Radolfzell 16 9 © pixabay

Radolfzell: Intransparenz in der Causa Kratt

Radolfzell 16 9 © pixabay

In der Causa August Kratt fiel die Stadt Radolfzell kurz vor der heutigen Gemeinderatssitzung mehr durch Behinderung der Presse als durch Transparenz auf. Einige leidige Erfahrungen.

Nach der kritischen Berichterstattung über die Ehrenbürgerwürde des früheren NSDAP-Bürgermeisters August Kratt bei seemoz vom August 2023 beauftragte die Stadtverwaltung die Erstellung eines Gutachtens zu August Kratt bei der Historikerin Carmen Scheide.

Dass die Stadtverwaltung laut ihrer Beschlussvorlage dafür plädiert, dass Kratt seine Ehrenbürgerwürde behält, obwohl er erwiesenermaßen (kommissarischer) NSDAP-Bürgermeister und förderndes SS-Mitglied war und damit den NS-Terror in Radolfzell und der Region mitverwaltet hat, ist sehr überraschend. In dem Versuch zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, wandte sich seemoz bereits Anfang Juni an die Radolfzeller Stadtverwaltung.

Auf Grundlage des Landesinformationsfreiheitsgesetzes (LIFG), das Zugang zu Unterlagen und E-Mails bei Behörden gewährt, wurde um Übersendung des gesamten E-Mail-Verkehrs zwischen der Stadtverwaltung Radolfzell und der Gutachterin Carmen Scheide sowie der Familie Kratt und innerhalb der Stadtverwaltung gebeten.

Doch davon ließ sich die Stadtverwaltung in Person von Bürgermeisterin Monika Laule nicht beeindrucken und konterte gleich doppelt: Einerseits könnten – obgleich das Gesetz eine „unverzügliche” Antwort vorsieht – die Unterlagen erst nach drei Monaten übersandt werden, weil davor drittbetroffene Personen zur Preisgabe ihrer personenbezogenen Daten angehört werden müssten (Drittbeteiligungsverfahren). Andererseits würde die Stadt für die Übermittlung der Unterlagen Gebühren in Höhe von ca. 1920,– Euro erheben. Zuvorkommenderweise fragte die Stadtverwaltung direkt nach, ob die LIFG-Anfrage unter diesen Umständen zurückgenommen werden solle.

Hierauf erwiderte seemoz, dass der Antrag selbstverständlich aufrechterhalten werde und die Unterlagen nicht erst nach drei Monaten, sondern rechtzeitig vor der Gemeinderatssitzung übersandt werden sollten. Zur Vermeidung eines zeitaufwendigen Drittbeteiligungsverfahrens könnten personenbezogene Daten geschwärzt werden – in solchen Fällen bundesweit übliche Praxis.

Außerdem wies seemoz darauf hin, dass personenbezogene Daten von der Gutachterin Carmen Scheide und städtischen Mitarbeitenden ohnehin nicht geschwärzt werden dürften (§ 5 Abs. 5 LIFG), gleiches gelte für den vor 56 Jahren verstorbenen August Kratt (§ 5 Absatz 5 LIFG), der sowieso Gegenstand des veröffentlichten Gutachtens ist. Die einzigen personenbezogenen Daten, die also geschwärzt werden dürften, sind aus etwaiger Kommunikation mit der Familie Kratt.

Was kann man in 32 Arbeitsstunden alles schwärzen?

Abgesehen von ihrer abschreckenden Wirkung wirft die Gebührenprognose von 1920,– Euro auch Fragen auf: Nach dem Gebührenverzeichnis der Stadt Radolfzell können für LIFG-Anfragen Gebühren für den entstehenden Verwaltungsaufwand erhoben werden, und zwar pro angefangener Viertelstunde 15 Euro. Die 1920,– Euro Gebühren lassen sich damit in 32 Arbeitsstunden der Verwaltung übersetzen, die nach Meinung der Stadt anfallen würden – in dieser Zeit kann man ganz schön viel schwärzen!

Zwischenzeitlich hatte die Stadt eingeräumt, dass es ein einziges Treffen zwischen Bürgermeisterin Laule und der Familie Kratt gab, mit dem Ziel, über die Verwendung des Familienarchivs für das Gutachten zu sprechen. Dazu sei allerdings nichts veraktet worden, so die Bürgermeisterin.

