
Am 10. September 2025 wurde Anselm Venedey, ehemaliger Stadtrat und Mitgründer des Bündnisses „Konstanz für Demokratie – Klare Kante gegen rechts in Stadt und Landkreis“, eine besondere Ehre zuteil: Die Stadt Konstanz verlieh ihm die Ehrennadel für sein herausragendes Engagement für Kultur und Demokratie. In seiner Dankesrede machte er deutlich, wie eng diese miteinander verbunden sind und wie wichtig es ist wachsam zu bleiben, wenn das menschliche und kulturelle Miteinander bedroht ist.
Wir veröffentlichen nachfolgend seine Rede im Wortlaut:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für diese Auszeichnung, die ich eigentlich gar nicht annehmen wollte, halte ich es doch mit den Hanseaten, deren Ordensverbot auf das 13. Jahrhundert zurückgeht. Dieses sollte dafür sorgen, dass keine Insignien irgendeinen Hanseaten als „einen vorzüglicheren“ als alle anderen auszeichnen sollte. Hier gilt die Devise „Über Dir keinen Herren, unter Dir keinen Knecht!“ Welch ein moderner und sympathischer Ansatz!
Ich nehme diese Ehrung deshalb stellvertretend an – und zwar stellvertretend für alle Kulturschaffenden in unserer Stadt und alle Freundinnen und Freunde, die sich aus Sorge um die Wehrhaftigkeit der Demokratie entschlossen haben, diese unsere Demokratie aktiv durch ihr persönliches Engagement zu verteidigen.
Dass diese zwei Gruppen ganz eng miteinander verbunden sind, sollen meine kurzen Ausführungen in Erinnerung rufen.
Kultur und Demokratie sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Denn die Kultur schafft Räume für Reflexion und Auseinandersetzung, die demokratische Werte vermitteln und fördern. Dieses Haus hier, dem ich mich so eng verbunden fühle, dient zum Beispiel neben der Bewahrung und Vermittlung von grossartigen Kunstwerken aus allen Epochen auch als Ort gesellschaftlicher Debatten und Wertevermittlung, die für eine gesunde Demokratie unerlässlich sind.
Schauen wir uns hier im Haus nur die Dauerausstellung zur NS-Zeit an, oder werfen wir einen Blick in die aktuelle Ausstellung „Maskeraden“. Da geht es selbstverständlich nicht nur um die komischen Aspekte der Fastnacht, sondern auch um die Irrwege, die diese genommen hat.
Kritisches Denken wird gefördert und befördert. Die Kultur regt hier im Haus immer auch zu Beteiligung und aktiver Teilhabe an und gibt auch leisen Stimmen Gehör, besonders denen marginalisierter Gruppen. Damit stärkt sie ganz unmittelbar die Kompetenzen für eine demokratische Kultur, indem sie Bildung vermittelt, Kreativität fördert, Selbstwirksamkeit schafft und einen Beitrag zur politischen Willensbildung leistet. Genau so tut das die Kultur seit der Antike, wo Tragödien und Komödien nicht nur der Belustigung der Zuseherinnen und Zuseher diente, sondern zur politischen Willensbildung beitrugen.
Doch um eben keine Staatskunst zu produzieren, bedarf es freier Künstlerinnen und Künstler. Diese Freiheit garantiert ihnen in unserem Fall unser politisches System: die Demokratie bundesrepublikanischer Ausprägung. Bislang war diese unmittelbare Verbindung von Kultur und Demokratie durchaus als Staatsräson zu sehen. Noch 2021 bezeichnete die ehemalige Kulturstaatsministerin Grütters von der CDU das Öffentlich-Zugänglich-Machen der Kunst als „Bringschuld gegenüber der Bevölkerung“.
Schaut man sich jedoch das aktuelle Strategiepapier der AfD an, dann sieht man, wie ein „Dauerkulturkampf“ angezettelt werden soll, mit dem Ziel, die politische Mitte zu spalten, Konflikte zu schüren, die Koalition zu destabilisieren, die SPD und Grüne nach links und die Union nach rechts zu treiben. In diesem „Dauerkulturkampf“, den die AfD ausgerufen hat, geht es selbstverständlich nicht nur um die vielzitierte „Hochkultur“ mit ihren demokratischen Trutzburgen Museum, Theater und Konzert und freie Kunst- und Bildungsszene.
Nein, natürlich ist Kultur viel mehr als das, was uns vielleicht im Anblick der gotischen Meisterwerke hier nebenan zuerst in den Sinn kommen mag. Wir müssen den Kulturbegriff viel weiter fassen. Es geht namentlich auch um die Erinnerungskultur, die die AfD verändern will. Wir müssen also die Kultur unmittelbar mit der Demokratie und dem gesellschaftlichen Miteinander verknüpfen, um sie zu verteidigen.
Menschliches Tun, künstlerisches Schaffen und Demokratie verbinden sich in unserer Gesellschaft zu einem Dreiklang aus sich ständig gegenseitig bedingenden Einflüssen. Damit macht die Kultur unsere Gesellschaft erst aus und unsere Gesellschaft die Kultur erst möglich. Hier sind Rituale, Werte, Symbole, Geschichte und Geschichten, Verbote, Riten und Mythen gleichzeitig Teile der Demokratie und der Kultur. Genau an diesen Schnittstellen wollen die Feinde der Demokratie ansetzen. Denn das eine gibt es nicht ohne das andere.
