Demo „Wir sind die Brandmauer“ auf der Konstanzer Rheinbrücke am 25.02.2024 © Pit Wuhrer

Protest der schweigenden Mehrheit?

5 Kommentare

Demo „Wir sind die Brandmauer“ auf der Konstanzer Rheinbrücke am 25.02.2024 © Pit Wuhrer
Demo „Wir sind die Brandmauer“ am 25.02.2024 © Pit Wuhrer

Seit das Recherchenetzwerk Correctiv den „Geheimplan gegen Deutschland“ veröffentlicht hat, gingen deutschlandweit beinahe jedes Wochenende Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Forscher der Universität Konstanz haben die Teilnehmenden befragt und ihre Zusammensetzung und Beweggründe untersucht, berichtet die Uni.

Wer sind die Menschen, die seit Anfang Januar 2024 jedes Wochenende deutschlandweit für Demokratie und gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen? Was treibt sie an? Und wie stehen sie zu einem möglichen AfD-Verbotsverfahren? Forscher des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ haben dazu über 500 Teilnehmende an drei Demonstrationen im Südwesten Deutschlands befragt.

Die Ergebnisse basieren auf der Befragung eines repräsentativen Samples von insgesamt 509 per Zufallsverfahren ausgewählten Personen. Die Umfrage wurde im Januar 2024 in drei Städten im Südwesten Deutschlands durchgeführt: Konstanz, Singen und Radolfzell.

Das Ergebnis: Die Mehrheit der befragten Demonstrationsteilnehmenden ordnet sich selbst politisch der linken Mitte zu, hat überdurchschnittlich hohe Bildungsabschlüsse und eine Parteipräferenz für das Bündnis 90/Die Grünen. Wähler*innen der CDU und FDP sind hingegen mit einem Anteil von etwa 10 Prozent der Protestteilnehmenden deutlich unterrepräsentiert. Zurückzuführen ist dies den Autoren des Policy Papers, Sebastian Koos und Marco Bitschnau, zufolge auf zwei Faktoren:

  • zum einen auf strukturelle Hemmnisse und eine allgemein niedrigere Protestbereitschaft;
  • zum anderen könnten auch protestspezifische Gründe abschreckend wirken – etwa, dass aus Sicht eines Mitte-rechts-Publikums die Grenze zwischen Rechtsextremismus und Konservatismus bei den Protesten bisweilen zu verschwimmen droht.

Bezüglich der medial verbreiteten Erzählung, die „schweigende Mehrheit“ sei nun erwacht, erklärt Marco Bitschnau, Postdoktorand am Exzellenzcluster: „Den Mehrheitsbegriff muss man unter diesen Umständen einschränken. Das Attribut ‚schweigend‘ erscheint aber insofern vertretbar, als dass es sich durchaus um Menschen handelt, die zum ersten Mal auf diese Art und Weise protestieren.“

Weniger als ein Drittel für AfD-Verbot

Ein momentan viel diskutierter Vorschlag ist die Prüfung der Verfassungswidrigkeit der AfD und ein daraus resultierendes Parteiverbot. Doch entgegen der Annahme, dass sich in einem gegen die AfD gerichteten Protestkontext leicht ein entsprechender Konsens findet, würde weniger als ein Drittel der Befragten ein solches Vorgehen unterstützen. Die Überlegung, einzelnen AfD-Politikern die Grundrechte zu entziehen, wird hingegen von annähernd zwei Dritteln der Befragten befürwortet.

Insgesamt, so Koos und Bitschnau, ergebe sich in Hinblick auf die Teilnehmenden, ihre Motive und Einstellungen ein differenziertes Bild. Im Sinne eines noch breiteren demokratischen Bündnisses stellt sich aber die Frage nach einer stärkeren Mobilisierung des bürgerlichen Lagers. „Die Organisator*innen können ihren Teil dazu beitragen, indem sie das verbindende demokratische Element der Demonstrationen noch deutlicher herausstellen“, so Sebastian Koos. Dies sei auch vor dem Hintergrund der Frage wichtig, inwiefern es gelingen kann, das aktuelle Engagement in ein längerfristiges Projekt zu überführen und damit den bereits erzielten symbolischen Erfolg zu verstetigen.

Das gesamte Papier finden Sie hier.

Text: Universität Konstanz, red.

5 Kommentare

  1. Christina Herbert-Fischer

    // am:

    zu Peter Krause, ok, jetzt macht es Sinn, danke für die Richtigstellung und Erklärung. Was aber auch ein Fakt ist, im ländlichen Raum und zwar nur dort, wo die Kirchen noch stärker verwurzelt sind als im urbanen Raum, fallen die Zustimmungswerte und Wahlergebnisse zur AfD deutlich geringer aus. Franz Segbers sprach in seinem Vortrag vom 18. März in der Pauluskirche, von einem Impfungseffekt des Christentums gegen Rechtsradikalismus. Nun dies betrifft wohl eher konservative, bodenständige Menschen oder einfach nur solche, denen ihr christlicher Glaube noch was bedeutet. Ich gebe ihnen Recht, dass es Teile innerhalb der Gesellschaft gibt, die zu Vorurteilen bezüglich konservativer oder liberaler Menschen neigen, doch nicht allein in den Städten wird sich entscheiden wohin der Weg geht. Menschenrechte und damit eine Moral sind der entscheidende Faktor. Die Befragung der Uni fand im urbanen Raum statt, nur darauf bezieht sie sich auch. Es wird Zeit Vorurteile über den Haufen zu werfen und sich als eine starke Zivilgesellschaft zu positionieren. Leider haben das einige Politiker wie z.B. Friedrich Merz noch nicht verstanden. das ist schade, denn hier werden Chancen verschenkt.

