
Am vergangenen Samstag haben die baden-württembergischen Grünen eine Positionierung gegen die Gäubahn-Kappung, gegen den Pfaffensteigtunnel und für einen dauerhaften Stuttgarter Kombibahnhof abgelehnt. Eingebracht hatte den Antrag der Konstanzer Mitorganisator des landesweiten Pro-Gäubahn-Bündnisses, Hendrik Auhagen. Wie geht es jetzt weiter?
In einer Pressemitteilung kritisiert das Pro-Gäubahn-Landesbündnis ein Votum der grünen Landesdelegiertenkonferenz in Ludwigsburg. Mit dem Entscheid würden sich die regionalen Grünen „vom ernsthaften Versuch, die Gäubahn-Kappung zu verhindern, verabschieden“. Vor einem Jahr hatten sich die Delegierten der momentan noch mitregierenden Partei auf ihrem Landesparteitag in Reutlingen noch einhellig gegen einen langfristigen Unterbruch der Bahnstrecke Zürich-Singen-Rottweil-Stuttgart ausgesprochen.
Die Landesgrünen würden sich mit dem neuen Entscheid nicht nur gegen viele grüne Kreisverbände entlang der Gäubahn stellen, heißt es in der Pressemitteilung, „sondern auch gegen BUND, den Verkehrsclub Deutschland (VCD) und das Pro-Gäubahn-Landesbündnis, die sich jeweils klar gegen Gäubahn-Kappung und Pfaffensteigtunnel ausgesprochen haben“. Außerdem lassen sie, so Nikolas Baur, selbst Mitglied der Grünen in Singen und im Landesbündnis aktiv, „die 1,4 Millionen Menschen im Einzugsgebiet der Gäubahn hängen“. Dabei seien diese weiterhin auf einen direkten Bahnanschluss nach Stuttgart angewiesen. Wie man mit so einer Position im südlichen Baden-Württemberg die Landtagswahl gewinnen möchte, sei fraglich.

Auch Antragssteller Hendrik Auhagen war enttäuscht vom Votum der baden-württembergischen Grünen, denen er seit Jahrzehnten angehört. Damit stünden die Landes-Grünen ohne eigenes Konzept gegen die Gäubahn-Kappung da und würden stattdessen mit dem elf Kilometer langen Pfaffensteigtunnel ein Bauprojekt favorisieren, das keinerlei zusätzlichen Kapazitäten im Bahnverkehr schaffe. Dieser Tunnel kostet (Schätzungen zufolge) rund drei Milliarden Euro und soll irgendwann in zehn oder fünfzehn Jahren die Züge aus dem Süden am Stuttgarter Flughafen vorbei in den neuen Tunnelbahnhof der Landeshauptstadt führen. Mit dem teuren Bau aber, so Auhagen laut der Pressemitteilung des Pro-Gäubahn-Bündnisses, sei kein Geld mehr da „für sinnvolle Projekte wie den zweigleisigen Ausbau“ der Gäubahn.
Schaden für die Glaubwürdigkeit
Andere aktive Mitglieder des Pro-Gäubahn-Bündnisses zweifeln nicht nur am verkehrspolitischen Sinn des Beschlusses. Mit ihm, so die Grüne Katja Rommelspacher aus Tuttlingen, wende sich die Landespartei auch gegen den Klimaschutz. Während des Tunnelbaus, der Berechnungen zufolge 350.000 Tonnen CO2-Äquivalente freisetzt, würden ganze Landesteile auf der Schiene abgehängt und Bahnreisende aufs Auto und Flugzeug gedrängt. Dies sei kaum mit den Klimaschutzzielen der Grünen vereinbar. Der Glaubwürdigkeit der Grünen nehme mit diesem Beschluss Schaden.
Wenn schon die Grünen ohne Not einknicken: Wie will dann das Pro-Gäubahn-Bündnis noch Einfluss nehmen? Eine Möglichkeit zum Erhalt der durchgehenden Schienenverbindung Singen-Stuttgart sehen die Kappungsgegner:innen im kommenden Landtagswahlkampf. Sie wollen alle Parteien und Kandidierenden zur ihrer Haltung hinsichtlich Gäubahn-Kappung und Pfaffensteigtunnel befragen und so erreichen, dass „die nächste Landesregierung die legitimen Interessen der südlichen Landesteile nicht länger ignoriert“.
