
In der Kreistagssitzung am 8. Dezember steht ein Haushaltsentwurf zur Beratung, dessen politische Bedeutung weit über reine Etatfragen hinausreicht. Es geht nämlich auch um jene jährliche Förderung von 10.000 Euro, mit der der Landkreis Konstanz bislang die zivile Seenotrettung unterstützt hat.
Dass das Signal dieser Entscheidung weithin gehört werden wird, dürfte den meisten Fraktionen bewusst sein, denn kaum eine Kreistagsangelegenheit hat in letzter Zeit mehr – auch überregionale – Aufmerksamkeit gefunden. Trotzdem scheinen viele Angehörige der Verwaltung wie des Kreistages darauf zu setzen, dass es sich hinter Haushaltsfragen und Zuständigkeitslogik gut verstecken lässt.
Schon im Sozialausschuss vom 17. November zeichnete sich ab, wohin die Reise am Montag gehen dürfte. Grüne und JuFoDiLI (Fraktionsgemeinschaft Junges Forum/Die Linke) beantragten dort, die Mittel beizubehalten, aber ihr Antrag wurde abgelehnt. Dieselben Fraktionen wollen den Antrag nun im Kreistag am 8. Dezember erneut stellen, wohl wissend, dass die Mehrheiten auch dort kaum reichen dürften.
Doch die politische Brisanz liegt nicht allein in der Entscheidung selbst. Sie liegt in der Vorgeschichte – und in der erstaunlichen Fähigkeit einer politischen Mehrheit, das Falsche nur dann abzulehnen, wenn es von der falschen Seite zur Abstimmung gestellt wird.
Ein Mehrheit gegen die AfD – und eine Selbsttäuschung?
Im Oktober beantragte die AfD, die Förderung der Seenotrettung komplett zu streichen. Dass sie dabei ganz explizit um die Zustimmung der CDU warb, ist weder Zufall noch Perfidie. Die CDU hatte ja nach ihrem – später zurückgezogenen – Antrag, die Seenotrettung künftig an Bedingungen wie den Rücktransport der Flüchtlinge zu knüpfen, angekündigt, das Geld ab 2026 nicht mehr bewilligen zu wollen.
Doch die CDU verweigerte sich standhaft den Avancen der AfD: Auf deren „Spielchen“, so CDU-Kreisrat Andreas Hoffmann, lasse man sich nicht ein. So bekam der AfD-Antrag letztlich nur die AfD-Stimmen und wurde damit klar abgelehnt.
Ein Sieg für Demokratie und Menschlichkeit? Ein Zeichen, dass die Brandmauer im Kreistag Konstanz intakt ist? Das Konstanzer Bündnis für Demokratie schien gewillt, es so zu sehen. Es zeigte sich erleichtert über den Beschluss und lobte dabei explizit die CDU. Diese bekenne sich „auf Bundesebene mit klaren Worten und […] im Kreistag mit ebensolchen Taten zur Brandmauer gegen die rechtsradikale AfD“, heißt es in einer Pressemitteilung vom 21. Oktober.
Der Haushalt – Humanität als Kostenpunkt?
Das Hauptargument gegen den AfD-Antrag war allerdings nicht, dass man ihn inhaltlich ablehne. Die Verwaltung machte vielmehr deutlich, dass der Antrag ins Leere laufe, weil im Haushalt ohnehin keine Mittel für die Seenotrettung mehr eingeplant seien. Günstiger war Zusammenhalt gegenüber der AfD tatsächlich noch nie zu haben: Man lehnt ihren Antrag ab, weil man seine Inhalte ohnehin schon auf die Agenda gesetzt hat.
Wir sehen: Wer dagegen ist, gemeinsam mit der AfD die Unterstützung der Seenotrettung zu streichen, ist eben noch lange nicht dafür, sie auch weiterhin zu zahlen.
Die Verwaltung wiederum bemüht sich, die Streichung als technische Entscheidung zu verkaufen. Man wolle die Mittel künftig lieber in Integrationsprojekte vor Ort investieren statt in Seenotrettung auf dem Mittelmeer. Es ist eine respektable Begründung – und gleichzeitig eine, die den Kern der Auseinandersetzung verfehlt. Denn Seenotrettung ist keine Verhandlungsmasse zwischen zwei Haushaltstiteln, über kein anderes Kreistagsthema haben sogar SWR und Süddeutsche Zeitung berichtet, und kein anderes hat derart viele Bürger:innen in den Sitzungssaal gebracht.
Der „Sichere Hafen“, der nie einer war?
Worüber also streitet der Kreistag eigentlich seit 2019 wiederholt und teils erbittert? Geht es wirklich nur um 10.000 Euro – eine Petitesse bei einem Gesamtetat von 585 Millionen Euro?
Zurück zum Anfang: Die Entscheidungen des Konstanzer Kreistags zu diesem Thema sind nicht erst seit der migrationspolitischen Rechtswende der CDU verwickelt. Schon am Start stand ein Beschluss, der sich durch Unklarheit auszeichnete und bei dem Symbolik vielen wichtiger war als Konsistenz. 2019 brachten Grüne, SPD und Linke einen Antrag ein, der neben der finanziellen Förderung der Seenotrettung den Beitritt zum Bündnis „Städte sicherer Häfen“ und die Aufnahme von Geflüchteten über die vorgesehene Quote hinaus vorsah.
Alle Punkte des Antrags wurden mehrheitlich abgelehnt, doch dann tat sich die CDU mit einem Kompromissvorschlag hervor: Aus einer acht Punkte umfassenden Liste der „Seebrücke“, wie man sich zum „Sicheren Hafen“ erklärt, pickte man fünf mehrheitsfähige Punkte heraus – die Aufnahme zusätzlicher Geflüchteter war nicht dabei, die Seenotrettung schon. Diese fünf Punkte wurden beschlossen und die Verwaltung mit deren Umsetzung beauftragt.
