Kundgebung Letztegen 23 05 27 (c)pitwuhrer

Asphaltgeschichten: Vorgeführt und eingeschlossen

Kundgebung Letztegen 23 05 27 (c)pitwuhrer

Auf einer Polizeiwache zu landen, von Polizist:innen bestaunt zu werden, anschließend eingesperrt in eine Zelle – was Normalbürger:innen eher selten widerfährt, kann Aktivist:innen der Organisation Letzte Generation schon mal passieren. Wie es ihr bei einer Aktion in Berlin erging und was sie erlebte, berichtet Eileen Blum in diesem Teil ihrer Serie.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hält der Polizeiwagen wieder an. Erst denke ich, dass wir schon wieder im Stau stehen, doch dann geht mit einem Schlag der Motor aus und die Autotüren öffnen sich. Ich höre, wie ein Polizist hinzukommt, ein paar knappe Worte mit seiner Kollegin wechselt, dann erscheint die schwarze Uniform im Sichtfenster. Unsere Zellen werden aufgeschlossen. Wir sollen das Fahrzeug verlassen.

Beim Aufstehen bemerke ich, dass meine Beine eingeschlafen sind. Mit zittrigen Knien humple ich ins Freie. Oder besser gesagt: in eine langgestreckte vergitterte Tiefgarage. Die Polizist:innen sind jetzt zu viert: Die junge Frau, der braunhaarige Fahrer und zwei ältere Herren, einer hochgewachsen mit grauen Haaren und einer mit Glatze. „Wenn Sie mir folgen würden“, sagt der grauhaarige Polizist in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet, zu Kai, dreht sich ohne eine Antwort um und macht Anstalten loszugehen.

„Entschuldigung“, schaltet sich der braunhaarige Polizist plötzlich ein und deutet auf mich, „die Dame bitte zuerst. Sie ist schon länger in Gewahrsam als der Herr.“ Der grauhaarige Polizist sieht erst seinen Kollegen, dann mich mit stechendem Blick an. „Folgen Sie mir!“ Er dreht sich um und geht. Ich schlucke und gehe hinter ihm eine lange Treppe nach oben. Direkt hinter mir geht der Polizist mit der Glatze und schließt immer dichter auf.

Ich hätte mich gerne von den beiden jungen Polizisten verabschiedet und ihnen für ihre gute, professionelle Arbeit gedankt, aber ich habe keine Zeit, das zu tun. Ich hoffe, sie wissen das auch so. „Schneller“, sagt der Polizist mit Glatze und schließt noch dichter zu mir auf. Ich habe Mühe, Schritt zu halten. Meine Beine kribbeln, als würden tausend Armeisen darüber laufen und in den Füßen habe ich immer noch nicht wirklich viel Gefühl.

Nicht so nette Kollegen

Oben angekommen empfängt mich eine ganze Horde Polizisten. Ich komme mir ein bisschen vor wie die Hauptattraktion der Abteilung. Bei jeder noch so kleinen Bewegung sind alle Augen sofort auf mich gerichtet. Der grauhaarige Polizist weist mich sehr resolut an, mich vor eine gelbe Wand zu stellen. Ich gehorche, unsicher, was als Nächstes passiert. Die Polizisten von der Straße haben uns immer sehr genau über alles informiert. Ich merke erst jetzt, wie sehr mir das geholfen hat, mich auf die Situation einzustellen. 

Ein schlaksiger sehr junger Polizist wird mit hochrotem Kopf durch die Reihen der gaffenden Kollegen nach vorne geschoben. Ich schätze ihn auf achtzehn, vielleicht neunzehn Jahre. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, scheint er sich ähnlich unwohl in seiner Haut zu fühlen wie ich. Als er ganz vorne in der ersten Reihe angekommen ist, wissen die Polizisten wohl selber nicht so genau, was sie nun mit ihm anfangen sollen. Ich fühle mich ein wenig an die ersten Tage meiner Ausbildung zur Pflegekraft erinnert. Nur dass ich damals das Glück hatte, nettere Kolleginnen abzubekommen. In diesem Moment betritt Kai den Flur und muss sich einige Meter links von mir vor die Wand stellen. 

