Wagenknecht Aschermittwoch In Passau 24 02 14 Screenshot Youtube

Wem schadet, wem nützt die Wagenknecht-Partei?

Wagenknecht Aschermittwoch In Passau 24 02 14 Screenshot Youtube
Die BSW-Partei beim Politischen Aschermittwoch in Passau

In dem Medien wird viel darüber spekuliert, wem das Bündnis BSW Stimmen wegnimmt. Der AfD? Der Linkspartei? Oder gar den Grünen? Die eigenartige BSW-Mischung aus Sozialpolitik und konservativen Werten, aus höherer Besteuerung der Reichen und weniger Migration könnte weniger Erfolg haben, als viele denken. Das sagt Horst Kahrs im zweiten Teil unseres Interviews.

Der erste Teil erschien gestern.

seemoz: Was wird der größte Schaden sein, den Sahra Wagenknecht der Linkspartei zufügen wird? Dass sie (unfreiwillig, aber vermutlich mit Schadenfreude) zusammen mit Björn Höcke von der AfD dem bisher einzigen linken Ministerpräsidenten bei der Wahl am 1 .September in Thüringen die Mehrheit nimmt? Zumal Bodo Ramelow politisch ebenso tapfer wie riskant, eine harte Politik gegen den Kriegsführer Wladimir Putin befürwortet und Waffenlieferungen an die Ukraine unterstützt, eine in einem ostdeutschen Bundesland besonders unbeliebte Position.

Horst Kahrs: Ja, so kann es kommen. Vielleicht unfreiwillig, aber trotzdem immer politisch grob fahrlässig. Natürlich auch zum Schaden der Linkspartei, aber mehr noch zum Schaden der Zukunft das Landes Thüringen. Denn die jetzige Minderheiten-Koalition aus Linkspartei, SPD und Grünen hat ja immerhin eine Vorstellung, wie sie die Lebensbedingungen im Land — in den Bereichen Wirtschaft, soziale Infrastruktursozial gerecht und ökologisch gestalten will; und das unter den Bedingungen einer alternden Gesellschaft, bei zunehmender Arbeitskräfteknappheit und in Anbetracht der Klima-Herausforderung und der notwendigen Dekarbonisierung von Produktion und Konsum. Das ist bei den anderen Parteien nicht zu erkennen, da herrscht als Minimalkonsens: bloß keine Experimente. Und die AfD schwärmt mit dem Stichwort Dexit gar von politischen Abenteuern.

Wie wird sich das BSW positionieren?

Horst Kahrs: Erste Aufgabe einer jeden neuen Partei ist es nicht, ein konsistentes Programm zu haben. Sie muss zuallererst Wahlerfolge einfahren, welche der Parteigründung eine gewisse Stabilität verleihen. Erst wenn aus Umfragen Wahlstimmen geworden sind, weiß das BSW, woran es ist und ob sich die Mühen echter programmatischer Arbeit mit den damit einhergehenden Debatten tatsächlich lohnen werden. Also geht es zunächst einmal darum, politisch auf eher affektiv, emotional geprägten Stimmungswellen zu surfen.

Wie gut kann das BSW surfen?

Horst Kahrs: Die Stimmung im Land ist geprägt von einer Enttäuschung über die Bundesregierung und Wut gegen sie. Einer Wut, die jedoch nur weiß, was sie nicht will. Hier sucht auch die Wagenknecht-Partei ihre Stimmen. Ihr Spitzenkandidat für die Wahl zum Europäischen Parlament hat auf dem Parteitag dazu aufgerufen, die Wahl für den „Protest gegen die Ampel“ zu nutzen. Schlimmer geht es europapolitisch eigentlich nicht: Die europäische Wahl zur Abrechnung mit der nationalen Politik zu missbrauchen. 