Verträge einhalten?
In Konstanz fand eine solche Befragungen der Kandidat:innen für die Landtagswahl bereits Mitte November statt – mit einem wenig überraschenden Ergebnis. Die Vertreter:innen von CDU, SPD und FDP sprachen sich im wesentlichen für eine Umsetzung der bisherigen Entscheidungen aus – also für den Gäubahn-Unterbruch bei Vaihingen und für den langen Tunnel zum Tiefbahnhof.
Im Stuttgarter Raum sei ohnehin schon alles gelaufen, sagte Patrick Konopka (FDP), deshalb plädiere er für bessere Zugverbindungen hier in der Region. Frank Ortolf (SPD) sieht im Pfaffensteigtunnel auch deswegen ein sinnvolles Projekt, weil die Finanzierung schon stehe. Und Andrea Gnann (CDU) hält das Recht auf Eigentum und kommunale Selbstverwaltung für gefährdet, wenn man das Gelände der Panoramastrecke, das mittlerweile der Stadt Stuttgart gehöre, weiterhin für den Zugverkehr nutzen wolle.

Ganz anders positionierte sich Thorben Kleeh, der Lars Hofmann vertrat, den lohnabhängigen Kandidaten der Linken: Der Kopfbahnhof müsse bleiben, ein Abhängen der Gäubahn bei Vaihingen komme für ihn nicht in Frage. Nicht ganz so klar äußerte sich Gisela Kusche von den Konstanzer Grünen, die an Stelle der abwesenden Landtagsabgeordneten Nese Erikli deren Haltung referierte: Die Abkopplung der Bahnstrecke sei zwar nicht akzeptabel und der Tunnel „ein überteuertes Projekt aus einer alten Logik“. Doch es gebe Verträge, und die könne man nicht einfach über Bord werfen.
Schneller als die SBB?
Aber vielleicht revidieren, ergänzen und angesichts neuer Erkenntnisse aktualisieren? Der Zeitpunkt für eine grundlegende Revision war schon lange nicht mehr so günstig. Beim Treffen des S21-Lenkungskreises am Montag bekräftigte die neue Bahnchefin Evelyn Palla nochmals, dass die Inbetriebnahme des Tunnelbahnhofs auf unbestimmte Zeit verschoben ist. Man werde erst im kommenden Jahr (vielleicht) sagen können, ob an eine Eröffnung Ende 2027 zu denken sei.
Bis dahin wird der Stuttgarter Kopfbahnhof, der für einen ordentlichen Betrieb der Gäubahn unverzichtbar ist, in Betrieb bleiben. Auch die geplante Kappung (erst für Anfang 2026, dann für Anfang 2027 vorgesehen) dürfte sich zeitlich verschieben. Und wann der schräg stehende Tiefbahnhof mit seinen acht Gleisen funktioniert, steht in den Sternen. Denn eine halbwegs erträgliche Taktung der Zugein- und ausfahrten setzt eine Digitalisierung der Stellwerke und der Kommunikation voraus.
Hier jedoch betritt die Bahn Neuland. Es gebe europaweit noch keinen digitalen Knoten wie jenen, der in Stuttgart geplant sei, wird Bahnchefin Palla in den Medien zitiert. Stuttgart als Vorreiter im Bahnverkehr? Das wäre neu. Deutlich realistischer sehen das die SBB, die in vielen Dingen wie dem Zugsicherheitssystem ECTS weiter sind als die DB. Sie arbeiten ebenfalls an einer Digitalisierung der Stellwerke. Und rechnen mit „ersten Inbetriebnahmen voraussichtlich ab 2029“ (wie die SBB Anfang Oktober bekannt gaben).
Der Kampf um die Gäubahn wird sich – auch wegen des grünen Seitenwechsels – also noch eine Weile hinziehen.
Fotos: Kappungsgegner:innen und -befürworter:innen in Konstanz © Pit Wuhrer / Umsteigebahnhof Vaihingen und Panoramastrecke © Wikimedia commons
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