Wir werfen uns einen langen Blick zu. Für uns beide ist es das erste Mal in Polizeigewahrsam. Ich versuche ihm mit Zeichensprache unauffällig zu signalisieren, dass ich okay bin und wissen möchte, ob er es auch ist. Es dauert ein bisschen, bis er versteht. Dann zeigt er kurz mit dem Daumen nach oben und nickt angedeutet.

Erzählt doch mal!

Derweil schiebt ein sehr dicker Polizist sich zwischen seinen Kollegen nach vorne und klatscht dem Auszubildenden, der uns die ganze Zeit aus großen Augen angestarrt hat, seine klobige Hand mit Wucht auf die Schulter. „Deine ersten Klimakleber?“ fragt er so laut, dass alle im Raum es mitbekommen. Der Junge zuckt erschreckt zusammen, wird noch röter und nickt. Der dicke Polizist lacht herzhaft auf und klatscht ihm dabei zwei weitere Male auf die Schulter. „Werden bestimmt nicht deine Letzten sein. Wie ich die kenne, stehen die morgen schon wieder auf der Straße.“

Kai und ich wechseln einen langen Blick. Seit mehreren Tagen steht groß auf der Webseite der Letzten Generation, dass wir unsere Straßenblockaden in Berlin mit dem heutigen Tag beenden werden, um den Widerstand zurück in unsere Heimatregionen zu bringen und in ein paar Monaten mit noch mehr Leuten als je zuvor wieder nach Berlin zurückzukehren. Wenn ich mich richtig erinnere, war dieser Umstand sogar mehrfach in diversen Zeitungsartikeln erwähnt worden.

„Habt ihr zufällig auch vor, morgen wieder auf die Straße zu gehen?“ schaltet sich einer der gaffenden Polizisten betont beiläufig ein. „Und wisst ihr, ob heute im Laufe des Tages noch weitere Aktionen geplant sind?“ Ich atme scharf ein und wechsle einen weiteren langen Blick mit Kai. Glauben die ernsthaft, dass wir dumm genug sind, das zu verraten? „Dazu möchten wir keine Aussage machen“, sagt Kai. Ich schweige.

Inkompetenz oder Raffinesse?

„Und wisst ihr zufällig, ob morgen nochmals Proteste auf der A100 geplant sind?“ fragt ein anderer in ebenso beiläufigem Tonfall. Wieder wechseln wir einen langen Blick, unsicher, ob das einfach nur maximale Uninformiertheit und Inkompetenz ist oder noch mehr dahinter steckt, das wir gerade übersehen. Es gibt Teile der Polizei, die hören unsere Telefonate ab, durchsuchen unsere Wohnungen und wissen, wenn wir nicht aufpassen, über jeden Schritt und Tritt Bescheid. Und dann gibt es Polizisten wie diese hier, die sich augenscheinlich nicht mal die Mühe machen, unsere Webseite oder die Zeitung zu lesen und stattdessen lieber uns denkbar auffällig befragen. Aber wir klären sie nicht auf. Das ist nicht unser Job – und wenn sie sich mental auf weitere Wochen voller Klimaprotest einstellen, soll uns das Recht sein.

Man sieht förmlich, wie der ganz junge Polizist sich aufbaut und sein ganzen Mut zusammen nimmt, um dann im selben Stil zu fragen: „Was habt ihr denn so für die kommenden Wochen geplant?“ Ich schlage im Geiste die Hände vor dem Gesicht zusammen. Armer Junge. Hoffentlich schaut er sich nicht noch mehr von seinen Kollegen hier auf der Polizeiwache ab.

Der hochgewachsene grauhaarige Polizist vom Anfang taucht wieder auf. In den Händen hält er einen Fotoapparat. Gestreng ruft er seine Kollegen zur Ordnung und befiehlt ihnen, an ihren Platz zurückzugehen. „Das ist eine Polizeiwache und kein Hühnerauflauf!“

Wie im Zoo

Die Polizisten wirken ein wenig beleidigt, gehorchen aber und verschwinden einer nach dem anderen in ihren Büros. Nur der dicke Polizist und der Azubi dürfen bleiben. Dann werden Bilder von uns gemacht. Es dauert eine kleine Ewigkeit, bis der grauhaarige Polizist uns aus jedem Winkel, den ich mir vorstellen kann, fotografiert hat und zufrieden nickt. Er verschwindet den Gang hinunter und bellt auf dem Weg einen Befehl an irgendwelche Kollegen, die ich nicht sehen kann.