Das BSW steht damit allerdings leider nicht allein. Was tatsächlich im BSW an politischer Kraft steckt und wofür es diese einsetzen will, wird sich erst zeigen, wenn das Einsammeln von Stimmen — nach der Devise: wir nehmen alle, die wir auf Teufel komm` raus kriegen können — bei den Europa- und vor allem den drei ostdeutschen Landtagswahlen vorbei ist.
Wenn dann Bilanz gezogen wird, steht die Entscheidung an: Bleiben wir — wie in dieser Vorphase bis zum Herbst 2024 — populistische Stimmenfängerin? Oder fangen wir ernsthaft zu überlegen an, wie wir die gesellschaftlichen Verhältnisse gestalten wollen?

Wird diese neue Partei eine AfD plus Sozialpolitik minus Menschenhetze sein?

Horst Kahrs: Die AfD will zwar im Programm alle Subventionen streichen. Aber Sozialpolitik für Deutsche hat sie auch im Programm, zumindest für „Blutsdeutsche“. Das sollte man nicht unterschätzen. Die Deportationspläne — „Remigration“ genannt — wurzeln ja genau dort: Wenn weniger Menschen soziale Ansprüche haben, können die Verbleibenden mehr bekommen.

Aber ich finde es falsch, das BSW-Bündnis auf diese Art mit der AfD zu vergleichen. Es ist nicht zu erwarten, dass aus dem BSW jemals zur Gewalt gegen Migranten aufgerufen wird. Auf einer anderen Ebene handelt es sich aber bei beiden Parteien durchaus um Konkurrenten: in der populistischen Sprache, auch in der Herabwürdigung und Delegitimierung demokratischer Verfahren und demokratischer Institutionen. Nur ist die AfD da schon viel weiter, sie bleibt das Original.

Erkennen Sie im Programnm dieser neuen Partei ein Alleinstellungsmerkmal jenseits der Leitfigur Sahra Wagenknecht?

Horst Kahrs: Schaue ich auf die Programmatik: Nein. Schaue ich auf die Selbstinszenierung und mediale Widerspiegelung, dann wird dem Publikum anderes nahegelegt. Meist heißt es ja: Das BSW, das wird den bisher unbesetzten programmatischen Platz von linker Umverteilung plus konservativen Werten besetzen, also Milliardäre hoch besteuern und gegen zu viel Migration, Gender-Sprache, zu viel „Berlin-Mitte“ ankämpfen. Meine Meinung: Gegen „das Gendern“ zu sein oder sich von „Hipstern“ abzugrenzen, ist nur billiger politischer Tand. Damit löse ich nicht ein Problem, das dient nur der Abgrenzung und der Selbstvergewisserung — getreu dem alten Margarine-Werbespruch: Du kannst so bleiben, wie du bist.

Das neue BSW wird wie die AfD das Gegenüber von (bösen) Eliten und gutem (deutschen) Volk und den bereits maßlosen privaten Reichtum der Wenigen thematisieren. Das hat in den letzten zwei, drei Jahren ja nicht einmal mehr die Linkspartei gemacht. Muss es nicht allein deshalb schon diese neue Wagenknecht-Partei geben?

Horst Kahrs: Naja, die Linkspartei hat sich da ständig schon ordentlich Mühe gegeben und will ja auch bei jeder Gelegenheit die Reichen und die Konzerne zur Kasse bitten. Hat nur kaum jemanden interessiert, weil bei der Linken aufmerksamkeitsökonomisch die Auseinandersetzung mit Wagenknecht Einschaltquoten und Klickraten brachte.

Bei und mit der Wagenknecht-Partei wäre das mit der öffentlichen Aufmerksamkeit vielleicht anders?

