Uni protest thym 2025 10 28 ©davina gorelenkov

„Menschenhass ist keine Wissenschaft“

Von Albert Gerlach (Text und Foto)
Uni protest thym 2025 10 28 ©davina gorelenkov
Die vier Protestierenden im Audimax der Uni

Soll die Gesellschaft weiterhin die Menschenrechte achten und Artikel 1 des Grundgesetzes („die Würde des Menschen ist unantastbar“) respektieren? Oder könnte man angesichts der hektisch geführten Migrationsdebatte nicht auch ein paar Abstriche machen – wie der Konstanzer Jurist Daniel Thym empfiehlt? Eine Antwort gaben vergangene Woche Studierende, als sie gegen Thyms Ausführungen protestierten.

Seit Jahren findet an der Uni das Studium Generale statt – in Form einer Vortragsreihe, die auch für nicht-universitäre Zuhörende offen ist. Dabei präsentieren Forscher:innen aus verschiedenen Fachbereichen der Uni und von außerhalb gesellschaftlich relevante Themen: Demokratie, Klimakrise und der politische Rechtsruck sind nur einige Beispiele der Themen aus dem Wintersemester 24/25.

Bei der diesjährigen Auftaktveranstaltung am 28. Oktober bekam Daniel Thym, Leiter des Konstanzer Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht, das Audimax ganz für sich allein, um die Thesen seines Buchs „Migration steuern: eine Anleitung für das Hier und Jetzt“ vorzustellen. Daniel Thym, der oft als Migrationsexperte zitiert wird, plädiert für eine Migrationspolitik mit „mehr Härte“, das heißt mehr Hindernissen für Migrierende. 

Entgegen der „Wir schaffen das“-Haltung wünscht er sich eine Migrationspolitik, die sich beispielsweise am Arbeitskräftemangel orientiert. Der Zuspruch eines Existenzminimums für Asylsuchende durch das Bundesverfassungsgericht 2012 steht seinen Forderungen entgegen. Deutschland müsse als Einwanderungsland weniger attraktiv werden –  durch noch mehr Rückweisungen und weniger Sozialleistungen. Thym plädiert für eine europäische Lösung gemäß dem Motto: Festung Europa stärken, was manche Studierende nicht kommentarlos tolerieren wollten. 

„Rassisten raus“

Die Frustration fiel diesmal stärker auf als noch bei einer Podiumsdiskussion im Juni mit der Mikrosoziologin Claudia Diehl. Denn am 28. Oktober  waren andere wissenschaftliche Positionen nicht geplant. Thym konnte seine Lösungsvorschläge für die Zuwanderungs- und Flüchtlingsproblematik ohne Widerspruch vortragen – bis eine kleine Gruppe von Protestierenden neben dem Podium ein Banner entfaltete. „Racists out! Refugees in! Menschenhass ist keine Wissenschaft“, stand darauf.

Der Grund: Jura-Professor Thym hatte sich in letzter Zeit zunehmend offen für Einschränkungen des Asylrechts gezeigt. Seiner Meinung nach würden sich auch jene in der „demokratischen Mitte“ bewegen, die eine Abschaffung des Asylgrundrechts fordern, schrieb er in einem Artikel. Überhaupt müsse man „die Menschenrechte weniger streng handhaben“, so Thym in einem Interview. Das nationale Eigeninteresse gehöre wieder mehr in den Vordergrund gerückt, schließlich wolle man den Reichtum „nicht mit allen teilen“.

Eine weitere Aushöhlung des Grundrechts auf Asyl also? Das wollten auch einige Aktivist:innen aus dem Publikum nicht hinnehmen und riefen unter anderem „Siamo tutti antifascisti/antifascistae“ (hörbar im Video eines Südkurier-Artikels). Auf Anfrage der Lokalzeitung erklärte die Rektorin der Uni, dass sie den Protest als friedliche Meinungsäußerung toleriere, aber kein Verständnis für die Aussagen und die Form der Aktion habe. 

Keine Antwort

Die Aktivist:innen sahen dies jedoch anders: Debatten seien keine Handlungsoption mehr, da man ohnehin keine Antwort bekomme. Das lohne sich schlichtweg nicht mehr, sagte eine Studentin, die bereits bei der Podiumsdiskussion im Juni anwesend war und dort Fragen gestellt hatte. Thyms Position dürfe nicht weiter als neutral und rein wissenschaftlich bewertet werden, sagte ein anderer Beteiligter, da sie xenophobe Forderungen aus der Politik stärken.

