
2021 haben erstmals Schüler*innen an der Gemeinschaftsschule Gebhard in Konstanz das Abitur abgelegt, es sind seitdem jedes Jahr etwa 75 Jugendliche. Diese Option gehört heute selbstverständlich zur Konstanzer Bildungslandschaft. In Baden-Württemberg insgesamt verfügen aber lediglich 13 der 322 Gemeinschaftsschulen über eine eigene gymnasiale Oberstufe, das sind gerade mal vier Prozent.
Schulleiterin Charlotte Dreßen bezeichnet die eigene Oberstufe im Gespräch mit seemoz als „logische Notwendigkeit“. Die Gemeinschaftsschule ist „eine Schule für alle“, die auch für Schüler*innen, die das Abitur anstreben, attraktiv sein soll. Die Leistungsanforderungen für das allgemeinbildende Abitur an Gymnasien und Gemeinschaftsschule sind in der Oberstufe vollständig identisch. Unterschiede zwischen den beiden Schularten sieht Charlotte Dreßen insbesondere darin, dass die Lehrkräfte an der Gemeinschaftsschule intensiver im Gespräch mit den Lernenden sind in der Bemühung, diese an den „Leistungsrahmen heranzuführen“.
Schullaufbahnberatung in der Mittelstufe
Sie verweist auf die Unter- und Mittelstufe ihrer Schule, dort sind die Unterschiede zu den Gymnasien groß. Beispielsweise existiert keine Versetzungsordnung, ein „Sitzenbleiben“ ist nicht vorgesehen. Dies eröffnet aus Sicht von Charlotte Dreßen einen pädagogischen Spielraum, um „auch mal Durststrecken durchstehen zu können“. Die Schullaufbahnberatung hat eine besondere Bedeutung, so dass sich die Schüler*innen an der Gemeinschaftsschule bewusst zwischen Optionen der beruflichen Bildung und der gymnasialen Oberstufe entscheiden. Beide Varianten werden etwa zur Hälfte gewählt. Charlotte Dreßen betont: Es gibt keine Schüler*innen, „die das Abitur nicht schaffen“, sondern solche, „die sich für einen anderen Bildungsweg entscheiden“.
Faire Kooperation mit den Konstanzer Gymnasien
Die Schüler*innen der gymnasialen Oberstufe können inhaltliche Schwerpunkte über die Wahl von Leistungs- und Basiskursen selbst bestimmen – dies gilt gleichermaßen für die Gymnasien wie für die Gemeinschaftsschule. Um ein breites Angebot sicherzustellen, besteht seit vielen Jahren eine intensive Kooperation der vier Konstanzer Gymnasien untereinander. In diese Kooperation wurde die Gemeinschaftsschule einbezogen.
Schüler*innen können einzelne Leistungskurse an einer anderen Schule in der Stadt besuchen, wenn diese nicht an der „eigenen“ Schule angeboten werden können. Schüler*innen der Gemeinschaftsschule besuchen den Unterricht in einzelnen Fächern an einem Gymnasium und umgekehrt belegen Schüler*innen der Gymnasien einzelne Kurse an der Gemeinschaftsschule. „Es findet eine faire und wertschätzende Zusammenarbeit auf Augenhöhe statt“, lobt Charlotte Dreßen.
Komplizierte Regelungen bezüglich der zweiten Fremdsprache
Als problematisch empfindet sie die vom Land festgelegten Regelungen bezüglich der zweiten Fremdsprache, die sehr kompliziert sind. An den Gymnasien beginnt die zweite Fremdsprache in der sechsten Klasse. An der Gemeinschaftsschule ist es auch möglich, die zweite Fremdsprache erst in der Oberstufe zu erlernen. Etwa die Hälfte der Schüler*innen der Oberstufe an der Gebhardschule belegen drei Jahre lang jeweils vier Wochenstunden Spanisch. Diese zusätzlichen Spanisch-Kurse werden jedoch nicht bezüglich der Mindestzahl der Kurse berücksichtigt. Daraus folgt, dass volle Stundenpläne entstehen, die mit einer zusätzlichen Belastung verbunden sind. Es wäre sinnvoll, wenn Schüler*innen, die in der Oberstufe Spanisch lernen, im Gegenzug weniger andere Kurse im Wahlbereich belegen müssten.
Gymnasiallehrkräfte an Gemeinschaftsschulen

An der Gemeinschaftsschule unterrichten ausgebildete Lehrkräfte der Schularten Hauptschule, Realschule und Gymnasium. In der Oberstufe dürfen aber nur studierte Gymnasiallehrkräfte eingesetzt werden. Für die Gebhardschule ist es kein Problem, alle Fächer abzudecken. Alle in der Oberstufe eingesetzten Lehrkräfte unterrichten auch in der Unter- und Mittelstufe. Dort findet zieldifferenter Unterricht statt, es gibt keine Ausrichtung auf das Abitur wie an den Gymnasien. Viele Gymnasiallehrkräfte lehnen diese Art des Unterrichts ab und verweisen darauf, dass sie das „Lehramt Gymnasien“ bewusst studiert hätten, um auf das Abitur vorzubereiten. Charlotte Dreßen findet: „Diese Einstellung ist prinzipiell in Ordnung, nicht aber für Lehrkräfte an der Gemeinschaftsschule.“ Sie berichtet vom Personalaufbau an der wachsenden Gemeinschaftsschule mit einem insgesamt jungen Kollegium. Studierte Gymnasiallehrkräfte entscheiden sich nach dem Referendariat bewusst für die Gemeinschaftsschule.
Bisher hat die Gemeinschaftsschule Gebhard in Konstanz das Alleinstellungsmerkmal, das allgemeinbildende Abitur nach neun Jahren anbieten zu können. Durch die Rückkehr zu G9 besteht dieses nicht mehr, da an allen Gymnasien das Abitur wieder nach neun Jahren abgelegt wird. Charlotte Dreßen betont, dass die Gebhardschule nicht unbedingt wegen der Dauer der Schulzeit, sondern wegen des pädagogischen Konzepts für Schüler*innen und Eltern attraktiv ist.
Defizite in Baden-Württemberg
Auf Landesebene wird derzeit angestrebt, dass Gemeinschaftsschulen ohne eigene Oberstufe Kooperationen mit Gymnasien in räumlicher Nähe eingehen. Der Wechsel an eine gymnasiale Oberstufe soll dadurch einfacher werden. Charlotte Dreßen sieht diesen Ansatz positiv, äußert aber auch die Sorge, dass der politische Wille zur Einrichtung weiterer gymnasialer Oberstufen an den Gemeinschaftsschulen künftig geringer werden könnte. In Baden-Württemberg gibt es viele Gemeinschaftsschulen, die eine gute Arbeit machen, für die aber die Einrichtung einer Oberstufe nicht in Frage kommt, da Größe und Infrastruktur dafür fehlen.
Meiner Meinung nach ist es trotzdem ein gravierendes Problem, wenn 96 Prozent der Gemeinschaftsschulen im Land nur den Haupt- und Realschulabschluss anbieten können, obwohl diese Schulart eigentlich als „eine Schule für alle“ konzipiert wurde. Der Blick nach Konstanz zeigt, dass zumindest an größeren Gemeinschaftsschulen eigene gymnasiale Oberstufen erfolgreich etabliert werden können.
Text: Till Seiler, Bilder: Harald Borges, Charlotte Dreßen
Schreiben Sie einen Kommentar