Horst Kahrs: Mag sein. Aber: Es braucht doch nicht noch eine Partei, die Reichen-Bashing betreibt. Stattdessen bräuchte es eine Partei, die ernsthaft an einer demokratischen Mehrheit arbeitet, die an der Einkommens-Ungleichheit etwas ändern will. Das ist harte programmatische Arbeit: gemeinsam festlegen, welche öffentlichen Einrichtungen brauchen wir, ob Schulen, Mediatheken, Schwimmbäder, Kulturzentren, Nahverkehr, was auch immer, in welcher Qualität und wie müssen die Menschen bezahlt werden, die dort möglichst gute Arbeit leisten sollen. Von diesem Punkt an stellt sich dann die Frage: Wie und wer finanziert das? Das führt zu der Frage: Wie können die Reichen ihrer Gesellschaft nützen? Man könnte für eine Art Leistungsgesellschaft 3.0 werben: Das, was alle brauchen, muss gut gewährleistet werden. Und die Einkommensunterschiede müssen in Grenzen gehalten werden.

Vielleicht kann jemand zehnmal mehr leisten als eine Durchschnittsarbeiterin, aber nicht 50-, 100- oder gar 1000mal so viel. Diese Ungleichheit schadet der Gesellschaft und setzt nur negative Anreize. Und wenn es dann um die Reichen geht, dann muss man nicht nur schimpfen, sondern auch sagen, wie viel Reichtum erträglich wäre. Ich würde mal in die Debatte werfen: Bei 50 Millionen Vermögen pro Person und 500.000 Euro Jahreseinkommen sollte radikal Schluss sein, da greift dann ein Steuersatz von 95%. Mit solchen Vorstellungen einer gesellschaftlichen Einkommens- und Vermögensordnung sollte linke Politik werben und auf Mehrheitssuche gehen.

Platt gefragt: wird diese neue Partei eher den Grünen oder eher der AfD Stimmen wegnehmen?

Horst Kahrs: Vermutlich weder noch. Sondern eher der Linkspartei, der SPD, vermutlich auch der CDU. Grüne und AfD sind zwei Antipoden, die im Gegensatz zu anderen Parteien über relativ stabile Stamm-Milieus verfügen.

Ist nicht jede Stimme, welche diese neue Partei der AfD wegnimmt, ein Gewinn für die Demokratie? Ist doch jede Stimme bei Wagenknecht zweifelsfrei besser aufgehoben als bei Björn Höcke …

Horst Kahrs: Nein. Denn das macht die demokratischen Spielregeln, nach denen wir ja eigentlich unsere Interessenkonflikte austragen wollen, nicht notwendig stabiler.

Aber ist unter dem Aspekt von Vielfalt und Lebendigkeit diese Neugründung nicht ein Segen für die parlamentarische Demokratie?

Horst Kahrs: Den Segen sehe ich nicht. Denn in Deutschland fehlt es doch nicht an einer Partei wie dem BSW. Es fehlt vielmehr eine Partei, die sich ernsthaft und offen diesen Erkenntnissen stellt: Wir, das heißt eigentlich alle, wissen, dass Migration nicht aufhören wird, so lange das globale Wohlstandsgefälle fortbesteht. Wir wissen das und wissen keine befriedigende Lösung. Wir haben nur auf der einen Seite ein moralisch einwandfreies „Offene Grenzen“ und auf der anderen Seite „Grenzen dicht“ und zur Not Schusswaffengebrauch. Aber welche Partei traut sich, dieses Dilemma offen als solches anzusprechen und politische Vorschläge zu machen? 

Mein zweiter Punkt: Wir alle wissen, dass sich das Klima so sehr verändert, dass wir auf Katastrophen zusteuern. Und wir wissen, das ist ein planetares Problem, vor dem niemand wird fliehen können und das wir nur in internationaler Kooperation wenigstens mildern werden können, auf keinen Fall mit einem Rückfall in vermeintlich nationalstaatliche Souveränität. Auch hier gilt: Dem menschlichen Verstand ist das alles klar, aber es bereitet ihm auch wieder Unbehagen, weil es keine offensichtliche und einfache Lösung gibt, weil Umbrüche notwendig erscheinen und die Lust auf politische Abenteuer mit ungewissem Ausgang zugleich gering ist.