Mit ihrer Kritik stehen die Student:innen nicht allein. Der Südkurier fasst Thyms Vorschläge an die Asylpolitik schlicht als „streng“ zusammen, doch ein Blick auf kritische Stimmen lohnt sich. In seinem letzten Buch empfiehlt Thym einen Paradigmenwechsel: Man solle „Menschenrechte realistisch neu denken“ und den moralisierten Diskurs über die Asylpolitik zu einem konstruktiven wandeln. Das kritisieren Wissenschaftler:innen wie der Sozialrechtler Constantin Hruschka: Thyms „dynamische“ Auslegung der Menschenrechte blende die deutsche Geschichte aus. Der Antisemitismusforscher Felix Axster wiederum verweist auf eine weitere tief liegende Problematik in Thyms Ansatz: Die historische Kontinuität des Kolonialismus bleibe komplett unhinterfragt. Dass der Konstanzer Professor den nationalen Egoismus normalisiere, kritisieren auch die Antisemitismusforscherin Sina Arnold, der Soziologe Stephan Lessenich und die Kulturhistorikerin Maren Möhring in einem gemeinsamen taz-Artikel. Ihr Grundgedanke, den auch die Studis teilen: Menschenrechte sind nicht verhandelbar.

Entmoralisierung durch die Wissenschaft?

Eine Position, die wohl schwer als kontrovers oder polarisierend bezeichnet werden kann. Dennoch kam der Protest bei einigen Zuschauer:innen und bei den Veranstaltern nicht gut an. „Jetzt reicht’s aber“ und „langweilig“ riefen vereinzelte Stimmen, während Thomas Hinz und Alexander Bürkle, Verantwortlicher für das Studium Generale, die Protestierenden aufforderten, den Saal zu verlassen. Nach einigen Minuten zog die Gruppe ab, ließ jedoch das Banner für alle sichtbar zurück – als Statement, das kurz nach der rassistischen „Stadtbild“-Äußerung des Bundeskanzlers nicht nur im Kontext einer Uni-Veranstaltung, sondern im Zusammenhang mit der allgemein politischen und gesellschaftlichen Entwicklung zu verstehen ist.

Die zunehmende Normalisierung von xenophoben und rassistischen Hassreden macht nicht nur die Studis wütend; das zeigen auch die vielen Proteste in Reaktion auf Merz’ „Stadtbild“-Polemik. Der Protest im Audimax wies jedoch auf eine weitere wichtige Debatte hin: die nach der Rolle der Wissenschaft bei der Entmoralisierung von Gesellschaft und Politik. Aber immerhin: Im Vergleich zum vergangenen Protest gegen eine Rüstungsfirma handelte die Uni-Leitung nun toleranter. Ob das so bleibt, wird sich zeigen.

2 Kommentare

  1. Pauli heinzelmann

    // am:

    Im Kontext von diesem Artikel schreibt der SK von Vermummten. Das wirft Fragen auf. 1. Jault die Gesichtskennungs-App bei Vermummung ? 2. Gefährdet Vermummung die Strafverfolgung? 3. In dem Theaterstück Frühlingserwachen tritt am Schluss der vermummte Herr auf. Ist das legal? Früher sagte man Bartträger haben was zu verbergen, gilt das auch für die Protestierenden?

  2. Dr. Peter Krause

    // am:

    1. Herr Thym ist kein Rassist
    2. Herr Thym ist kein Faschist
    3. Es fällt mir schwer, dass lautstarke Stören eines Vortrags an einer Universität durch vermummte Personen als „friedliche Meinungsäußerung“ zu bewerten. Aber, nun gut, unter „friedlich“ versteht allem Anschein nach nicht jeder das gleiche.

    Und dann hätte ich noch eine Frage: Wenn die Forderung ist „Rassisten raus / Flüchtlinge rein “ (meine Übersetzung der englischsprachigen Rufe der Demonstranten), was macht man dann mit Flüchtlingen, die Rassisten sind? Rein oder raus? Oder auch mit Flüchtlingen, die Antisemiten oder aggressiv homophob sind?
    Und um das klarzustellen: Ich sagen ausdrücklich NICHT, dass jeder Flüchtling Rassist, Antisemit oder homophob ist!

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