Obermarkt, Hussenstraße, Fußgängerzone, 2020-10-13 © Harald Borges

Konstanz geht zu Fuß (nicht nur in die Kneipe)

Von O. Pugliese (Text), Harald Borges (Bild)
Obermarkt, Hussenstraße, Fußgängerzone, 2020-10-13 © Harald Borges

Die Interessen der Fußgänger:innen kommen in der Verkehrspolitik und Stadtplanung meist nur auf den undankbaren allerletzten Platz. Langsam wächst aber das Bewusstsein dafür, ein wie sinnvolles Fortbewegungsmittel die menschlichen Füße gerade im urbanen Raum sind. Daher beteiligt sich Konstanz erstmalig an einer Werbeaktion.

Während das Stadtradeln mittlerweile eine feste Institution im Zuge der Werbung fürs Fahrradfahren geworden ist, fehlte es bisher in Konstanz an einer ähnlichen Motivation dafür, die Socken mal wieder kräftig rauchen zu lassen. Mit dieser fußgängerischen Einöde ist jetzt allerdings Schluss, denn den gesamten Oktober über läuft ein Schritte-Wettbewerb, der den Konstanzer:innen Beine machen soll.

Die Idee ähnelt der anderer kommunaler Wettbewerbe: Einzelpersonen und Teams sollen so viele Kilometer wie nur irgend möglich zu Fuß runterreißen und ihre Ergebnisse im Internet dokumentieren und mit anderen Teilnehmenden vergleichen.

Hier die Bedienungsanleitung aus der Feder der Stadt, stark gekürzt:

Im Rahmen der „Schritte-Challenge“ vom 01. bis zum 31. Oktober 2025 sind die Konstanzerinnen und Konstanzer herausgefordert, so viele Wege wie möglich zu Fuß zurückzulegen und im freundschaftlichen Wettbewerb gegeneinander anzutreten. Gemeinsam mit Familie, FreundInnen, NachbarInnen oder KollegInnen können sich die Teilnehmenden zu einem Team zusammenschließen und gemeinsam Schritte sammeln.

Die Teilnahme ist kostenlos. Eine Registrierung unter https://web.teamfit.eu/de/competitions ist erforderlich.

Die Aktion kooperiert mit der App „Teamfit“. Diese kann auch zum Tracken der zurückgelegten Schritte genutzt werden. Es besteht aber auch die Möglichkeit, die Schritte manuell einzutragen. Wer über einen anderen Fitness-Tracker verfügt, kann die Daten zudem von dort aus importieren.

Weitere Infos unter www.allesgeht-bw.de.

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Was bringt’s?

Natürlich ist eine solche Aktion eine reine Werbemaßnahme, die nichts an den tatsächlichen Zuständen auf unseren Straßen und Gehwegen ändert und vor allem solche Menschen anspricht, die ohnehin gern oder notgedrungen zu Fuß gehen. Die Situation der Fußgänger:innen, besonders der älteren, ist aber an vielen Stellen eine Zumutung. Ursache ist weniger die historische Altstadtstruktur, die naturgemäß auf vormoderne Verhältnisse ausgerichtet (und damit relativ fußgänger:innenfreundlich) war, sondern vor allem die jahrzehntelange einseitige Bevorzugung des Autos bei der Verkehrsplanung.

Stimmungsmache wie diese Aktion ist zwar nett, aber wer mehr Fußverkehr und zufriedenere Fußgänger:innen will, müsste die Fußverkehrsanlagen erheblich verbessern. Man unternehme nur einmal das Gedankenexperiment, sich eine Stadt vorzustellen, in welcher der Fußverkehr nicht nur irgendwie zwischen die Autos und Fahrräder gequetscht worden wäre, sondern die fußgänger:innenorientiert gewachsen wäre und den Autos etc. nur den übriggebliebenen Raum gelassen hätte. Dann würden wir jetzt auf der Laube und der Rheinbrücke entspannt flanieren, während die Autos gnädiger Weise irgendwie auf den heutigen Fußwegen mit Tempo 15 geduldet wären und jederzeit für Fußgänger:innen zu bremsen hätten. Kleine Parks und Spielplätze befänden sich an den Stellen, wo heute augenkrebserzeugende Parkhäuser emporragen, und der größte Teil der heutigen Verkehrsanlagen wäre nicht asphaltiert und zubetoniert, sondern wäre unversiegelt geblieben und würde Konstanz zu einer wirklich grünen Schwammstadt machen, die dem Klimawandel zumindest noch ein paar Jahre länger trotzen könnte.

Soweit die Fantasie, die das Auto nicht als Zentralorgan des menschlichen Körpers, sondern, zumindest im innerstädtischen Einsatz, als Fehlentwicklung begreift.

Gut Ding will wohl besonders viel Weile haben

Der Fußverkehrsbeauftragte Jakob Everling kann natürlich nur dann etwas für seine Klientel bewirken, wenn er den nötigen kommunalpolitischen Rückhalt auch für solche fußgängerfreundlichen Lösungen bekommt, die Nachteile für Autofahrer:innen mit sich bringen. Aber die Bleifüße unter uns haben ja bekanntlich sensible Seelchen sowie kratzbrüstige Interessenvertreter:innen in der Politik, unter den Bürgerlichen ebenso wie noch weiter rechts, wo man den würzig-maskulinen Geruch von Benzin am Morgen besonders zu schätzen weiß.

Im Moment ist vielerorts, nicht nur in Berlin, ein Rollback in der Verkehrspolitik zu verzeichnen, das parallel zur allgemeinen politischen Rechtsdrift verläuft. Autofahrende gehen immer aggressiver gegen andere Verkehrsteilnehmende vor, der Ausbau der Fuß- und Fahrradwege, der nur auf Kosten der Autos geschehen kann, wenn er etwas bringen soll, wird aus Kosten- oder ideologischen Gründen blockiert.

Neulich erklärte mir gar ein lokalpolitisch engagierter Mensch allen Ernstes, jegliche Geschwindigkeitsbegrenzung für Autos sei eine herabwürdigende Vorverurteilung der Autofahrenden: Die seien doch in Wirklichkeit so verantwortungsvoll, jederzeit von sich aus die richtige Geschwindigkeit zu wählen, und nachts sei ja eh nicht einzusehen, weshalb man auf der Mainau- und der Reichenaustraße nicht mit Tempo 80 oder mehr fahren solle. Anwohner:innen, denen das zu laut sei, müssten halt wegziehen. Wohlgemerkt, dieser Mensch trug – so weit zu sehen – keine Zwangsjacke und forderte abschließend auch noch Kennzeichen für Radelnde, anzubringen an Jacke oder T-Shirt, damit man die endlich blitzen könne. Vox populi vox dei – wie das Gescherr, so der Herr?

Angesichts dieser Verhältnisse (und der Haushaltssperre) wirkt ein noch so gut gemeinter Latsch-Wettbewerb, nun ja, wie lässt es sich sagen, ohne jemandem auf die Füße zu treten: Eher bemüht.

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