Aber keine Partei, abgesehen von den Grünen, die dieses große Unbehagen wenigstens programmatisch versuchten und versuchen durchzudeklinieren, stellt sich dieser Herausforderung und spricht die unangenehme Wahrheit aus. Also: Wir brauchen — so viel zum Stichwort Vielfalt — kein BSW, denn es braucht keine weitere Partei, die ins gleiche Horn stößt wie die meisten anderen, die alle vor unbequemen Wahrheiten zurückscheuen. Es bräuchte eine neue Partei, die sich traut zu sagen, dass wir so wie bisher nicht weitermachen können und die wenigstens eine Skizze davon hat, wie es anders gehen könnte.

Wenn Sarah Wagenknecht und die ihren weg sind, dann hat die Linkspartei ja viel Ballast über Bord geworfen. Was bleibt übrig: eine Linkspartei der geistigen Einheit und der guten Laune?

Horst Kahrs: Wohl nicht. Wenn es gut läuft, bleibt eine Partei, in der im Laufe der kommenden zwei Jahre ein strategisches Zentrum entsteht, welches eine Vorstellung hat, wohin man die nächsten zehn Jahre gehen will, was linke Politik erreichen kann, worauf sie hoffen kann — ein Zentrum also, das deutlich mehr als nur einen Wunschzettel in der Hand hat.

Anders gefragt: Warum werden Dietmar Bartsch, Janine Wissler, Katja Kipping und Bodo Ramelow weiterhin nicht an einem Strang ziehen? Oder Überraschung: Sie machen es doch!

Horst Kahrs: Fallen Ostern und Pfingsten demnächst auf ein und dasselbe Wochenende? Und wenn, dann würden die Vier nicht reichen, dafür ist die Partei zu vielfältig. Da wollen noch mehr mitziehen dürfen.

Es gibt die These: Ideal, was da abläuft. Die Linke ist befreit von dem Ballast Sahra Wagenknecht und mausert sich endlich zu einer links-emanzipativen modernen Großstadt-Partei mit viel Umweltpolitik, EU und internationaler Solidarität. Und Wagenknecht hofiert mit ihrer Partei den herkömmlichen Sozialstaat, nationale Grenzen und die Wählerschaft auf dem Land. Beide Parteien erhalten — wenn sie es nicht völlig blöd anstellen — mehr als fünf Prozent, kooperieren und koalieren im Zweifel, erreichen zusammen immer deutlich mehr als zehn Prozent. Was will die deutsche Linke mehr? Wunschtraum oder mehr?

Horst Kahrs: Das ist immerhin eine politische Idee — ich zögere, vom Wunderglauben zu sprechen —, wie es mit den beiden Parteien politisch produktiv weiter gehen könnte. Dafür müssten die Akteure aber binnen Monaten — Thüringen wählt im September — ihren Trennungsschmerz überwinden. Als sich die WASG von der SPD trennte, dauerte es Jahre, bis wieder normale Gespräche zwischen Linkspartei und SPD möglich waren. Und nun haben sich die gleichen Akteure wieder getrennt. Und wenn wir auf die großen Fragen schauen: da steht die Linkspartei doch eher auf der postfossilistischen Seite und das BSW im anderen Lager des fossilistischen Klassenkompromisses der vergangenen siebzig Jahre. Schlechte Voraussetzungen für eine Partnerschaft. Da passt das BSW schon eher zur CDU, eine Konstellation, die ja für Sachsen schon mal diskutiert wird.

Interview: Wolfgang Storz. Das ungekürzte Gespräch ist auf Bruchstücke zu finden, dem „Blog für konstruktive Radikalität“ / Die Bilder sind Screenshots der BSW-Website. Foto Kahrs: privat

Horst Kahrs ist Sozialwissenschaftler, Wahlforscher und Publizist. Von 1995 bis 2021 arbeitete er in verschiedenen Funktionen für die PDS, Die Linke und die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Heute betreibt er mit Tom Strohschneider den Blog „linksdings – Der Schlüssel steckt von innen

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