
Sie dominieren Gesellschaften, zerstören Klima und Umwelt, beuten Lohnabhängige aus und bestimmen in immer mehr Staaten die Politik: Die Oligarchen sind eine Gefahr für uns alle. Gegen sie mobilisiert nun das globalisierungs- und kapitalismuskritische Netzwerk attac – auch in unserer Region.
Der Ort der Banneraktion war mit Absicht gewählt. Vor etlichen Wochen entfalteten Mitglieder der attac-Gruppe Radolfzell-Singen am Konstanzer Hafen ein zwölf Meter breites Transparent mit der Aufschrift „Keine Macht den Superreichen!“. Man habe als Hintergrund die Statue der Imperia haben wollen, erläuterte Andreas Syré. Zwar sei die Figur eine satirische Anspielung auf das Konstanzer Konzil, „gleichwohl steht der vom lateinischen „imperare“ („befehlen“) abgeleitete Name Imperia auch für Macht und Herrschaft.“ Und um die Macht der Superreichen, die die Demokratie gefährden, gehe es heute mehr denn je – und das in vielerlei Hinsicht.
Die Fakten sind weitgehend bekannt: In den westlichen Gesellschaften leben und agieren zahllose Multimillionär:innen und Milliardär:innen. Auch hierzulande: In Deutschland besitzt das reichste Prozent der Bevölkerung ein Drittel des gesamten Vermögens, das reichste Zehntel verfügt über sechzig Prozent.
In kaum einem anderen Land ist die Ungleichverteilung so groß wie hier. Laut Netzwerk Steuergerechtigkeit, dem unter anderen attac, die Hilfswerke Misereor und Oxfam sowie die beiden Gewerkschaften GEW und ver.di angehören, liegen die effektiven Steuer- und Abgabensätze von Multimillionär:innen bei 29 Prozent und von Milliardär:innen bei 26 Prozent ihres Einkommens. Bei Lohnabhängigen beträgt der Spitzensteuersatz bis zu 42 Prozent. Vermögenseinkommen wie Mieten, Kapitalerträge aus Finanzinvestitionen oder Unternehmensgewinne werden in Deutschland niedriger besteuert als Arbeit. Und diese kolossalen Unterschiede werden von der neuen Regierung nicht nur fortgesetzt, sondern intensiviert.
500 mehr allein im letzten Jahr
Dabei hat das Land – nach den USA und China – die meisten Superreichen. Und es werden immer mehr – auch dank der Kursgewinne an den internationalen Börsen. Die Zahl der hiesigen Superreichen, also der Menschen mit einem Finanzvermögen von über 100 Millionen US-Dollar, hat sich, so der „Global Wealth Report“ der US-amerikanischen Unternehmensberatungsfirma Boston Consulting Group (BCG), im vergangenen Jahr um 500 erhöht.

Die mittlerweile 3900 Superreichen besitzen somit über ein Viertel des gesamten Finanzvermögens, insgesamt knapp drei Billionen US-Dollar. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung hat hingegen – alle Ersparnisse zusammengerechnet – nicht einmal zwei Prozent. Warum ist das so?
Seit Jahrzehnten werden Kapitaleinkommen immer weniger, Arbeitseinkommen und Konsum dagegen immer stärker besteuert. Dadurch zahlen die Reichen im Verhältnis weit weniger Steuern als Normalverdienende. Es gebe weltweit „kaum ein Land, das Arbeit stärker und Vermögen geringer besteuert als Deutschland“, sagt beispielsweise der Ökonom Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Vermögen werde in Deutschland jährlich nur mit rund 0,4 Prozent seines Werts besteuert. In Staaten wie den USA, Frankreich, Kanada oder Großbritannien liegt der Steuersatz für Privatvermögen drei- bis viermal so hoch.
Ein Urteil als Ausrede
Woran liegt das? Nun, bis Ende der 1990er Jahre mussten auch in Deutschland die Bürger:innen eine Vermögenssteuer entrichten. Doch 1995 entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerG), dass die bis dahin übliche Praxis der Besteuerung verfassungswidrig sei: Alle Vermögensformen, so das Urteil des BVerG, müssten gleich hoch besteuert werden; der bis dahin geltende geringere Steuersatz für Grundvermögen sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Doch statt – wie vom BVerG verlangt – die Steuersätze anzupassen, setzte die damalige CDU/CSU-FDP-Regierung die Vermögenssteuer einfach aus. Aufgehoben ist sie allerdings bis heute nicht.
