen zu uns herein. Türen klappern und Menschen sprechen, aber es kommt niemand zu uns. Vielleicht Aktivisten, die im Nebenraum eingesperrt werden? 

Ich muss an Henning denken. Der Mensch, der maßgeblich mit dafür verantwortlich ist, dass ich zur Letzten Generation gekommen bin. Als er nach einer Aktion in einer Zelle mit Kamera an der Decke eingesperrt wurde, hat er aus Klopapier eine Botschaft an die Polizist:innen auf den Boden gelegt: „Papa, was hast du damals getan?“

Es ist dieser Satz, den er in ein paar Jahren nicht von seiner kleinen Tochter gefragt werden will, wenn das Leben, wie wir es heute kennen, um uns herum in Flammen aufgeht. Nicht ohne sagen zu können: „Ich wusste, was passiert. Und genau deshalb habe ich alles in meiner Macht Stehende getan, um das zu verhindern.“

Die weiße Rose

Meine Gedanken wandern weiter zu Corina. Bei der Vorbereitung für eine Aktion in Konstanz haben wir uns vor kurzem darüber unterhalten, wie unser Leben ohne die Klimakrise und ohne Aktivismus aussähe. C. hat daraufhin erzählt, dass sie jetzt ziemlich sicher Mutter wäre und eine kleine Tochter oder einen Sohn, vielleicht ja auch beides in den Armen halten würde. Die Art, wie sie es sagte, die Liebe in ihren Augen, lässt keinen Zweifel offen, wie sehr sie sich dieses Leben wünscht. Für einen Moment herrschte betretenes Schweigen. Dann sagte sie leise: „Aber irgendwann ist mir klar geworden, dass ich die beste Mutter sein kann, wenn ich dafür sorge, dass die Kinder, die heute schon leben, eine Zukunft haben.“

Während ich an die Decke starre, driften meine Gedanken weiter ab. Zu der Bürgerrechtsbewegung in den USA, Nelson Mandela, der in Südafrika 27 Jahre in einer Zelle verbracht hat, gegen die unsere der reinste Luxus ist. Leute im Iran, in Russland und in Südamerika, die für ihren Protest nicht selten mit dem Leben bezahlen und schließlich Sophie Scholl. Ich bin auf die Geschwister-Scholl-Schule in Konstanz gegangen. Hans und Sophie Scholl, die Weiße Rose und die Frage nach Widerstand und Gerechtigkeit waren immer wieder Thema im Unterricht gewesen. Damals fand ich den Mut der Gruppe zwar sehr beeindruckend, doch heute berührt mich ihre Geschichte nochmal auf ganz andere Weise.

Sophie, die mit 21 Jahren dafür hingerichtet wurde, dass sie Flugblätter verteilt hat. Sie war da ein Jahr jünger als ich jetzt bin. Wie viel Mut und Entschlossenheit es sie wohl gekostet hat, den ersten Stapel Flugblätter einzustecken und heimlich in den Straßen Deutschlands zu verteilen? Wie es wohl war, ständig mit der Angst zu leben, erwischt zu werden? 

Der Gedanke, dass morgen schon alles vorbei sein kann? Du und deine Freunde, den Kopf vom Rumpf getrennt, ein paar Meter unter der Erde liegend … Dazu dann das schlechte Gewissen, die eigene Familie mit reinzuziehen. 

Ich kann Hans Scholl schon verstehen, dass er seine kleine Schwester da raushalten wollte. Hätten wir vermutlich alle getan. Aber: Was wäre die Alternative gewesen? 

Zusehen, wie tausende Leute in den Tod geschickt werden und von einer einst freien Gesellschaft nicht viel mehr übrig bleibt als Schall und Rauch? Schall, der donnernd durch die Schützengräben fährt und Rauch, der unablässig über Krematorien aufsteigt? 

Während ich den Kleber von meiner Hand pule, hallt ein Wort in mir nach: Freiheit. Es ist das Wort, das Sophie kurz vor ihrer Hinrichtung als letzte Botschaft auf ein Stück Papier gekritzelt hat. „Es lebe die Freiheit!“ hat auch Hans Scholl kurz vor seiner Hinrichtung gerufen. 

Text: Eileen Blum von der seemoz-Klimablog-Redaktion
Fotos: Das Ende der Straßenblockaden bedeutet nicht das Ende der Aktionen. Die Bilder zeigen (von oben nach unten) Ungehorsame Versammlungen in Freiburg und auf dem Flughafen Stuttgart, eine Aktion auf dem vor allem von Privatjets genutzten Flughafen Braunschweig-Wolfsburg und einen Protest gegen die geplante Mega-Ölipeline EACOP durch Ostafrika (alle im März 2024). Quelle: Pressebilder der Letzten Generation

Die Reihe „Aspaltgeschichten“ wird in den nächsten Tagen fortgesetzt.

Die bisherigen Asphaltgeschichten:

27.06.2023 | Asphaltgeschichten (1). Die Anreise
03.07.2023 | Asphaltgeschichten (2). Auf der falschen Blockade
10.07.2023 | Asphaltgeschichten (3). „Verknacken Sie diese Arschgeigen!“
31.07.2023 | Asphaltgeschichten (4). „Nicht ganz so allein, wie man sich manchmal fühlt“
03.08.2023 | Asphaltgeschichten (5). „Hoffnung ist Handarbeit“
06.09.2023 | Asphaltgeschichten (6): Das „Weiter so“ bringt uns um
14.09.2023 | Asphaltgeschichten (7): Der Blick in die Augen
30.10.2023 | Asphaltgeschichten (8): Die ungestellte Frage
07.11.2023 | Asphaltgeschichten (9): Im Transporter
10.11.2023 | Asphaltgeschichten (10): Vorgeführt und eingeschlossen

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