Mobilitätsgesetz

Mobilitätsabgabe: CDU bremst Kommunen aus

Mobilitätsgesetz

Mit einer neuen Abgabe können Kommunen mehr Geld für ihren Nahverkehr einsammeln – wenn der Landtag Mitte März dafür stimmt. Von ursprünglich vier Varianten sind auf Druck der CDU allerdings nur zwei übrig geblieben. Die vermutlich lukrativsten Mittel wurde gestrichen.

Die steigenden Kosten im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) spüren vor allem die Großstädte. Die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) wies 2023 ein Defizit von 38 Millionen Euro aus, die Freiburger VAG ein Minus von 23 Millionen Euro und die Stadt Heidelberg wendete mehr als 20 Millionen Euro für den ÖPNV auf. In Karlsruhe musste die Stadt sogar fast 100 Millionen Euro für die eigenen Verkehrsbetriebe aufwenden, Tendenz steigend. Auch aufgrund der hohen Verluste im Nahverkehr verhängte die Stadt Anfang des Jahres gar eine Haushaltssperre. Demgegenüber steht Konstanz mit Defizit der Busbetriebe von „nur“ 5,7 Millionen Euro geradezu glänzend da. Bundesweit rechnen die Verkehrsunternehmen mit einem Bedarf von 15 Milliarden Euro bis 2030 allein für den laufenden Betrieb.

Vor allem um ein besseres Angebot zu schaffen, will die baden-württembergische grün-schwarze Landesregierung nun als erstes Bundesland den Mobilitätspass einführen. Dabei sollen jeweils unterschiedliche Gruppen eine verpflichtende Nahverkehrsabgabe zahlen und erhalten dafür in gleicher Höhe ein Guthaben, das sie für Tickets im Nahverkehr einsetzen können. Das Konzept: Alle, die ohnehin schon regelmäßig den ÖPNV nutzen, zahlen nicht mehr und alle, die anderweitig unterwegs sind, sollen zum Umstieg animiert werden. Die Abgabe soll von den Kommunen erhoben und die zusätzlichen Einnahmen in den Ausbau des ÖPNV-Netzes gesteckt werden. Ob die Abgabe tatsächlich vor Ort erhoben wird, entscheiden die Kommunen selbst. Voraussetzung ist, dass das ÖPNV-Netz bestimmte Mindestanforderungen erfüllt. So soll in den Hauptverkehrszeiten in Großstädten mindestens ein 15-Minuten-Takt eingerichtet sein. Im ländlichen Raum muss alle 30 Minuten ein Bus oder eine Bahn kommen.

Die Landesregierung will den Kommunen nun zwei Möglichkeiten der Nahverkehrsabgabe eröffnen. Entweder könnten Städte und Gemeinden künftig von all ihren Einwohner:innen einen Beitrag für den Nahverkehr erheben. Oder sie nehmen eine Abgabe von allen, die ein Auto haben. In beiden Fällen sollen die Gebühren beim Kauf beispielsweise des Deutschland-Tickets verrechnet werden. „Nachdem die Nahverkehrsabgabe geleistet wurde, kaufen die Einwohnerinnen und Einwohner bzw. die Kfz-Halterinnen und -Halter ihre ÖPNV-Zeitkarten über die gewohnten ÖPNV-Vertriebswege – also im Netz, per App, am Schalter oder am Automaten“, heißt es vom Landesverkehrsministerium auf Anfrage.

Arbeitgeberabgabe und City-Maut gestrichen

Ursprünglich wollte das Verkehrsministerium den Kommunen weitere Möglichkeiten eröffnen, ihren ÖPNV zu finanzieren: eine City-Maut für alle, die mit dem Auto in die Stadt fahren, oder eine Arbeitgeberabgabe, die die Unternehmen für jeden ihrer Beschäftigten leisten sollten. Im Entwurf zum Landesmobilitätsgesetz sind diese beiden Varianten aber nicht mehr enthalten. Zu groß war der Widerstand bei der CDU. Alle vier Varianten waren vorher in Modellprojekten und Studien getestet worden. Sowohl die City-Maut als auch die Arbeitgeberabgabe seien für die beteiligten Kommunen „gut denkbar“ gewesen, so das Verkehrsministerium. „Andere Akteure haben dies kritischer gesehen, weshalb die koalitionäre Einigung diese nicht berücksichtigt hat.“

Einer dieser Kritiker ist Thomas Dörflinger, Vorsitzender des Arbeitskreises Verkehr der CDU-Fraktion. Er hält eine Arbeitgeberabgabe zur Finanzierung des ÖPNV für falsch. Schon heute finanziere die Wirtschaft das Nahverkehrsangebot über die Gewerbesteuer mit. „Mitten in einer Rezession wäre eine weitere – finanzielle und bürokratische – Belastung der Wirtschaft ein völlig falsches Signal“, sagt Dörflinger. Nahezu gleichlautend argumentiert die Industrie- und Handelskammer. Die Arbeitgeberabgabe würde Unternehmen „enorm“ belasten.

