Heinrich Everke, Ewald Weisschedel, Petra Hinderer, undatiert © Hospizverein Konstanz

Wir sind alle mal dran (III)

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Heinrich Everke, Ewald Weisschedel, Petra Hinderer, undatiert © Hospizverein Konstanz
Heinrich Everke, Ewald Weisschedel, Petra Hinderer, undatiert

Niemand denkt gern an den Tod, zumal nicht an den eigenen, auch wenn er unausweichlich ist. Wenn es dann so weit ist, bietet der Hospizverein seine letzte Hilfe an, für Schwerkranke, Sterbende und deren Umfeld. Zum 30-jährigen Jubiläum des Vereins ein Gespräch mit den Vorständen Petra Hinderer und Simon Diefenbach über Gegenwart und Zukunft der Konstanzer Hospizbewegung.

Teil 3 von 3 [Teil 1 finden Sie hier, Teil 2 hier]

seemoz: Ihr erzähltet, dass die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen eine ganz andere sei als die mit Erwachsenen.

Diefenbach: Unsere Kinder- und Jugendhospizarbeit feiert demnächst ihr 20-jähriges Jubiläum. Dabei geht es nicht nur um schwerkranke Kinder, sondern auch um Kinder/Jugendliche, deren Geschwister oder Eltern krank sind. Da es relativ wenige Kinder und Jugendliche als Betroffene gibt, haben wir die Kinder- und Jugendhospizarbeit für den gesamten Landkreis übernommen.

seemoz: Zum leidigen Thema Finanzen. Wie finanziert Ihr Euch?

Hinderer: Wild. Die Krankenkassen geben Zuschüsse zu den Personalkosten für die psychosozialen Fachkräfte. Christa Herrmann, damals Leiterin des Sozial- und Jugendamtes, war ein Gründungsmitglied und hat damals die Stadt davon überzeugt, meine Stelle zu bezuschussen, die damals die einzige feste Stelle im Hospiz war. Mit diesen 40.000 Euro zeigt die Stadt, dass sie unsere Arbeit irgendwie auch als kommunale Aufgabe versteht. Außerdem kümmern wir uns um alle möglichen anderen Fördermittel. Inzwischen beteiligt sich auch der Landkreis mit 25.000 Euro an der Kinder- und Jugendhospizarbeit. Zusätzlich brauchen wir pro Jahr etwa 100.000 Euro Spenden. Wir haben ja keine Einnahmen, sondern bieten all unsere Angebote kostenfrei an.

Hospizverein Konstanz e.V., Haus Talgartenstraße 2 © Hospizverein Konstanz
Hospizverein Konstanz e.V., Talgartenstraße 2

Diefenbach: Das hochherrschaftliche Haus, in dem wir hier sitzen, haben wir von der Spitalstiftung gemietet. Wir haben es auf eigene Kosten umgebaut und wohnen das jetzt sozusagen ab, sonst könnten wir uns das nicht leisten. Wir haben eine Praxis geerbt, die unsere Mieten annähernd zahlt. Außerdem haben wir eine Erbschaft gemacht, mit der wir die für Schwerstkranke gemieteten Apartments im Nebenhaus einrichten konnten. Es ist außergewöhnlich für einen Verein, dass die Hülle sich quasi selbst trägt. Spendengelder und Geschenke fließen also vollständig in die Arbeit an Kranken, Kindern und Angehörigen ein. Viele Leute denken ja, wir kriegen das alles von der Stadt bezahlt. Das ist aber falsch.

seemoz: Gibt es Projekte, die euch am Herzen liegen, die Ihr aber nicht verwirklichen könnt?

Hinderer: Wir haben ja über sieben Jahre lang versucht, am Friedhof ein Café für Trauernde zu errichten. Das ist dann ja leider ein bisschen gescheitert. Eine solche Einrichtung hätte es unserer Meinung nach in Konstanz dringend gebraucht, weil man sich bisher ja nur vor der Aussegnungshalle unterm Regenschirm begegnen kann.

Diefenbach: Große Sorge bereitet uns die Situation in den Pflegeheimen. Viele Menschen dort bräuchten eine Palliativbetreuung, aber es herrscht massiver Personalmangel. Wir wären durchaus bereit, in diesen Bereich zu investieren. Eine offene palliative Versorgung braucht einen ganz anderen Personalschlüssel, würde es den Betroffenen aber erlauben, im Pflegeheim zu sterben. Es ist Quatsch, jemanden für seine letzten 48 Stunden noch einmal mit dem Notarzt aus dem Pflegeheim ins Krankenhaus zu karren.

Diefenbach: Trauer spielt eine immer größere Rolle, und die Menschen sind zunehmend auch bereit, von sich aus auf uns zuzukommen. Wir würden unser Angebot für Trauernde gern erweitern.

Hinderer: Es gibt mehrere Trauergruppen unter unserem Dach, allein zwei für Angehörige nach Suizid, eine mit therapeutischer Begleitung. Es gibt eine Gruppe für verwaiste Eltern. Allein in unserer Gruppe für junge Trauernde zwischen 21 und 30 Jahren haben wir rund 20 Teilnehmer. Es gibt eine Gruppe für Eltern von Sternenkindern, die vor der Geburt gestorben sind, es gibt eine Gruppe von Eltern, die schwanger sind und schon mal ein Kind verloren haben. Dazu kommen im Haus noch unsere Supervisionsgruppen und Fortbildungen. Wir haben hier im Haus drei Räume für Veranstaltungen, die reichen kaum. Es wäre daher sinnvoll gewesen, wenn es am Friedhof einen Ort für Trauernde gegeben hätte, an dem sie sich treffen können, nicht nur am Tag der Beisetzung. Damit hätte man den Friedhof, der ja kulturell gesehen ohnehin stirbt, als Begegnungsstätte deutlich aufwerten können.

seemoz: Was meinst Du mit dem kulturellen Sterben des Friedhofs?

