Thurgauer dwlegation 1. mai 2025 © pit wuhrer

Gibt es Hoffnung in der Krise?

Ein Kommentar

Thurgauer dwlegation 1. mai 2025 © pit wuhrer
Eine Botschaft auch an die deutsche Regierung: Thurgauer Kolleg:innen am 1. Mai in Konstanz

Die Schweizer:innen überraschen immer wieder. Mit Besetzungen wie vor fünfzig Jahren, als sie AKWs verhinderten. Mit Arbeitskämpfen wie 2003, als Bauarbeiter die Rente mit 60 durchsetzten. Mit Frauenstreiks. Und mit einer Vielfalt an linken Institutionen – wie dem Denknetz.

Die Linke in der Schweiz hat es schwerer als die vieler anderer Länder in Europa. In einem Land zu leben und politisch zu arbeiten, das strukturell so konservativ und einer der Hotspots des globalen Kapitalismus ist, ist eine Herausforderung. In der Schweiz beträgt das durchschnittliche Vermögen statistisch fast 700.000 US-Dollar pro Einwohner:in, die reichsten fünf Prozent besitzen drei Viertel des gesamten Vermögens und das Vermögen des reichsten Prozents der Bevölkerung hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt.

Das 2004 gegründete Denknetz ist der linke Think Tank der Schweiz. Als Einrichtung von unten lebt er finanziell von seinen 1500 Mitgliedern und leistet gesellschaftstheoretische und politische Grundlagenarbeit. Neben der Arbeit von Fach- und Regionalgruppen veröffentlicht das Denknetz viele Texte, die online einsehbar sind. Und publiziert jährlich ein Jahrbuch.

Das aktuelle Jahrbuch 2024 des Denknetz fordert im Vorwort Geduld und Nüchternheit ein, ohne die es auch keine Hoffnung geben könne. Falls die progressiven Kräfte keine Zukunftshoffnung aufbauen oder vermitteln könnten, dann würde das „Zukunftsvakuum“ durch antidemokratische, wenn nicht faschistische Kräfte gefüllt. Die insgesamt 16 Beiträge untersuchen in der ersten Sektion „die Krise“ beziehungsweise deren Beschreibungen. 

Viel Argumentationsstoff

Pascal Zwicky, Sekretär des Denknetz, führt den Begriff der „Polykrise“ näher aus, bemängelt aber seine mangelnde herrschaftstheoretische Einbettung. Roland Herzog und Hans Schäppi halten den Marxismus als Instrument zur Analyse der gegenwärtigen Situation für geeignet – vorausgesetzt, er modernisiert sich durch die feministische Kritik und eine Aneignung des Gedankenguts der politischen Ökologie zu einer „ökologischen und care-orientierten, undogmatischen, feministischen und libertären“ Lesart.

Die Artikel der zwei anderen Sektionen thematisieren auf verschiedene Art und Weise Hoffnung und auch die Möglichkeiten und Bedingungen von Solidarität. Sie fragen, was „Hoffnung“ heute in persönlicher, politischer und philosophischer Hinsicht überhaupt sei oder sein könne. Und sie plädieren vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Klimabewegung dafür, dass Organisierung ebenso wichtig sei wie Selfcare als Schutz vor Überforderung und Burnout.

Auch wenn einige Texte für nichtschweizer Leser:innen etwas unzugänglich bleiben, bietet das Jahrbuch eine gute Mischung aus programmatischen, teilweise mit Statistiken unterfütterten Texten und Beiträge, die auch „persönliche“ Themen ansprechen. Alle Ausgaben des seit 2005 jeweils mit einem thematischen Schwerpunkt erscheinenden Jahrbuches sind frei zugänglich.

Luzian Franzini, Nadja Mosimann, Beat Ringger, Pascal Zwicky (Hrsg.): „Noch Hoffnung? Von den Möglichkeiten der Solidarität im Wirbel von Krisen“, Denknetz Jahrbuch 2024, Verlag Edition 8, Zürich 2024, 192 Seiten, 18 Euro (kostenloser Download)

Text: Bernd Hüttner
Foto: Pit Wuhrer

Ein Kommentar

  1. Pauli heinzelmann

    // am:

    Mein Sohn arbeitet in der Schweiz. Mindestlohn umgerechnet 20 Euro.

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