Es dauert keine zwei Sekunden und sofort kommen alle Polizisten, die vorhin brav in ihren Büros verschwunden waren, wieder hinaus und stellen sich im Pulk um uns herum auf. Es wirkt aber eher neugierig als bedrohlich. Trotzdem ist mir die ganze Situation unangenehm. Ich muss an Tiere im Zoo denken. Die Armen fühlen sich wahrscheinlich den ganzen Tag so.

„Wisst ihr was?“, sagt der dicke Polizist und schlägt beide Hände so fest auf die Schultern des Auszubildenden, dass er am ganzen Körper zusammenzuckt. „Wenn ich in zwei Jahren in Rente bin, dann klebe ich mich auch mal auf der Straße fest. Und zwar mit dem Arsch!“ Er reibt sich die Hände. „Ich freu mich jetzt schon auf eure Gesichter.“ Gelächter bricht aus.

„Wenn Sie davor schon mal üben wollen, sind Sie herzlich eingeladen, sich in ihrer Freizeit schon jetzt ab und zu mit der Hand festzukleben“, sage ich, werde aber ignoriert. „Sie können auch anderweitig bei uns aktiv werden“, sagt Kai. „Schauen Sie auf unserer Webseite nach.“

Schnürsenkel gelten als Waffe

Wieder werden wir ignoriert. Nur der Auszubildende schaut uns immer noch aus großen Augen an. Wir beide sind zwar zwei bis drei Jahre älter als er, aber im Vergleich zu den Polizisten hier trotzdem ungefähr gleich alt. Ich nicke ihm zu. Er senkt den Blick, offensichtlich überfordert mit der Situation. Ich frage mich, wie es wohl ist, Polizist zu werden, um Verbrechen zu bekämpfen, nur um dann wenige Wochen später mit nahezu gleichaltrigen Klimaaktivist:innen konfrontiert zu werden. 

Schwere Schritte ertönen auf der Treppe und sofort verschwinden alle Polizisten wieder in ihre Büros. Nur der Dicke und der Junge bleiben. Der grauhaarige Polizist betritt mit gestrenger Mine den Raum, eine ältere Polizistin im Schlepptau. Kai soll mit ihm und dem Azubi kommen, die Frau nimmt mich mit.

Wieder geht es ein paar lange Flure entlang und zwei Treppen hoch. Wir stoppen in einem Büro. Sie schließt die Jalousie, ich muss mich wieder ausziehen und durchsuchen lassen. Dann werde ich erneut eine Weile durch die Polizeistation geführt, bevor wir an einer weiteren Türe halt machen. Sie bittet mich, meine Schuhe auszuziehen oder zumindest die Schnürsenkel zu entfernen. Das sei Vorschrift. Schnürsenkel gelten als Waffe. Man kann sich damit zum Beispiel erhängen. Ich ziehe meine Schuhe aus und betrete in Socken einen großen, kahlen Raum, der ein wenig an eine Mischung aus Duschen in der Turnhalle und Umkleide erinnert. Der Geruch von kaltem Rauch umfängt mich. Dann fällt die Tür ins Schloss. Ich bin allein.

Fortsetzung folgt.

Text: Eileen Blum
Fotos oben: Protestaktion gegen die Kriminalisierung der Letzten Generation in Konstanz, Mai 2023 © Pit Wuhrer; Bild aus Pakistan © medico international.

Die bisherigen Asphaltgeschichten:

27.06.2023 | Asphaltgeschichten (1). Die Anreise
03.07.2023 | Asphaltgeschichten (2). Auf der falschen Blockade
10.07.2023 | Asphaltgeschichten (3). „Verknacken Sie diese Arschgeigen!“
31.07.2023 | Asphaltgeschichten (4). „Nicht ganz so allein, wie man sich manchmal fühlt“
03.08.2023 | Asphaltgeschichten (5). „Hoffnung ist Handarbeit“
06.09.2023 | Asphaltgeschichten (6): Das „Weiter so“ bringt uns um
14.09.2023 | Asphaltgeschichten (7): Der Blick in die Augen
30.10.2023 | Asphaltgeschichten (8): Die ungestellte Frage
07.11.2023 | Asphaltgeschichten (9): Im Transporter
10.11.2024 | Asphaltgeschichten (10): Vorgeführt und eingeschlossen

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