Hinderer: Gräber werden heute nur noch auf wenige Jahre gemietet, und sie sind ja auch relativ teuer. Wenn Du über den Friedhof gehst, triffst Du auf große Flächen, die einfach leer sind.

seemoz: Die Witwe, die wie früher täglich zum Blumengießen an das Grab ihres Mannes geht, gibt es kaum noch.

Hinderer: Wir bieten auf dem Friedhof ja einen ehrenamtlichen Caddy-Fahrdienst an, daher wissen wir, dass es Frauen gibt, die jeden Tag mit einem Piccolo Sekt zum Grab ihres Mannes fahren.

Diefenbach: Ich denke, dass der Hospiz-Gedanke ein wichtiger kultureller Impuls für die Gesellschaft ist. In diesem Rahmen ist auch der Friedhof ein wichtiger Ort. Er ist ein Gedenkort, ein Besinnungsort, er ist ein historisch interessanter Ort, auf dem es sogar interessante Führungen gibt. Ich würde mich sehr freuen, wenn der Friedhof noch mehr leben würde …

seemoz: … es lebe der Zentralfriedhof und alle seine Toten …

Hinderer: … genauso ist es! Meine Tochter macht sich jedenfalls schon Gedanken über mich. Vielleicht will sie mich zu einem Diamanten pressen lassen, vielleicht auch aus meiner Asche ein Tattoo machen lassen. Das ist ein weites Feld – und ein großer neuer Markt.

seemoz: Müsst ihr irgendwann auf die Freitodbewegung reagieren?

Hinderer: Ja klar. Das ist schon heute ein Thema, denn das Bundesverfassungsgericht hat 2020, fünf Tage vor Corona, entschieden, dass wir uns alle das Leben nehmen und dabei auch die Hilfe von Dritten in Anspruch nehmen dürfen. Seitdem sind die ersten Sterbehilfevereine aktiv.

seemoz: Sind das gemeinnützige Vereine oder kommerzielle?

Diefenbach: Gemeinnützig sind sie nicht, aber es sind bisher unseres Wissens auch noch keine unverantwortlichen Praktiken im Zusammenhang mit der Suizidassistenz aufgetreten.

Hinderer: Jeder Sterbenskranke der einen langen Leidensweg vor sich hat oder zu haben meint, fragt sich und manchmal natürlich auch uns, ob er nicht eine Abkürzung nehmen kann. Zum einen zur Leidvermeidung, zum anderen, weil er seinen Nächsten nicht auf der Tasche liegen will. Wir sind einfach ambivalente Wesen. Aber es gibt ein politisches Vakuum, denn die Politik kriegt dieses Thema ja nicht auf die Reihe.

seemoz: Sind es die Kirchen, die das verhindern?

Hinderer: Es ist und bleibt ein schwieriges Thema, das auch nicht nur juristisch geklärt werden kann. Die Niederlande und sogar Oregon sind da wesentlich weiter. Alle Pflegeheime, Kliniken und auch Hospizvereine ringen jetzt mit der Frage, wie sie damit umgehen wollen. Wir brauchen einen offenen Umgang mit diesem Thema.

seemoz: Das Opfer sollte eigentlich selbst entscheiden, wie es mit seinem Lebensende umgehen will.

Hinderer: So ist es. Wir sind offen und neutral und immer am Individuum und seiner Selbstbestimmung orientiert, das sind unsere höchsten Werte. Vor allem haben wir nichts zu verkaufen, wir haben kein Köfferchen, in dem Medikamente o.ä. drin sind.

Diefenbach: Es gibt für uns etliche weitere Zukunftsthemen, insbesondere die Pflege ist natürlich ein zentraler Punkt.

seemoz: Woran liegt es, dass es kein Pflegepersonal mehr gibt? An der miesen Bezahlung?

Hinderer: Man hat die Pflege jahrzehntelang kaputtgespart, trotzdem liegt es nicht in erster Linie an der Bezahlung, sondern am System. Pflegekraft wirst Du, weil Du Dich den Menschen zuwenden willst, und nicht, weil Du einen Porsche brauchst. Für die Zuwendung zum Menschen bleibt heute wenig Zeit. Es gibt stattdessen wahnsinnige Dokumentationspflichten und administrative Berge. Dazu kommt der permanente Mangel an Kollegen, alle müssen ständig irgendwo einspringen. Auch in Konstanz gibt es viele Pflegekräfte, die in den Beruf zurückkehren würden, wenn die Umstände anders wären, denn es ist eigentlich ein sehr schöner Beruf.

Diefenbach: Wir müssen einfach sehen, welche Erschütterungen in den nächsten Jahren auf uns zukommen werden.

seemoz: Wir danken Euch für das Gespräch.

Zur Website des Hospizvereins geht es hier.

Text: Harald Borges, Bilder: Hospizverein Konstanz e.V.

Eine Antwort

  1. Petra Böhrer

    // am:

    Vielen Dank für diesen tollen Beitrag, der die Arbeit des Hospizvereins in all seinen Facetten sehr gut beschreibt. Für An- und Zugehörige ist die Begleitung eines lieben Menschen am Lebensende mit einem Wechselbad der Gefühle und vielen Unsicherheiten verbunden. Es ist tröstlich zu wissen, dass es kompetente Menschen gibt, die sich mit Herz, Hand und Verstand an deren Seite stellen.
    Ich arbeite in der Abteilung Altenhilfe der Stadt Konstanz und bin immer wieder froh um die gute Zusammenarbeit mit diesem tollen Team des Hospizvereins.

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