Laube, Verwaltungsgebäude 14.10.2019 sepia © Harald Borges

Mit Brieftaube und Rechenschieber

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Laube, Verwaltungsgebäude 14.10.2019 sepia © Harald Borges
Verwaltungsgebäude Laube © Harald Borges

Ganz Germanien ist seit Jahrzehnten digital vernetzt und lückenlos überwacht, niemand kann mehr einen Furz lassen, ohne dass der automatisch in die globale CO2-Bilanz eingerechnet wird. Ganz Germanien? Nein! Einige Unbeugsame verweigern bis heute eine anwenderfreundliche Digitalisierung – die öffentlichen Verwaltungen, zum Beispiel in Konstanz.

Das Thema Digitalisierung sollte ja eigentlich längst gegessen sein: Kinder müssen schon seit Jahren mit körperlicher Gewalt vom Internet ferngehalten und in die analogen Schulen getrieben werden; Sex findet viel öfter auf einem klebrigen Bildschirm als in den heimischen Einkaufspassagen statt; und besagte Einkaufspassagen selbst müssen demnächst auch noch dichtmachen, weil alle inzwischen im Internet kaufen.

Die Digitalisierung hat also die uns bekannte Welt grundlegend verändert.

Nur die öffentlichen Verwaltungen blieben davon unberührt, sie pflegen ihre obrigkeitlichen Traditionen seit Jahrhunderten ungebrochen: Bürger*innen haben nach wie vor auf dem Amt vorzusprechen, um die Erfüllung ihrer Anliegen zu betteln und sich von den dort sitzenden Machthaber*innen oft genug nach Strich und Faden demütigen zu lassen.

Da lachen ja die Hühner

Das alles ist unerfreulich, aber eben der Brauch. Der Staat ist zwar gern bereit, demokratisch engagierte Bürger*innen digital nach allen Regeln der Kunst auszuspähen, aber seine Kommunalverwaltungen sind nicht willens oder in der Lage, seinen Untertanen den Gang aufs Amt zu ersparen.

Und dabei bleibt es wohl auch. Zumindest, wenn mensch der Informationsvorlage 2023-3087 glaubt, die morgen im Haupt-, Finanz- und Klimaausschuss beredet wird. Vorneweg ein Lob: Der Autor der Vorlage versteht offenkundig etwas von der Sache und scheut sich nicht, den gesalzenen Finger tief in die schwärenden Wunden des Verwaltungsnichthandelns zu pressen, statt im Smart-Green-Irgendwas-Stil rumzuschwurbeln.

Das Papier benennt das Versagen sehr deutlich: „Das Onlinezugangsgesetz (OZG) wurde 2017 verabschiedet und sollte die Digitalisierung der Verwaltungsdienstleistungen in Deutschland vorantreiben. 570 Leistungen sollten flächendeckend bis Ende 2022 digitalisiert werden. Dieses Ziel wurde leider verfehlt. […] Auch wenn es heute mehr digitale Formulare gibt, sind diese in der Regel nicht mit den Fachverfahren verbunden. Die Sachbearbeiterin oder der Sachbearbeiter erhalten also nun, anstatt des Papierantrags, eine PDF in einem digitalen Postfach. Der Inhalt muss dann händisch in das Fachverfahren übertragen werden. Zusammen mit den Rückfragen und der Pflege eines weiteren Kommunikationsweges entstehen für die Behörde hier nur Mehraufwand und es stellt sich keine Erleichterung ein.“

Würde etwa ein Kiosk, das Katzenfutter an räudige Straßenköter verteilt, so geführt, wäre es nicht nur längst pleite, sondern würde von denselben Behörden wegen nicht ordnungsmäßiger Geschäftsführung geschlossen. Oder stellen Sie sich nur mal eine Kneipe ohne digitales Kassen- und Buchhaltungssystem vor, während auf den Ämtern noch der Rechenschieber im Einsatz ist – nicht zum Rechnen, versteht sich, denn dafür haben die Amtswalter*innen ja ihre zehn marmeladenverschmierten Finger, sondern um den Untertanen damit zu züchtigen, wenn er nicht spurt.

Mit anderen Worten: Die Verwaltung ist gegenüber der Gesellschaft und der raffgierigen Wirtschaft um Jahrzehnte zurück.

Rückstand soll ausgebaut werden

Leider gedenkt sie, diesen Rückstand hartnäckig zu verteidigen: „Der Entwurf des OZG 2.0 Gesetzes befindet sich aktuell im Gesetzgebungsverfahren und soll voraussichtlich ab 01.01.2024 in Kraft treten. Im Oktober 2023 kamen 14 Sachverständige aus Forschung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft sowie VertreterInnen der Kommunalen Spitzenverbände im Deutschen Bundestag zu Wort. Das Urteil von Malte Spitz vom Nationalen Normenkontrollrat (NKR) fasste ihre Kritik zusammen: Die Änderungen des OZG werden keine Trendumkehr in der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung einleiten. Eine Nachbesserung müsste folgende Forderungen beinhalten: (offene) Standards und Schnittstellen, ein transparentes Monitoring und klare Zielvorgaben. […] Das Gesetz bietet somit nicht die nötige Grundlage, um eine deutschlandweite End-zu-End-Digitalisierung zu organisieren und umzusetzen.“