Scharfe Kritik übten die baden-württembergischen Unternehmen auch an der City-Maut, die auf Druck der CDU dann ebenfalls aus dem Gesetzentwurf verschwand. Von ihr hätte Konstanz mit seinem Einkaufstourismus besonders profitieren können. „Eine solche Maßnahme würde unsere Innenstädte erheblich belasten und ihre Attraktivität als Standorte für Handel und Dienstleistungen massiv beeinträchtigen“, hieß es von ihrem Verbandssprecher. Schon jetzt würde die Wirtschaft genug zum ÖPNV beitragen. Außerdem, betont Axel Nitschke, Hauptgeschäftsführer der IHK Rhein-Neckar: „Mit Jobtickets für ihre Mitarbeiter leisten sie bislang einen freiwilligen Beitrag zur ÖPNV-Finanzierung.“

2024 Stau

Wer Auto fährt, kann auch für Bus und Bahn zur Kasse gebeten werden.

In anderen Ländern funktioniert’s

Doch gerade dann sei der Mobilitätspass für Unternehmen doch gar kein Zusatzaufwand, meint der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD), der jüngst wieder zum Präsidenten des baden-württembergischen Städtetags gewählt wurde. „Für Arbeitgeber, die heute schon ein Jobticket anbieten, ist der Mobilitätspass kein Zusatzaufwand“, sagte Mentrup bei der Gesetzesanhörung im Verkehrsausschuss.

Im Kampf um Fachkräfte werden Angebote wie das Jobticket für Unternehmen zunehmend unverzichtbar und die Arbeitgeberabgabe damit zum doppelten Nutzen von Unternehmen und Kommunen. Alleine in Karlsruhe könne eine Arbeitgeberabgabe in Höhe von 15 Euro pro Mitarbeiter:in 480 Millionen Euro pro Jahr bringen. Davon würden nach Abzug der Ticketkosten 312 Millionen Euro direkt in den Ausbau des ÖPNV-Angebots fließen, hätten seine Modellrechnungen ergeben.

Unter den vier ursprünglich möglichen Varianten hätte sich Karlsruhe als eine der Modellregionen schnell für die Arbeitgeberabgabe entschieden. Sie sei die am weitesten entwickelte und am einfachsten umzusetzende Variante der Nahverkehrsabgabe, für die es international viele gute Beispiele gebe. Ein Vorbild ist „Versement Transport“ in Frankreich. Hier sind Unternehmen ab einer bestimmten Größe verpflichtet, einen Prozentsatz ihrer Lohnsumme als Abgabe zu entrichten.

In Wien müssen Unternehmen schon seit den 1960er-Jahren eine Dienstgeberabgabe leisten. Gerade das hohe Aufkommen an Pendler:innen zu ihren Arbeitsplätzen bringt den Nahverkehr in den Städten regelmäßig an Grenzen. Mit der City-Maut und der Arbeitgeberabgabe entfallen gerade „die Varianten des Mobilitätspasses, mit denen in Ballungsräumen und Großstädten eine echte Steuerungswirkung hin zu mehr ÖPNV hätte erzielt werden können“, sagt Mentrup.

Kostenloser ÖPNV?

Noch versuchen die Städte, Druck auf die Landesregierung zu machen, die Arbeitgeberabgabe doch noch im Landesmobilitätsgesetz zu verankern, das am 12. März verabschiedet werden soll. Die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, Silke Gericke, will sich zu der Auseinandersetzung in der Koalition nicht äußern. Der Entwurf zum Landesmobilitätsgesetz schaffe neue Finanzierungsmöglichkeiten für den ÖPNV und er eröffne den Kommunen „die Wahlfreiheit zwischen zwei Varianten.“ Warum das Land aber die Tür zu anderen Möglichkeiten wieder geschlossen hat? Dazu sagt Gericke nichts. Längst bekannt ist, dass – würden die Grünen auch nur ein Komma ändern wollen, wie ein Beteiligter sagt – die CDU dem Paket nach fast zwei Jahren Verhandlung nicht zustimmen würde.

Auch in Stuttgart wäre das Potenzial für den ÖPNV durch eine Arbeitgeberabgabe groß. Eine Abgabe zwischen 10 und 35 Euro könnte im Gebiet des Verkehrsverbunds Stuttgart (VVS) ein zusätzliches Netto-Erlöspotenzial zwischen 50 und 140 Millionen Euro bringen, berechnete das Landesverkehrsministerium. Das „Bürgerbegehren für ein ökologisches und soziales Stuttgart“ sieht die Arbeitgeberabgabe daher gar als zentralen Beitrag für einen kostenlosen Nahverkehr. Wenn alle Arbeitgeber es der Stadtverwaltung nachmachen und ihren Beschäftigten 49 Euro zahlen würden, wären die Ticketerlöse des VVS und der geschätzte Ausbaubedarf des ÖPNV schon finanziert, argumentieren die Organisator:innen des Bürgerbegehrens.

Text: Florian Kaufmann. Erstveröffentlichung in der Kontext-Wochenzeitung, Ausgabe 726.
Foto oben Joachim E. Röttgers, unten Pit Wuhrer

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