
Luigi Pantisano im Gespräch über Chancen und Möglichkeiten einer linken Politik im Bundestag und vor Ort.
Teil 2/2, Teil 1 finden Sie hier
seemoz: Pessimisten behaupten, dass es unter der deutschen Bevölkerung mindestens 40 Prozent eingefleischte Rechtsradikale gibt …
Luigi Pantisano: … Auf Bundesebene verfestigt sich das bei etwa 20 Prozent, aber die wichtige Frage ist, was dagegensteht. Wir als progressives Lager insgesamt verlieren natürlich, wenn die SPD nur auf 16 Prozent kommt. Was hilft es mir, wenn wir Linken zehn oder elf Prozent haben, die SPD aber auf 13 Prozent abstürzt? SPD, Grüne und wir kommen zusammen etwa auf das, was die CDU allein hat. Das gesamte progressive Lager hat also ein Riesenproblem.
Wir haben in Deutschland wie auch in anderen Ländern die Spaltung in Stadt und Land. Auf dem Land sind die Rechtsextremen stark, in der Stadt die Progressiven. Sowie du die Stadt verlässt, bist du in manchen Gegenden in echtem Naziland.
seemoz: Viele Menschen glauben, dass in Deutschland die Politik versagt hat. Die Züge fahren nicht pünktlich, Brücken stürzen ein, die Schulen sind marode. Die Leute haben den Eindruck, von einer Krise in die nächste zu stolpern.
Luigi Pantisano: Es geht in der Tat darum, ganz konkrete Probleme zu lösen. Studien belegen, dass der Anteil der Rechtsextremen dort besonders hoch ist, wo die Mieten besonders stark steigen. Ebenso wächst die Wähler*innenschaft der AfD dort überproportional, wo sich die Bahn aus der Fläche zurückzieht und sich die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln deutlich verschlechtert. Viele dieser Wähler*innen sind nicht ideologisch, sondern haben ganz konkrete Probleme.
Natürlich akzeptieren AfD-Wähler*innen immer auch die rassistische Politik dieser Partei, aber die steht für viele nicht im Vordergrund. Sie haben vor allem das Gefühl, dass die Politik sich um sie und die ländlichen Räume nicht mehr kümmert, während viel über bestimmte Minderheiten debattiert wird. Das schafft ein Gefühl der Ungerechtigkeit und vermittelt den Eindruck, dass andere einen überholen, während man selbst zurückbleibt. Dieses Problem kann nur eine vernünftige Sozialpolitik lösen.
seemoz: Euch hilft es sicher auch, dass Sahra Wagenknecht und Konsorten nicht mehr in der Partei sind?
Luigi Pantisano: Ich habe mich damals eigens deshalb in den Parteivorstand wählen lassen, um zwei Jahre lang daran mitzuwirken, dass der Bruch endlich vollzogen wird. Ich habe viel Kritik dafür bekommen, aber für mich und viele andere war seit Langem klar, dass es so auf keinen Fall weitergeht. Alle waren froh, als die Entscheidung endlich gefallen war, und jetzt wieder Klarheit darüber herrschte, wofür die Partei steht und woran sie arbeitet.
Es gab ja über Monate hinweg keine Pressekonferenz, keine Parteiveranstaltung und kein Treffen, bei dem es nicht zu mindestens 50 Prozent der Zeit um Sahra Wagenknecht ging. Das war zersetzend, und du konntest dich nicht mehr auf deine politische Arbeit konzentrieren. Jetzt haben wir wieder die Energie, Menschen, vor allem junge Menschen, zu erreichen. Wir haben einen immensen Zulauf, zumal der klassische Antikommunismus des kalten Krieges heute kaum noch verfängt. Wenn ich in die Social Media schaue, sieht das allerdings oft noch anders aus, da steht in etwa jedem vierten Kommentar zu mir das Wort „Mauermörder“. Bei jüngeren Menschen zieht das aber heute zum Glück nicht mehr.

seemoz: Ist in der Bundespolitik die dringend notwendige Klimawende in Städtebau, Verkehrswesen usw. überhaupt noch ein ernsthaftes Thema, oder hat die Politik bei diesem Thema aufgegeben? Zumindest im kommunalen Bereich wird immer klarer, dass die Klimaziele krachend verpasst werden.
Luigi Pantisano: In den anderen Parteien ist dieses Thema inzwischen komplett untergegangen. Die Grünen haben eigentlich vorgehabt, wieder verstärkt am Klimathema zu arbeiten, aber im Moment geht es bei denen fast ausschließlich ums Militär. Es ist erschreckend, dass sie derzeit die stärkste Kriegspartei im Bundestag sind. Ich hoffe dringend, dass sie davon wieder abkommen. Außerdem ist das auch ein Riesenwiderspruch: Klima und Militär, das geht ganz und gar nicht zusammen. Die Grünen kommen jetzt in die Krise, in der wir jahrelang waren. Niemand weiß mehr, wofür sie eigentlich stehen.
seemoz: Wie sind Eure Perspektiven?
Luigi Pantisano: Es ist für uns sehr spannend, wie die nächsten Wahlen ausgehen, ob wir vielleicht sogar den Sprung in Richtung 15 Prozent schaffen. Wichtig ist, dass wir auch wirklich gute Chancen haben, in einige Länderparlamente wie das von Baden-Württemberg zu kommen, damit wir in der Fläche vertreten sind. Das macht allerdings nur dann Sinn, wenn wir uns dann nicht in irgendwelchen sinnlosen Regierungsbeteiligungen verbiegen lassen.
Das alles wird sich aber von Wahl zu Wahl entscheiden müssen. Die allgemeine Lage ist schwieriger als früher, wir haben die Kriegsangst, wir haben die Klimakrise, wir haben die Wirtschaftskrise – und und und. Vielleicht gelingt es uns ja auch, die Grünen so sehr unter Druck zu setzen, dass sie erkennen, dass sie sich gerade auf einem Irrweg befinden.
Unsere Aufgabe ist es jedenfalls, in dieser Situation gegen den allgemeinen Strom zu schwimmen, dann können wir auch etwas bewirken.
seemoz: Vielen Dank für dieses Gespräch.
Das Gespräch führten Harald Borges und Iulia Danis, Bilder: Die Linke TB
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