Die Verächtlichmachung der queeren Kultur mit der Ablehnung von bunten Fahnen auf dem Reichstag und der Diffamierung dieser Szene mit einem Wort wie „Zirkuszelt“ sind erste Erfolge des Dauerkulturkampfs, den die AfD ausgerufen hat und den sie nun teils nicht einmal mehr selbst führen muss. Das ist offensichtlich, geht durch die Presse. Wir können es täglich beobachten. Damit ist die Kultur auch der schnellste Indikator für diese gesellschaftlichen Veränderungen. Oder man drückt es ganz einfach aus: Geht es der Kultur an den Kragen, dann auch der Gesellschaft und mithin der Demokratie.
Das ist es, was wir derzeit weltweit sehen – nicht nur unter den Präsidentschaften eines Donald Trump und eines Wladimir Putin. Nein, das sehen wir auch ganz konkret hier bei uns im Land, mit dem Versuch, die Kultur zu kanalisieren, sie zu begrenzen. Wenn Politikerinnen und Politiker im Glauben an die Rückgewinnung von Wähler:innenstimmen vom rechten Rand sich an solchen Diskussionen beteiligen, dann sägen sie selbst an einem der Pfeiler des eben beschriebenen Dreiklangs und erreichen das Gegenteil dessen, was sie sich wünschen.
Die aktuellen Umfragewerte bestätigen dies auf beängstigende Weise. Während im vergangenen Jahr nach den bundesweiten Massenprotesten gegen die AfD deren Zustimmungswerte stark fielen, so steigen sie nun im Umkehrschluss, wenn AfD-Themen die Politik der Regierungsparteien bestimmen. Die Reduktion der Politik auf Themen, die die Feinde der Demokratie vorgeben, hilft nur diesen Feinden.
Es bedarf also einer Umkehr und nicht einer Auseinandersetzung, die nur verloren werden kann. Noch schlimmer als diese Politikerinnen und Politiker, die blauäugig die Feinde der Demokratie mit deren eigenen Waffen schlagen wollen, sind nur jene, die die Kulturausgaben auch in unserer Kommune aus reinem Sparwillen beschneiden wollen und sich somit ungewollt zu willfährigen Helfer:innen machen.
Derzeit beobachten wir ein Verächtlichmachen der Demokratie vor allem in den strukturschwachen Gebieten der Bundesrepublik. Diese Strukturschwäche ist aber eben nicht nur eine wirtschaftliche Strukturschwäche, sondern vor allem auch eine kulturelle. Der bisher bescheidene Erfolg der Feinde der Demokratie in Städten wie Konstanz oder auch Freiburg ist mit größter Sicherheit auch ein Resultat der relativen kulturellen Strukturstärke dieser Städte und somit der Arbeit der Frauen und Männer hier im Saal, für die ich stellvertretend diese Ehrung entgegennehme.

Jeden Tag erinnert mich die Regenbogenfahne (war es zu Beginn nicht eine Pridefahne?) auf der Rheinbrücke daran, dass es sich lohnt, diesen Kampf für die Kultur und die Demokratie zu führen.
Vielen Dank Herr Oberbürgermeister, dass Sie die Konstanzer Kultur noch bunt sein lassen. Die Fahne ist hoffentlich noch lange ein Beweis für die Wehrhaftigkeit unserer Stadtgesellschaft.
Der gesellschaftliche Nutzen von Kultur lässt sich leider nur sehr schwer in Euro und Cent beziffern. Aber müsste man es tun, so würde man eine Summe errechnen, die die immer bescheidener werdende Kulturförderung bei weitem übertrifft.
Streichung von Kulturmitteln, Einengung der Kunstfreiheit sind somit IMMER falsch – egal, ob bei der freien Kunst gespart wird oder bei der vorhin schon zitierten Hochkultur mit Museum, Theater und Philharmonie, ob es bei den Büchereien oder den Volkshochschulen, beim Kula oder den Fördermitteln für die freien Kulturschaffenden oder beim Kulturamt ist. Denn diese Kürzungen entfernen die Gesellschaft vom Ziel des gleichberechtigten, friedlichen Miteinanders.
Ein ferner Trost am dunklen Horizont mag sein, dass letztlich keines der Systeme, die die Kultur und die Freiheit des Menschen beschnitten hatten, auf Dauer überleben konnte. Und auch wenn es derzeit so aussehen mag, als würden wir zurückgeworfen in eine Zeit, in der die Demokratie nichts mehr gilt, und in eine Zeit, in der die Künstlerinnen und Künstler ihre wirkliche Arbeit wieder hinter zugezogenen Vorhängen vollbringen müssen, so bin ich doch überzeugt, dass sich der Kampf der Demokratinnen und Demokraten und Kulturschaffenden eines Tages auszahlen wird.
Und, liebe Politikerinnen und Politiker, glauben Sie mir, das wird dann in Euro und Cent viel mehr wert sein als die bescheidene Kulturförderung, über die wir im Bund, im Land und hier in unserer Kommune sprechen.
Ich bedanke mich, dass es hier in unserer Kommune noch eine Wertschätzung der Kultur- und Demokratieschaffenden gibt, und kann doch nicht verhehlen, dass ich mahnend ausrufen muss: Seien wir wachsam, wenn wir das behalten wollen, was wir alle so sehr lieben: unser Leben in Freiheit in einer Gesellschaft, die von menschlichem und kulturellem Miteinander geprägt ist.“
Bilder: © Jürgen Weber
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