Dabei sieht das Grundgesetz (Artikel 106) ausdrücklich die Erhebung einer Vermögenssteuer vor. Bis 1997 mussten alle Bürger:innen ein Prozent Steuern auf Vermögen über 120.000 Mark pro Familienmitglied entrichten – also auf Betriebe, Immobilien, Sparguthaben, Wertpapiere, Luxus- und Kunstgegenstände. Schätzungen zufolge entgingen den Bundesländern, denen der Erlös bis dahin zugute kam, mehrere hundert Milliarden Euro.
Ein moderater Vorschlag
Es geht also nicht um eine völlig neue Maßnahme, für die sich vor Ort attac Radolfzell-Singen und beispielsweise das Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel derzeit engagiert. Im Gegenteil: Sie fordern lediglich die Wiederherstellung einer Steuer, die von der Verfassung vorgesehen ist.
Aber würde die Inkraftsetzung nicht einen enorme Bürokratisierung bedeuten, wie der Südkurier vor kurzem in einem Artikel suggerierte? Der ehemalige Finanzbeamte Wolf Gunter sieht das anders. Er sei bis 1997 für der Erhebung der Vermögenssteuer zuständig gewesen, berichtete er am vergangenen Samstag am Infostand des Konstanzer Welthandelsbündnisses: „Der Verwaltungsaufwand war damals minimal“, sagt der Experte. „Und mit der Digitalisierung der Steuererklärungen ist er heute wahrscheinlich noch viel geringer.“

Es gibt mithin viele Gründe für die attac-Bundestagspetition Tax the Rich, die seit einigen Tagen online ist: Der Superreichtum zerstört die soziale Grundlage der Demokratie und macht die Gesellschaft immer ungerechter. Zudem schadet der luxuriöse Lebensstil, den sich Superreiche leisten können, Umwelt und Klima. Allein die fünfzig reichsten Milliardäre stoßen in 90 Minuten mehr CO2 aus, als der weltweite Durchschnitt im ganzen Leben.
Konkret sieht die Petition eine Besteuerung von Vermögen über einer Million Euro vor. Bis zu fünf Millionen Euro soll der Steuersatz ein Prozent betragen und danach schrittweise ansteigen: bis 10 Millionen 2 Prozent, bis 20 Millionen 5 Prozent, bis 200 Millionen 10 Prozent, bis zu einer Milliarde 15 Prozent, danach 20 Prozent. Etwa 99 Prozent der Bevölkerung, so attac, werden gar nichts zahlen müssen.
Deutschland grätscht dazwischen
Über die Einführung oder Anhebung einer Vermögenssteuer für die Finanzoligarchie wird übrigens auch international debattiert: Beim G20-Treffen Anfang Dezember 2024 in Brasilien haben die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer eine allgemeine Vereinbarung unterzeichnet, die eine stärkere Besteuerung von Superreichen vorsieht. Ziel dabei war unter anderem, auf diese Weise einen Teil der enormen Kosten für den Klimaschutz besonders im globalen Süden zu finanzieren.
Auf konkrete Maßnahmen konnten sich die Staaten allerdings nicht einigen. Brasilien wollte zwar eine Milliardärssteuer durchsetzen, derzufolge alle Milliardären:innen mindestens zwei Prozent ihres Reichtums abgeben. Doch die USA und Deutschland lehnten ab. So blieb es bei einer bloßen Willensbekundung.
Damit die Petition vor den Bundestag kommt und dort behandelt wird, braucht es 30.000 Unterschriften – und zwar bis Anfang August. Unterzeichnen können alle – unabhängig von Alter, Staatsbürgerschaft oder Wohnsitz: bis 11. August online oder bis 4. August auf einer Unterschriftenliste. Das Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel ist dafür beispielsweise am heutigen Gassenfreitag in der Niederburg unterwegs, am 13. Juli beim Nachhaltigkeitsfest im Stadtgarten präsent und am 19. Juli auf dem Wochenmarkt Petershausen zu finden.
PS: Wenn man’s recht bedenkt, war die attac-Aktion am Konstanzer Hafen aus einem zweiten Grund sinnig: Die Imperia steht schließlich auch für die vielen „Hübschlerinnen“, die während des Konstanzer Konzils den Reichen und Mächtigen, dem Klerus und dem Adel, das Geld aus der Tasche zogen …
Text und Fotos: Pit Wuhrer
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