  2. Dr. Peter Krause

    // am:

    Liebe Frau Herbert-Fischer,
    Ich habe nicht geschrieben, dass eine „Mehrheit im Land (…) liberale und konservative Ideen auf die gleiche Stufe mit Rechtsextremisten (stellt)“. Ich haben nicht von einer „Mehrheit“ gesprochen.
    Ich habe, aus Anlass des Artikel über eine Studie der UNi KN, darauf hingewiesen, dass es nicht gut ist, wenn man liberale und konservative Ideen auf die gleiche Stufe mit Rechtsextremisten stellt. Mein Hinweis begründet sich damit, dass die Studie herausgefunden haben will, dass die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer der besagten Demos aus dem Rot-Grünen „Lager“ kämen, und dass die eher „konservativen“ Leute sich von dem politischen Framing (meine Worte) dieser Demos eher ausgegrenzt fühlen würden (so legt der Pressetext der Uni nahe).
    Unterfüttert werden meine Überlegungen mit persönlichen Beobachtungen und Erlebnissen sowie anekdotischen Bemerkungen anderer, die darauf hinaus laufen, dass man in bestimmten politischen Milieus dazu neigt, liberale und konservative Gedanken allzu schnell als „reaktionär“ oder „rechts“ abzuwerten. Eine Mitgliedschaft in der FDP oder der CDU kann in diesen Kreise bereits fast schon als ehrenrührig angesehen werden – kleine präzise Übertreibung meinerseits.

  3. Christina Herbert-Fischer

    // am:

    zu Peter Krause: es mag es ja geben, doch welche Mehrheit im Land stellt liberale und konservative Ideen auf die gleiche Stufe mit Rechtsextremisten? Können Sie mir das erklären oder verstehe ich Ihren Kommentar völlig falsch? Ich kann das nicht sehen. Als bekennende Christin stehe ich, wie die Kirchen, gegen völkisches und rassistisches Gedankengut. Ich stehe auch ohne die Kirchen genau da, bei aller Freude, dass sie sich so klar positionieren und endlich mal Flagge zeigen, viel deutlicher als so Einige in unserer Gesellschaft scheinbar den Mut haben.
    Das macht das, was nicht richtig ist in der Kirche nicht ungeschehen, aber es gibt echten Anlass zur Hoffnung. In der Kirche finden sich viele konservative und auch liberale Menschen. Was veranlasst sie zu diesen Aussagen? Ich verstehe es nicht so ganz und gehe offen auf Sie zu mit der Bitte um einen ehrlichen Dialog in gegenseitigem Respekt.

  4. Dr. Peter Krause

    // am:

    Es ist eben nicht klug, jeden, der „rechts“ von Rot-Grün steht, als „Rechtsextremisten“ zu brandmarken.
    Wenn es nur noch als demokratisch gilt, rot-grüne Positionen zu vertreten, wird es mit dem Pluralismus in der Gesellschaft schwierig. Man sollte doch nicht in Abrede stellen, dass es einen großen Unterschied zwischen liberalen und konservativen Ideen und Überzeugungen auf der einen Seite, und völkisch-nationalistischen Ideen und Überzeugungen auf der anderen Seite gibt.
    Wer Liberale und Konservative auf eine Stufe mit Rechtsextremisten stellt, der trägt nicht zu einer gemeinsamen Koalition zur Verteidigung und Bewahrung der Demokratie bei.

  5. Werner Volk

    // am:

    Eine Mischung kluger Protestler, zeigt die Umfrage. Denn ein Verbot der AfD führt ja nicht zum Sinneswandel der Wähler:innen. Und die Mandatsträger staatlich zu kriminalisieren hat auch eine Raffinesse im Wahljahr. Da landen nicht alle, aber ein Teil der Kreuze bei den Parteien, die Abschottung, Kriegseinsätze, Bezahlkarte und Einschränkung der Seenotrettung organisieren. Es ist ja flauschiger, von einem „Rückführungsverbesserungsgesetz“ zu schreiben. Sozusagen eine „Remigration mit Herz“. Ist das erreicht, kann man sich wieder dem Alltag widmen und seinen Frieden finden mit dem Kauf eines Lastenfahrrades oder ein wenig in veganen Rezeptbüchern stöbern.
    Im Yin und Yang klingt es auch viel besser, nicht negativistisch getönt „gegen“ die AfD zu wettern, sondern es „positiv zu drehen“ und ein Loblied auf die parlamentarisch verfasste Demokratie anzustimmen. Das bringt mehr Frieden in die Debatte. Denn manch rechten Wähler kann man so noch läutern – wenn der denn nicht zu verbohrt ist. Also: ein feiner Geist zeigt der AfD die Grenzen.
    Tiefer muss es auch nicht gehen. Ein wenig Sehnsucht, dass die Brandmauer von Kirchen und Gewerkschaften gut formuliert werden und besser halten, als die der CSU/CDU, SPD und FDP – das darf man ja noch mal träumen.
    Tiefer muss es im Wahljahr ja nicht gehen. Ein Blick auf Fluchtursachen, auf Handelsabkommen, auf Waffenexporte? Nee, das durchschaut man kaum und der/die Wähler:innen schon dreimal nicht. Also so was komplexes – wie soll man das vermitteln? Die Ziele nicht zu hoch setzen! AfD – Stimmen deckeln, das muss reichen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert