Mieternotruf graz kpö plakate 2025 pit wuhrer

Von Österreich lernen?

Von Pit Wuhrer
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KPÖ-Plakatwand beim Volkshaus in Graz

Rund 600 Kilometer östlich von Konstanz haben Linke schon vor Jahrzehnten die Wohnungssituation ganz oben auf ihre Tagesordnung gesetzt. Und dadurch erheblich an Einfluß gewonnen. Was in Graz längst Standard ist, soll nun auch hier umgesetzt werden. Wie das gehen soll, ist Thema einer Podiumsdiskussion am Freitag.

Es ist weit über vier Jahrzehnte her, dass Ernest Kaltenegger plötzlich vor einer großen Frage stand. 1981 war der steirische Landessekretär der Kommunistischen Jugend Österreichs/Junge Linke nach dem plötzlichen Tod des einzigen KPÖ-Mitglieds im Grazer Gemeinderat ins lokale Parlament nachgerückt – und wusste nicht so recht, was er dort sollte. Was treibt die Menschen in der zweitgrößten Stadt Österreichs um? Welche Sorgen haben sie? Und was könnte man tun? 

Also baute er jede Woche einen Infostand auf, immer in verschiedenen Quartieren, und hörte zu. Dabei erfuhr er einiges. Das Hauptproblem, so wurde ihm schnell bewusst, war die Wohnungsnot: zu wenig sozialer Wohnraum, zu hohe Mieten, zu viele Immobilienspekulant:innen. Aber wie sollte er als einziger KPÖ-Mandatar unter 52 Gemeinderatsmitgliedern daran etwas ändern? Ja klar, am Thema dranbleiben, immer wieder Anträge stellen, nachfragen, Flugblätter schreiben und verteilen, nicht locker lassen. Aber sonst?

Elf Jahre lang führte er einen einsamen Kampf, bis ihm und seinen damals noch wenigen Genoss:innen 1992 die Idee mit dem Mieter:innen-Notruf kam. Sie plakatierten in der ganzen Stadt die Telefonnummer, organisierten Mieter:innenberatungen, deckten Missstände auf, luden zu Informationsveranstaltungen ein, unterstützten von Kündigungen und Zwangsräumungen bedrohte Grazer:innen. Gleichzeitig gründeten sie einen Rechtshilfefonds für Opfer der Immobilienspekulation.

Basisnähe, Transparenz, Sozialfonds 

Die Strategie funktionierte besser als erwartet. Nach der nächsten Kommunalwahl 1993 saßen immerhin schon mal zwei KPÖ-Mitglieder im seinerzeit noch SPÖ-dominierten Gemeinderat. Eine Wahl und fünf Jahre später waren sie bereits zu viert – auch weil die Grazer KPÖ im Jahr zuvor mit Hilfe einer Volksrechteinitiative eine Belastungsobergrenze für die städtischen Wohnungen durchgesetzt hatte: Die Mieter:innen zahlten danach nur noch maximal ein Drittel ihres Haushaltseinkommens.

Mit vier Abgeordneten hatte die lokale KPÖ zudem Anspruch auf einen Sitz im Stadtsenat, der proportional zusammengesetzten Stadtregierung von Graz mit damals neun, heute sieben Mitgliedern – und so war Kaltenegger (auch zu seiner seiner eigenen Verblüffung) plötzlich für das städtische Wohnungswesen zuständig, erkämpfte im Jahr darauf eine generelle Mietzinssenkung bei stadteigenen Wohnungen, kürzte sein Regierungsgehalt auf den durchschnittlichen Facharbeiter:innen-Lohn, spendete den Rest für Sozialprojekte und initiierte eine Politik der offenen Tür.

Außerdem sorgten die KPÖ-Aktivist:innen dafür, dass alle in Not an Kalteneggers private Telefonnummer kamen: „Oft rufen die Menschen erst kurz vor der Zwangsräumung an“, erinnert sich Kaltenegger, „viele Leute stecken in prekären Situationen den Kopf in den Sand, hoffen auf den Lotto-Sechser, der nie kommt, lassen die Post von Inkassobüros oder Hausverwaltungen ungeöffnet liegen und machen dadurch vieles noch schlimmer“.