Aber natürlich benennt die Stadt Konstanz diese Fehlentwicklung vor allem deshalb so deutlich, weil sie sich damit in bester Gesellschaft wähnt: „Auf Landesebene sieht es leider nicht besser aus. Das Serviceportal des Landes (Service-BW) wird nicht mehr weiterentwickelt und die vorhandenen Prozesse sollen auf das „neue“ OZG-HUB umgezogen werden (bis 2025). Hierbei handelt es sich wiederum um ein reines Front-End, das zudem in seinem Funktionsumfang eingeschränkt wurde und noch weniger eigenständiges Handeln der Kommunen ermöglicht. Die Abhängigkeit von Zertifizierungsstellen und Dienstleistern wird noch größer, bei geringerem Nutzen für die Kommunen.“

Ein halbes Jahrhundert hinterher

Ein Mensch, der sein Geld einige Jahrzehnte lang mit Software verdient hat, wird unwillkürlich von Lachen erschüttert, wenn er liest, welch grundlegende Prinzipien der Softwareentwicklung erst jetzt von den öffentlichen Verwaltungen überhaupt erkannt werden: Man muss natürlich den gesamten Prozess digitalisieren, von der Datenerfassung über die -bearbeitung bis hin zur Ausgabe. Außerdem muss nicht jedes Dorf seine eigene Softwarelösung entwickeln, um am Ende das ganze Land mit einem völlig unbrauchbaren und heillos überteuerten Flickenteppich zu verwüsten. „Um diesem Ziel näherzukommen, gibt es in Deutschland die so genannten Einer-für-Alle-Leistungen (EfA). Der Gedanke hinter dem EfA Prinzip ist einfach. Eine Kommune oder ein Bundesland gibt die Digitalisierung eines Prozesses in Auftrag und alle Kommunen können das Ergebnis dann nachnutzen. Bei der Umsetzung kommt es, dank mangelnder Standardisierung und fehlenden Regeln, zu Prozessen mit sehr unterschiedlichen Reifegraden.“

Mit anderen Worten: Jeder wurschtelt vor sich hin, und am Ende passt nichts zueinander, alle müssen allüberall das Rad immer wieder neu erfinden, weil sie sich im Vorfeld nicht darauf einigen wollten, wie groß die Bohrung für die Achse und die Muttern sein sollen.

Das Fazit der Sitzungsvorlage: Bei der derzeitigen Entwicklungsgeschwindigkeit „sind wir frühestens im Jahr 2050 mit der Digitalisierung der OZG-Prozesse fertig. Wenn wir alle nicht OZG-relevanten Prozesse mit einrechnen, werden die Prozesse wahrscheinlich eher 2070 digitalisiert sein.“

2050 oder 2070 – nur 81 bzw. 101 Jahre nach der ersten bemannten Mondlandung und mit nur 28 bzw. 48 Jahren Verspätung gegenüber dem OZG. Bis dahin ritzen wir unsere Anliegen für die Behörden weiter wacker in Tontafeln und lassen die Brieftauben flattern. (Nur die Bahn ist noch besser: Die wird die Zugverspätungen bald in Jahrzehnten und nicht mehr in Stunden messen und ihre Fahrpläne gar nicht mehr veröffentlichen, um dann einhundertvierprozentige Planerfüllung melden zu können.)

Allerdings geschieht etwas hinter den Kulissen, um die Brieftauben schon früher arbeitslos zu machen und endlich wieder dem Nahrungskreislauf zuführen zu können. „Wie bisher beschrieben, besteht keine allgemeine Bundes- oder Landesstrategie, die eine flächendeckende Digitalisierung ermöglichen würde. Die Kommunen müssen also selbst die Initiative ergreifen, um wenigstens zum europäischen Mittelfeld aufschließen zu können. Ziel sollte es sein, dass wir in Konstanz 2030 alle Bürgerservices End-zu-End digitalisiert anbieten können.“

Dazu hat sich jetzt eine Arbeitsgruppe gebildet, „ein freiwilliger Zusammenschluss von Digitalisierungsbeauftragten und IT-lern, die sich für die Digitalisierung in den Kommunen und öffentlichen Verwaltungen Baden-Württembergs engagieren“ und versuchen wollen, die Arbeit der Behörden durch einen anderen Entwicklungsweg, den Low-Code-Ansatz, zu beschleunigen.

Das ist doch mal eine gute Nachricht. Zumindest für all jene, die die ersten Früchte der Ämterdigitalisierung noch zu ihren Lebzeiten pflücken wollen.

Quelle: Informationsvorlage 2023-3087, „Vom Online-Zugangs-Gesetz (OZG) zur Low Code Plattform in Konstanz – Verwaltungsdigitalisierung in der Stadt Konstanz“, Zugriff 12.11.2023.

Text: O. Pugliese, Bild: Harald Borges

2 Kommentare

  1. Peter Helm

    // am:

    Hierzu kann ich Sie nur verweisen auf die Initiative „Public Money – Public Code „https://publiccode.eu/de/“
    Dort wird schon länger gefordert, dass im öffentlichen Auftrag erstellte Software freie Software sein sollte (=für alle Kommunen nutzbar)

  2. Wolfgang Daub

    // am:

    Danke für den „schönen“ Beitrag! Aber: Ist das nicht die Folge von Quote statt Qualifikation in der gesamten öffentlichen Verwaltung?

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