
Wer nicht will, dass sich an den Schulen rechtsextreme Tendenzen breit machen, muss sich ums Bildungssystem kümmern – und es auf allen Ebenen verbessern. Das war eine der Botschaften, die streikende Schüler:innen am Mittwoch durch Konstanz trugen.
„Kaputte Schulen, kaputte Zukunft!“ – „Geld in Bildung, nicht in Waffen!“ – „ Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Bildung klaut!“ „Gute Bildung kostet, schlechte ruiniert!“ Die Parolen waren gut zu hören auf dem Weg, den die kleine Demonstration anläßlich des Konstanzer „Bildungsstreiks“ vom Herosépark über die Fahrradbrücke und vorbei am Humboldt- und am Ellenrieder-Gymnasium zum Münsterplatz nahm. Aufgerufen hatten dazu die Linksjugend ’solid und die Grüne Jugend Konstanz.
Ausgestattet mit dem Banner „Bildung statt Bomben“, ver.di-Westen, einem Lautsprecher-Wägelchen und Fahnen der beiden Organisationen machten die Jugendlichen auf die Miseren im Bildungswesen aufmerksam: die mangelnden Investitionen ins Bildungssystem überhaupt, den Fachkräftemangel, das vielgliedrige Schulsystem (das zu viele Junge zurücklässt), das unzureichende Bundesausbildungsförderungsgesetz BAFöG (das allen, auch Auszubildenden, ein selbstbestimmtes Lernen ermöglichen sollte) – und der Mangel an Demokratie und echter Mitbestimmung in den Schulen.
Dazu artikulierten die rund fünfzig Demonstrant:innen lokale Forderungen, die vor Ort umgesetzt werden könnten: lokales Catering an den Schulen, besseres, nachhaltigeres Schulessen, eine konsequente und transparente Digitalisierung. Und, endlich, ein späterer Schulbeginn: Die erste Unterrichtsstunde um 7:45 Uhr sei einfach viel zu früh.
Ungesunder Start in den Schultag
„Wir haben den frühesten Schulstart in ganz Europa“, erläuterte beispielsweise Kilian Boos von ’solid auf der kurzen Zwischenkundgebung vor dem Humboldt-Gymnasium. Mittlerweile hätten nämlich „mehrere Studien bewiesen, dass ein späterer Schulstart positive Auswirkungen erstens auf die Lernfähigkeit der Schüler:innen hat und zweitens auf die Gesundheit“.
Viele Bundesländer „haben inzwischen den Schulstart gebündelt nach hinten verschoben“, nicht aber Baden-Württemberg. Und auch nicht die Konstanzer Schulen. „Dabei ist es letztendlich in der Entscheidung jeder Schule, wann sie mit dem Unterricht beginnt“.
Deshalb werben er und seine Mitstreiter:innen für die Petition „Späterer Schulstart in Konstanz“, die von allen – also nicht nur Schüler:innen – unterzeichnet werden kann und soll.
Überhaupt stecke das Bildungssystem, „das aus aus dem späten 18. bis frühen 19. Jahrhundert kommt“ (so Kilian Boos), noch viel zu sehr in der Vergangenheit fest. Und nicht nur das: Seit Jahren wird an der Bildung gespart, viele Schulen sind marode, die Forderung nach einer Demokratisierung der Schulen verhallt seit einem halben Jahrhundert ungehört.
Keine Chancengleichheit
In diese Richtung argumentierte auch Nick Streile von der Grünen Jugend bei einem Stopp der Demo vor dem Ellenrieder Gymnasium, aus dessen Fenstern zahlreiche Schüler:innen die Kurzkundgebung verfolgten. „In Deutschland entscheidet noch immer die Herkunft über die Bildungschancen. Die Wahrscheinlichkeit, ein Studium zu beginnen, liegt für ein Kind von Akademiker:innen bei knapp 80, für ein Kind von Nicht-Akademiker:innen bei gerade einmal 27 Prozent“, sagte er. Dabei gebe es dafür keinen sachlichen Grund: „Nicht unsere Eltern vererben uns ihren Bildungsgrad, das Bildungssystem zwingt ihn uns auf.“

Ein Faktor dabei sei das bestehende BAFöG-System, das eigentlich den Nachwuchs der einkommensschwachen Bevölkerung fördern sollte: „Es verpflichtet Eltern zwar gesetzlich, ihre Kinder finanziell zu unterstützen, ignoriert aber völlig die Lebensrealität.“ Denn zahlen die Eltern nicht, bleibt dem Kind nur die Unterhaltsklage – gegen die eigenen Eltern. Ein Ausweg daraus sei „ein elternunabhängiges BAföG, als echte Absicherung für alle, unabhängig vom Elternhaus“.
Ungenügend ist auch das Berufsschulwesen, erläuterte Streile. Dass sich immer weniger Jugendliche für eine Berufsausbildung entscheiden, habe auch damit zu tun, dass der Ausbildungsweg abschrecke: „Die Berufsschulen unseres Landes können vom Stand der Technik nur träumen, und in strukturschwachen Regionen sind sie teils kaum zu erreichen.“ Es brauche gleiche Ausstattung und gleiche Wertschätzung, egal ob Studium oder Ausbildung.
Demokratie braucht Bildung
Ein zentraler Punkt in Streiles Rede, die er zum Abschluss der Aktion vor den auf dem Münsterplatz versammelten Tourist:innen wiederholte, war die zivilgesellschaftliche Bedeutung eines funktionierenden Schulwesens: „Bildung ist die Grundlage unserer Demokratie. Ihre Aufgabe ist es, uns den Wert und die Werte der freiheitlichen Grundordnung zu vermitteln.“
Genau dabei aber versage das System. Letzte Woche titelte der Deutschlandfunk „Rechtsextreme Straftaten an Schulen auf Rekordhoch“; dass Schüler:innen Hakenkreuze in Schulbänke ritzen, weil sie die freiheitliche Grundordnung nicht verstehen oder sie gar missachten, sei besorgniserregend. „Wer Demokratie will, muss Bildung stärken“, so Streile. Denn es gehe nicht nur um bessere Klassenzimmer und mehr BAföG: „Es geht um unsere gemeinsame Zukunft als freie und demokratische Gesellschaft.“
Viel besser ist kaum auf den Punkt zu bringen, was die Demonstrant:innen auf die Straße brachte.
Text und Fotos: Pit Wuhrer
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