In den Augen der Seebrücke wurde der Landkreis damit zum Sicheren Hafen – er wird auf deren Webseite als solcher geführt. Wie die Seebrücke erläutert, setzt das nämlich nicht die Erfüllung sämtlicher Anforderungen voraus.
Der Landrat sieht das allerdings anders, denn beim Versuch der Verwaltung, die ihr aufgetragenen Beschlüsse umzusetzen, stieß man bereits 2020 auf eine unerwartete Barriere: Um Teil des Bündnisses „Städte sicherer Häfen“ zu werden, hätte man sich eben doch bereit erklären müssen, freiwillig mehr Flüchtlinge aufzunehmen als die Quote vorgibt. Ergo, so der Landrat, sei man in Wirklichkeit nie ein Sicherer Hafen gewesen.
Alle Unklarheiten und Inkonsistenzen eingerechnet, liegt jedoch nahe, dass die Weigerung des Landrats, den Kreis als Sicheren Hafen zu betrachten, auch viel mit politischer Opportunität zu tun hat: Wo man nicht beigetreten ist, kann man nicht austreten. Und das würde ja auch wirklich nicht gut klingen …
„Entsolidarisiert euch“ als neues Credo?
Menschlichkeit gegenüber Geflüchteten ist derzeit politisch ohnehin nicht en vogue. Der Rechtsruck geht zwar sichtbar von einer Partei aus, doch die Verschiebungen reichen längst tief in die politische Mitte – von der Zustimmung zum reformierten GEAS über gestoppte humanitäre Aufnahmeprogramme bis hin zur faktischen Duldung rechtswidriger Zurückweisungen an den Grenzen. Und schließlich hat auch der Bund seine Zuschüsse für die zivile Seenotrettung gestrichen.
Warum also sollte der Landkreis Konstanz diesem Trend nicht einfach folgen? Andere Kommunen haben diese Debatte bereits geführt. Einige wenige – etwa Nußloch oder Cottbus – sind aus dem Bündnis der „Sicheren Häfen“ ausgetreten. Doch weit häufiger wurden entsprechende Anträge klar abgelehnt: beispielsweise letzten Oktober in Villingen-Schwenningen, aber auch in Stuttgart, Reutlingen und Leipzig. Besonders bemerkenswert: Selbst in Panketal – einer 20.000-Einwohner-Gemeinde in Brandenburg, in deren Gemeinderat die AfD die größte Fraktion stellt – scheiterte ein Austrittsantrag. Trotz politisch schwieriger Mehrheiten hielt man dort an Solidarität, Humanität und einer klaren Linie gegen rechts fest. Wenn sogar eine solche Kommune standhaft bleibt, sollte das größeren und politisch stabileren Gebietskörperschaften Anlass geben, sich nicht wegzuducken.
Über 300 Städte und Landkreise in Deutschland verstehen sich weiterhin als „Sichere Häfen“. Und der Landkreis Konstanz ist keineswegs der einzige, der die Seenotrettung auch finanziell unterstützt: Bochum und Rostock etwa tun das ebenfalls – beides Kommunen, die finanziell keineswegs üppig ausgestattet sind. Regensburg hat in diesem Jahr sogar bis zu 30.000 Euro zusätzlich bei einer Spendenaktion zugesagt, obwohl auch dort die Haushaltslage angespannt ist. Das zeigt: Es geht nicht um die Frage, wer „es sich leisten kann“. Es geht darum, wer bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.
Es geht um mehr als nur um Geld
Wenn der Kreistag am 8. Dezember die Förderung der Seenotrettung streicht, dann wird das nicht als größerer politischer Akt verkauft werden. Es wird aussehen wie eine Haushaltsanpassung. Wie eine Verschiebung von Mitteln. Wie etwas, das man eben so tut, wenn einem andere Dinge wichtiger sind.
Doch für Menschen, die im Mittelmeer in lebensgefährliche Situationen geraten, machen solche Entscheidungen einen Unterschied. Wer sich vor fünf Jahren zur Solidarität mit Geflüchteten bekannte, kann sich heute nicht davonstehlen, ohne klar und deutlich zu sagen, dass sich etwas Grundlegendes an seiner Haltung geändert hat.
Die politische Mehrheit im Kreistag mag hoffen, dass diese Entscheidung als eine von vielen in der Haushaltsdebatte mehr oder weniger unbemerkt bleibt. Aber sie reicht in Wirklichkeit deutlich weiter, als die paar Tausend Euro vermuten lassen. Sie ist eine Absage an ein Bündnis, das sich auf die Fahne geschrieben hat nicht wegzusehen, wenn Menschen ertrinken. Eine Absage an die Solidarität der vielen, bei der jeder einen Beitrag leistet. Sie ist ein Abgesang auf „Wir schaffen das“ – und ein Symbol politischer Selbstaufgabe.
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– Die öffentliche Sitzung des Kreistags beginnt am Montag, 08.12., um ca. 14.45 Uhr im Landratsamt Konstanz, Benediktinerplatz 1. Die Sitzungsunterlagen finden Sie hier.
– Die Installation „Mission Menschlichkeit“, eine Verhüllung des Kreuzes in der Lutherkirche an der Laube in Konstanz, findet am 08.12. um 18.00 Uhr statt. Sie ist eine Kooperation der Lokalgruppen von „Sea Eye“ und „Seebrücke“ und der Evangelischen Gemeinde Konstanz. Die Initiator*innen möchten ein Zeichen setzen, dass Menschlichkeit keine Grenzen kennen darf.
O. Pugliese


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