Anhand der Wohnungsfrage „kann einerseits das Versagen des kapitalistischen Systems sehr deutlich vor Augen geführt werden“, schrieb er in einem seemoz-Beitrag 2021, „andererseits kann Betroffenen oft wirksam geholfen werden“. Kalteneggers Strategie ging auf: Bei der Kommunalwahl 2008 holten die Grazer Kommunist:innen 11 Prozent aller Stimmen, 2017 waren es 20 Prozent, 2021 schließlich 28,8 Prozent. Damit stellt die KPÖ, die immer noch stolz auf ihren Widerstand während des Nationalsozialismus ist, als stärkste Fraktion in der Landeshauptstadt der Steiermark, die Oberbürgermeisterin und drei der sieben Stadtsenator:innen.

Und hier?

Als kleine Gruppe hätten sie sich auf ein zentrales Thema konzentrieren müssen, sagte Kaltenegger in einem Gespräch, das seemoz 2023 nach einer Veranstaltung mit ihm in Konstanz führte. Gleichzeitig habe man stets vermieden, sich allzu sehr auf den Parlamentarismus einzulassen: Es komme vor allem auf den Druck von unten an. Mit der Mobilisierung und wachsendem Einfluss sei auch eine andere Politik in weiteren Bereich möglich: die städtische Verkehrspolitik zum Beispiel, der Umgang mit Armen und Migrant:innen oder bei den nötigen Klimamaßnahmen.

Mittlerweile deutet einiges darauf hin, dass deutsche Linke von Graz lernen: Immer mehr Abgeordnete der Partei Die Linke deckeln ihre Bezüge und verzichten zugunsten von Sozialprogrammen auf einen Teil ihrer Diäten, an manchen Orten gibt es mittlerweile zahlreiche öffentliche Veranstaltungen und Stadtteilfeste, Freiwillige lassen sich für Wahlkämpfe mobilisieren und gehen von Tür zu Tür. Offenheit und Basisnähe sind angesagt.

Natürlich kann das Grazer Beispiel, das mittlerweile auch in Salzburg zu beachtlichen Ergebnissen führte, nicht eins zu eins auf andere Verhältnisse kopiert werden. Aber der Ansatz ist übertragbar. Solidarität sei „nicht nur eine rein politische Aufgabe“, sagt beispielsweise John Löser, Landtagskandidat der Partei Die Linke für den Wahlkreis Singen; dazu gehöre „auch aktives Zuhören und konkrete Hilfe für die Menschen vor Ort“. Besonders beim brennenden Thema Wohnen.

Mietnottelefon auch im Landkreis Konstanz

Eine Möglichkeit dazu bietet das von der Linken kreisweit angebotene Konzept eines Mietnottelefons, das auf einer Veranstaltung am Freitag, den 24. Oktober, vorgestellt wird. „Viele Menschen stehen oft allein da: Wohngeldanträge, unverständliche Nebenkostenabrechnungen, Ärger mit kommunalen Ämtern oder unübersichtliche Dokumente“, heißt es in einer Pressemitteilung der Konstanzer Linken. „Genau hier greifen wir unter die Arme: Wer sich keinen Anwalt leisten kann, kaum noch einen Ausweg weiß oder sich vielleicht auch für die eigene Situation schämt, darf zu uns kommen und wir schauen, was wir im Rahmen unserer ehrenamtlichen Tätigkeit doch noch zum Positiven drehen können.“

Poster der veranstaltung am 24.10.2025

An der Debatte beteiligen sich neben John Löser auch Anke Schwede, Stadträtin der Linken Liste im Konstanzer Gemeinderat und Mitglied im Aufsichtsrat der WOBAK, sowie die Heidelberger Bundestagsabgeordnete Sahra Mirow (Obfrau im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen). Sie wollen mit dem Publikum erörtern, welche dringenden Probleme die Politik angehen muss und wie die Partei Die Linke mit ihren Hilfsangeboten die Situation von Mieter:innen nachhaltig verbessern kann.

Termin: Freitag, 24. Oktober 2025, 19 Uhr
Ort: Treffpunkt Petershausen, Georg-Elser-Platz 1, Konstanz

Mehr zum Thema zeigt Die Linke im Landkreis auf ihrem Instagram-Kanal:
https://www.instagram.com/p/DPjCcD9iJdp/
https://www.instagram.com/dielinkekreiskn/reel/DP6REYJiDh8/

Foto: Pit Wuhrer

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