Dass die Stadt auch nach dem Hinweis, dass Carmen Scheides personenbezogene Daten nicht geschwärzt werden müssen, die angekündigten Gebühren nicht absenkte bzw. sich nicht dazu äußerte, könnte verschiedene gleichermaßen beunruhigende Ursachen haben:

– Die Stadt wusste nicht, dass personenbezogene Daten von Gutachter*innen nicht geschwärzt werden müssen und hätte die Gebührenprognose, nachdem sie durch seemoz darauf hingewiesen wurde, deutlich absenken müssen – dies hat sie aber nicht getan. Die Abschreckung durch überhohe Gebühren sollte damit aufrechterhalten werden.

– Wenn die Stadt wusste, dass personenbezogene Daten von Gutachter*innen nicht geschwärzt werden dürfen und es tatsächlich nur einen einzigen Kontakt zwischen Familie Kratt und der Stadt Radolfzell gab, zu dem keine Unterlagen existieren, dann entbehren die Gebühren von 1920,– Euro jeder Grundlage und sind ebenfalls reine Abschreckung.

– Oder aber es gibt Kommunikation zwischen der Familie Kratt und der Stadt Radolfzell (die trotz ausdrücklicher Nachfrage bislang verschwiegen wurde) oder zwischen der Gutachterin und der Stadt, die Informationen über die Familie Kratt beinhaltet, die über das Gutachten hinausgehen und nicht den bereits verstorbenen August Kratt betreffen. Diese Kommunikation müsste zudem so umfangreich sein, dass es 32 Arbeitsstunden dauern würde, sie zusammenzustellen und zu schwärzen. Dass die Stadt der Öffentlichkeit und dem Gemeinderat vor der Abstimmung am 24.06.2025 diese Informationen vorenthalten wollte, wäre aus demokratischer Perspektive sehr fragwürdig.

Möchte man der Stadt Radolfzell trotz entsprechendem ausdrücklichen Hinweis durch seemoz keine Unkenntnis der Rechtslage unterstellen, warten noch eine ganze Menge Unterlagen bei der Stadt darauf, in 32 Arbeitsstunden gesichtet und geschwärzt zu werden – obwohl diese entweder nicht existieren oder es dort eigentlich gar nicht so viel zu schwärzen gibt.

Verweigerte Antworten auf Pressefragen

Neben allerlei Rätseln rund um die abschreckend hohen Gebühren bei der LIFG-Anfrage macht noch ein anderes Thema Sorgen: Der Umgang der Stadt Radolfzell mit Presseanfragen von seemoz zum Thema August Kratt.

Zwar teilte Bürgermeisterin Laule mit, es habe das erwähnte Treffen mit der Familie Kratt zum Familienarchiv gegeben, sie beantwortete aber – auch auf mehrmaliges Nachfragen – bis Redaktionsschluss nicht, wann dieses Treffen stattgefunden habe, ob es sich dabei um das einzige Treffen mit der Familie gehandelt habe und ob es auch ansonsten keine Kommunikation mit der Familie gegeben habe.

Auf einen umfangreichen Fragenkatalog rund um die Kommunikation der Stadtverwaltung mit der Familie Kratt und der Gutachterin vom 17.06.2025 – eine Woche vor der Gemeinderatssitzung – antwortete Bürgermeisterin Laule zunächst gar nicht und gab dann an, mehr Zeit für die Antworten zu benötigen. Auf weitere kurze Nachfragen antwortete sie inhaltlich nicht.

Kein Interesse an informierter Gemeinderatsentscheidung

So verschlossen wie sich die Stadt Radolfzell gegenüber seemoz in der Causa Kratt verhält, wird die Pressefreiheit verletzt und das Vertrauen in den Prozess zur Überprüfung der Ehrenbürgerwürde erheblich geschwächt. Die Frage der Aberkennung der Ehrenbürgerwürde Kratts wird sehr viel und kontrovers diskutiert, Stand jetzt erschienen dazu allein sieben Zeitungsartikel in Südkurier und seemoz und zahlreiche Leser*innenbriefe in ersterem.

Vor der Abstimmung im Gemeinderat sollte es eigentlich im Interesse der Stadtverwaltung sein, so viel Transparenz wie möglich zu schaffen und nicht durch ihr rätselhaftes Verhalten Raum für Spekulationen zu lassen. Davon hätte auch der Gemeinderat bei seiner Entscheidungsfindung profitieren können.

Text: Frida Mühlhoff und Jannis Krüßmann, Bild: Qubes Pictures from Pixabay

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert