
Die europäische Betriebsratsvorsitzende eines französischen AKW-Konzerns erfährt von geheimen Deals der Regierung und der Atomindustrie – und wird, als sie darüber die Öffentlichkeit informieren will, sexuell attackiert. Dies schildern mittlerweile ein Buch und ein Film. Aber was hat das mit dem mittlerweile AKW-freien Deutschland zu tun? Jede Menge.
Die gebürtige Irin Maureen Kearney lebt seit mehr als dreissig Jahren in Frankreich. Sie arbeitete erst als Sprach-Lehrerin für den halbstaatlichen französischen Atomkonzern Areva, trat bald der Gewerkschaft CFDT bei und wurde Vorsitzende des europäischen Konzern-Betriebsrats. Die Schweizer Wochenzeitung WOZ schreibt in einem Porträt: „Es ist die Geschichte einer Gewerkschafterin, die sich mit den Mächtigen des französischen Atom- und Energiesektors anlegte und nach einem brutalen Angriff vom Opfer zur Verdächtigen wurde“. Und: „Kearneys Geschichte hat alle Elemente eines Thrillers. Man könnte sie für überzogen halten, wäre sie nicht wahr.“
Der Hintergrund in Kürze
Maureen Kearney war Gewerkschafterin bei dem französischen halbstaatlichen Atomkraft-Konzern Areva; diesen Konzern gibt es nicht mehr. Daneben gab und gibt es in Frankreich immer auch den viel mächtigeren Atom-Konzern Électricité de France, EdF. In den 2010er Jahren wurde EdF von Henri Proglio geleitet, einem Mann von Sarkozys Gnaden und eine zentrale Figur in der eingangs erwähnten Schatten-Regierung. Unter dessen Leitung wollte EdF unbedingt ins ganz große AKW-Geschäft mit China einsteigen. Proglio glaubte an eine nukleare Renaissance: Aufträge für 200 Reaktoren, die von China billiger als von Frankreich hätten gebaut werden können. Deshalb waren der EdF-Konzern und jene Strippenzieher um Sarkozy bereit, Areva zu opfern: indem sie dessen atomares Knowhow an China verhökerten, quasi als Morgengabe für das ganz große Geschäft. An dieser Stelle kommt Kearney ins Spiel: Sie erfuhr früh von diesen Plänen und stemmte sich gegen sie, vor allem weil sie die Arbeitsplätze bei Areva erhalten wollte. Damit gefährdete sie zwangsläufig das ganz große Atomgeschäft — für den EdF-Konzern, für jene korrupte Clique, die unter Sarkozy als Schattenregierung agieren konnte. [sto]
Eva Stegen thematisiert im Interview mit Wolfgang Storz den „riesigen blinden Fleck“ der Berichterstattung über das Buch und den Film: „Es ging nie um die Interessen und Triebkräfte der Atomindustrie. Dabei liegt hier ein wichtiger Schlüssel, um diese Ereignisse zu verstehen.“ Die Geschichte habe begonnen, „als sich im Umfeld des inzwischen wegen Bestechlichkeit verurteilten Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy eine Schatten-Regierung gebildet hatte, eine korrupte Clique von Geschäftemachern und Politikern.“
Wolfgang Storz: Frau Stegen, Sie haben das Buch „Die Gewerkschafterin. Im Räderwerk der Atommafia“ aus dem Französischen übersetzt und begleiten die Hauptfigur bei Veranstaltungen in Deutschland. Was hat Sie bewogen, sich in diesen Konflikt, dieses Thema hineinzuhängen?
Eva Stegen: Als der Film in Deutschland erschien, gab es wirklich viele Besprechungen in großen deutschen Medien. Doch diese hatten meist einen cineastischen Fokus, der MeToo-Aspekt wurde beleuchtet und ein wenig auch Fragen der Arbeit von Gewerkschaften und Betriebsräten. Aber es gab bei allen Besprechungen immer diesen riesigen blinden Fleck: Es ging nie um die Interessen und Triebkräfte der Atomindustrie. Dabei liegt hier ein wichtiger Schlüssel, um diese Ereignisse zu verstehen. Ich recherchiere seit langem zur Atomwirtschaft. Es geht hier um eine extrem teure Hochrisikotechnologie, mit zivil-militärischer Relevanz. Die Geschichte, die wir hier besprechen, begann in Frankreich, als sich im Umfeld des inzwischen wegen Bestechlichkeit verurteilten Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy eine Schatten-Regierung gebildet hatte, eine korrupte Clique von Geschäftemachern und Politikern.
Eva Stegen
arbeitet seit 2004 für die Elektrizitätswerke Schönau mit Schwerpunkt in der Öffentlichkeitsarbeit. Sie studierte Biologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, promovierte dort am Institut für Zoo-Physiologie. Ab Ende der 1980er Jahre engagierte sie sich in einer atomkritischen Bürgerinitiative in Duisburg, seit 2000 unterstützt sie in Freiburg verschiedene Anti-Atom-Gruppen und Initiativen, die sich für Erneuerbare Energien einsetzen.
Maureen Kearney war Gewerkschafterin beim französischen halbstaatlichen Atomkraftkonzern Areva. Sie kämpfte vor allem ab 2010 mit aller Energie für den Erhalt dieser Arbeitsplätze. Sie, Frau Stegen, machen das Gegenteil: Sie sind nicht nur Antiatomkraft-Expertin, Sie arbeiten hauptberuflich für die badischen Stromrebellen, offiziell: die Elektrizitätswerke Schönau. Ihre Devise kann doch nur sein: Jeder ruinierte Atomkonzern ist ein guter. Warum engagieren Sie sich für die Areva-Gewerkschafterin Kearney? Die stand und steht doch auf der falschen Seite!
Stegen: Ich gebe zu, vor unserem ersten Treffen hatte ich schon Bauchgrummeln, ob das gut gehen würde. Ob das wirklich funktioniert, dass wir uns auf Augenhöhe begegnen und konstruktiv ins Gespräch miteinander kommen. Was würde sie wohl dazu sagen, dass ausgerechnet eine der glühendsten Atomkraftgegnerinnen im meilenweiten Umkreis ihre Geschichte übersetzt? Es lief besser, als ich es in meinen kühnsten Träumen erhofft hatte. Wir hatten von Anfang an einen wertschätzenden Umgang miteinander und unser gegenseitiges Vertrauen wächst mit jeder Begegnung.
Dann ist Frau Kearney zur glühenden Atomkraft-Gegnerin geworden?
Nein, so kann man das nicht sagen. Wir lernen voneinander, gerade wegen der Perspektive der jeweils anderen. Ihre Mails sind wirklich herzerwärmend. Und es passieren Dinge, die ich vorher nie für möglich gehalten hätte. Beispielsweise schickt sie mir Links mit der Anmerkung: „Schau mal, das bestätigt deine Aussage zu den zivil-militärischen Interdependenzen im Atomsektor.“
Männer fürs ganz Grobe
Mit was haben wir es hier zu tun: mit einem Atommafia-Polit-Thriller? Mit dem Fall einer unerschrockenen Gewerkschafterin, die wegen ihres Kampfes um Arbeitsplätze bedroht und vergewaltigt wird, Attacken vermutlich initiiert von Kreisen der Atomindustrie? Oder ist es zuallererst, wie Sie es oben angesprochen haben, ein MeToo-Fall, bei dem das Opfer jahrelang gegen Polizei und Justiz um die Glaubwürdigkeit ihrer Anklage kämpfen muss?
Man kann diese Geschichte tatsächlich auf sehr unterschiedliche Weisen lesen. Und doch gehören all diese Aspekte zusammen und ergeben zusammen noch einmal ein neues Bild. Die barbarische Vergewaltigung war in diesem Fall eben nicht trieb-induziert. Sie war eiskalt geplant und akribisch vorbereitet, wurde ausgeführt durch einen gewalttätigen Mann, der die Frau beherrschte und erniedrigte, und hatte einzig den Zweck, die Whistleblowerin zum Schweigen zu bringen. Wenn das keine Mafia-Methoden sind, was dann?
Aber es ist ja kein Zufall, dass eine Frau das Ziel war.
Natürlich richtete sich diese teuflische Attacke gegen eine Frau als vermeintlich schwächstes Glied in der Kette des Widerstandes der Gewerkschaften, die den Ausverkauf des Nuklear-Knowhows der französischen Kolleg:innen an die für Industriespionage bekannten Chinesen verhindern wollten. Und in dem Buch erfährt das Publikum, dass es mindestens einen weiteren Fall gab, bei dem die feige Clique nach fast demselben Drehbuch eine weitere Frau als Opfer ausgeguckt hatte. Um einen Mann mundtot zu machen, wurde seine Frau gequält. Auch bei diesem Fall wurden offenbar Geheimdienst-Werkzeuge eingesetzt: Die ganze Familie wurde mit Stasi-Methoden ausspioniert. Aus Erzählungen von Maureen weiß ich von weiteren deutlichen Hinweisen, dass diese mafiösen Kreise gezielt bei Frauen den Hebel ansetzten, um Widerstand und Aufklärung mit brutalen Mitteln buchstäblich zu eliminieren. Es sollte niemand wagen, diesem Schattenkabinett mit Verbindungen in die höchsten Etagen von Politik, Justiz und Konzernen in die Quere zu kommen.
Der zweite Fall, den Sie eben erwähnt haben, der spielte sich jedoch nicht in der Atomenergie, sondern in der Wasser-Wirtschaft ab.

Richtig. Das Auffällige an diesem Fall: An der Spitze dieses Wasserversorgungs-Konzerns saß damals derselbe Chef, der später den Atom-Konzern Électricité de France, EdF, leitete. Es ist Henri Proglio, ein Mann von Sarkozys Gnaden. „Er ist die Bestie“, ließ der Filmregisseur einen Insider sagen, um plakativ darzustellen, woher die Bedrohung für Areva kam. Und Proglio hatte schon damals denselben „Mann fürs Grobe“, Alexandre Djouhri, an seiner Seite. Mit demselben Strippenzieher-Politik-Netzwerk, mit denselben Kontakten zu Geheimdiensten und offenbar auch denselben Möglichkeiten, ihre Opfer auszuspionieren.
Wenn sich so etwas in der Atomwirtschaft abspielt, dann hat dies eine besondere Brisanz, verglichen mit anderen Branchen?
Ja. Weil es eine Hochrisiko-Technologie ist. Und weil die Geschäftstätigkeiten mit Diktaturen wie China, Russland und einst Libyen (seinerzeit unter Diktator Gaddafi) das Potenzial von internationalen Krisen und Gefahren in sich bergen.
Um die Besonderheit der Atomkraft zu erklären, muss ich etwas ausholen. Emmanuel Macron hat es mal auf die Formel gebracht: „Ohne zivile Atomkraft gibt es keine militärische Atomkraft; ohne militärische Atomkraft gibt es keine zivile Atomkraft“. Auf die Interdependenzen, also die wechselseitigen Abhängigkeiten, kommt es an. Nicht nur darauf, dass es ohne das zivile Rückgrat weder finanziell noch organisatorisch möglich ist, die nukleare Verteidigung aufrecht zu erhalten: Es geht um Reaktortechnik (in AKW und Atom-U-Booten), um Spezial-Materialien, ökonomische Skaleneffekte, eine gut getaktete Auftragslage in der Zulieferindustrie, Lieferketten, Ausbildungsinfrastruktur, Forschung und Entwicklung – kurz: die komplette industrielle Basis.
Millionenschwere Provisionen
Und was ist Ihres Erachtens die zweite Seite dieser Interdependenz?
Wer als Atommacht auf dem internationalen Parkett seinen Nationalstolz präsentieren möchte, ist aufseiten der Politik gerne bereit, fürs Militär riesige Geldsäcke zu öffnen. Und eben auch für die Quersubventionierung der militärischen Anwendungen durch die zivile Atom-Seite. Da dürfen die Kosten der Atomwirtschaft den Staat regelmäßig an die Abgründe der Maastricht-Schuldengrenze treiben, ohne dass die Politik die Reißleine zieht.
Welche Rolle spielten diese Aspekte nun in dem Konflikt, den Maureen Kearney ausgetragen hat?
Wir wissen, dass in der Zeit, als sich diese atomare China-Affäre anbahnte, die Maureen unbedingt verhindern wollte, die Zahl von 200 EPR-Reaktoren im Raum stand. Stellen Sie sich das mal vor: 200 Mal riesige Milliardenbeträge. Was das alles in Gang setzt: Lobbyisten, gierige Mittelsmänner, alle lecken sich die Finger nach millionenschweren Provisionen, nach Aufträgen mit hohen Profitraten. Wenn diese Korruptionsagenten vom Schlage eines Monsieur Alexandre, also dem „Mann fürs Grobe“ des Atomkonzern-Chefs, ihre eigenen Geschäfte bedroht sehen oder von anderen losgelassen werden, um deren Geschäfte zu schützen, dann können da üble Räderwerke in Gang gesetzt werden. Räderwerke, die sich offensichtlich bevorzugt weibliche Opfer suchen. Übrigens: Dieser eben genannte Mann für’s Grobe steht momentan wegen Sarkozys Libyen-Affäre vor Gericht.
Maureen Kearney ist in diesen Wochen im deutschsprachigen Raum unterwegs, um über diesen Skandal zu berichten. Mit im Gepäck hat sie den Film „Die Gewerkschafterin“, ihre Rolle, die Hauptrolle besetzt mit Isabelle Huppert. Und das Buch, eben von Ihnen, Frau Stegen, ins Deutsche übersetzt. Wie ist die Resonanz?
Ambivalent. In den Veranstaltungs-Sälen geradezu umwerfend positiv. Die Menschen sind wirklich berührt von Maureens Geschichte. Und es gibt spannende Diskussionen. Kürzlich, am 9. Mai in Zürich, sind mir schier die Tränen in die Augen geschossen, als Maureen nach dem Film den Raum betrat und fast 100 Menschen sie mit Standing Ovations empfangen haben. Im Vergleich dazu ist das Interesse der Presse im Moment noch recht bescheiden. Es ist schwierig, sich in diesen lauten Zeiten Gehör zu verschaffen, wenn Polit-Clowns aus dem weißen Irrenhaus und rechtsextreme Brüllaffen in Krawall-Talkshows die kollektive Aufmerksamkeit absorbieren.

Bei uns Interesse zu finden für einen Skandal, der sich vor Jahren im „fernen“ Frankreich ereignete, zumal in einer Branche, die bei uns eine deutlich geringere Rolle spielt — das ist also tatsächlich ein hartes Stück Werbe-Arbeit?
Ja, tatsächlich. Dabei sind Thema und Konflikt doch aktuell und naheliegend. Die Rufe nach der Atomkraft — wahlweise als vermeintlicher Klima- oder Strompreis-Retter — verstummen nicht. Im Gegenteil, sie werden nun wieder mit Debatten in Medien und Politik verstärkt, auch unter dem Schlagwort: atomarer Schutzschirm. Dabei zeigen selbst ehemalige Atom-U-Boot-Kommandeure auf, wie kontraproduktiv es ist, riesige Geld-Summen in der atomaren Verteidigung — plus zivilem Rückgrat — zu versenken. Während die Mittel für Cyberabwehr, Spionage- und Sabotage-Abwehr und für konventionelle Verteidigung fehlen.
Richtig verrückt wird es, wenn man mal den argumentativen Ringschluss zieht, und dabei die Ereignisse am ukrainischen AKW Saporischschja im Blick hat: Da gibt ein Land X riesige Summen aus, um sich gegen ein Feindesland Y zu verteidigen. X stellt sich dazu mit den AKWs quasi vorinstallierte Bomben in den Vorgarten, um über die zivile Atomkraft an die Bombe zu kommen, mit der es sich gegen Y verteidigen will. Die AKW sind eine sündteure Einladung an alle Despoten-Regime und Terroristen, damit politische Erpressungen zu betreiben, maximalen Schaden anzurichten – auch jenseits eines „offiziellen“ Krieges.
Und die deutsche Atomindustrie?
Was bewegt Maureen Kearney, heute 69 Jahre alt, erst jetzt, also viele Jahre später, nach Jahren auch der psychischen Tortur, über ihre dramatischen Erlebnisse als Gewerkschafterin in der französischen Atomkraft-Wirtschaft zu berichten?
Maureen Kearney hat sich mithilfe eines Trauma-Therapeuten aus der ihr zugedachten Opferrolle befreit. Sie wird nicht müde zu erklären, weshalb die Therapie so wichtig ist und für sie so hilfreich war. Wer in die Geschichte eintaucht, versteht, wie Polizei und Justiz — als Teil des Räderwerks — systematisch die Hebel an ihren Schwachpunkten angesetzt haben, um auch den letzten Rest ihrer Verteidigungsfähigkeit zu zertrampeln. Sie lag buchstäblich am Boden und anstatt offensichtliche Spuren zu verfolgen und auszuwerten, haben Polizei und Justiz akribisch in ihrer Vergangenheit gewühlt, alte Geschichten aufgekocht und diese als Waffe eingesetzt, um sie am Boden zu halten. Erst mit der Therapie hat Maureen ihre Sprechfähigkeit wiedererlangt. Das ist zwingende Voraussetzung dafür, dass man sich verteidigen kann.
Warum „lieben“ die Franzosen bis heute die Atomenergie so viel mehr als die Deutschen?
Was den Deutschen die Autoindustrie ist den Franzosen die Atomindustrie, die Flaggschiffe der nationalen Wirtschaft. In beiden Fällen quasi Staatsräson. In beiden Fällen sinkende Flaggschiffe. Der Technologietransfer nach China, den Maureen verhindern wollte, hat Frankreichs Reaktorbauer vom internationalen Markt gefegt. Aber fragen sie die Menschen in Frankreich mal nach der militärischen Bedeutung der zivilen Atomkraft. Da schauen Sie in große Staune-Augen und in tiefe Täler der Ahnungslosigkeit. Das Thema wird totgeschwiegen.
Ist die deutsche Atomkraft-Branche eigentlich vergleichbar mafiös?
Schwierig, das weite Feld in wenigen Worten einzudampfen. Wo soll ich anfangen? Bei den Cicero-Atomfiles mit all den Strippenziehern, die einen Skandal fabrizieren wollten? Natürlich fällt mir bei Cicero-Mitherausgeber Dirk Notheis sofort die EdF-EnBW-Affäre ein. Notheis landete als „Koch“ vor dem Untersuchungsausschuss, sein „Kellner“ war Stefan Mappus, der Ex-Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Notheis war damals Deutschland-Chef der Bank Morgan-Stanley. Sein Pendant auf französischer Seite war – pikanterweise – René Proglio, der Zwillingsbruder von EdF-Chef Henri Proglio. Über diese Verbindung wurde 2010 ein Milliarden-Deal eingefädelt zugunsten der französischen Atomwirtschaft und der ihr angeschlossenen Politik-Clique und zulasten der Steuerzahler:innen in Baden-Württemberg. Den völlig überteuerten Rückkauf von EnBW-Aktien hatten die Proglio-Zwillinge und die Atom-Fans Notheis und Mappus hinter dem Rücken des Parlaments eingefädelt.
Ist diese EnBW-Affäre ein isolierter Fall, quasi ein Ausreißer?
Keineswegs. Auch diese EnBW-Affäre kann im Kontext mit den Affären um Sarkozys Wahlkampf-Finanzierungen interpretiert und begriffen werden; also unter anderem im Kontext mit Geldkoffern aus Libyen und der Betancourt-Affäre. Auch hier gilt: Die Verbindungslinien führen ebenfalls zu den Figuren aus Sarkozys Korruptions-Clique. Ein weiterer Brückenschlag ergibt sich aus den französisch-russischen Absichten, in Lingen, Niedersachsen, Brennstoff für die internationale Atomwirtschaft zu produzieren. Die russische Rosatom mit ihren 400 Tochterfirmen sitzt wie eine schwarze Witwe im internationalen Atomnetz, foltert in der Ukraine, organisiert geostrategische Abhängigkeiten und bekommt unverändert von mehreren Stellen in Deutschland den roten Teppich ausgerollt. Übrigens sitzt der despotenaffine, bekennende Putin-Fan Henri Proglio im internationalen Beirat von Rosatom. Und die EU hat es in 16 Sanktions-Paketen gegen Russland nicht hinbekommen, eine einzige Atomsanktion auch nur anzudenken.

Endlich Rechenschaft?
Das Buch „La Syndicaliste“ ist in Frankreich 2019 erschienen. Der Film wird seit 2022 gezeigt. Wie ist dort die Resonanz? Beim Publikum, in der Politik, bei den Gewerkschaften?
Das Buch war in Frankreich ein Bestseller. Die Verfilmung lief unter anderem auf den Filmfestspielen in Venedig – wo es übrigens von Monsieur Alexandre, dem Mann fürs Grobe, eine Drohbotschaft an die Frau (!) des Filmemachers Jean Paul Salomé gab. Der Film lief mittlerweile in 38 Ländern. Und dieses internationale Interesse hat eine Rückprall-Wirkung in Frankreich. Das hatte ich zunächst völlig unterschätzt, bis mir Maureen und Caroline, die Buchautorin, diesen Impact klar gemacht hatten.
Inwieweit hilft es bei Ihren gemeinsamen Mühen um Aufklärung, dass eine berühmte Schauspielerin wie Isabelle Huppert die Hauptrolle übernommen hat?
Sie ist eine Ikone. Ihre Zusage wirkte wuchtig: Auch die Autorin des Buches, die mutige Investigativ-Journalistin Caroline Michel-Aguirre ist bespitzelt und bedroht worden. Diese Einschüchterungsversuche hörten schlagartig auf, als Huppert mit ihrer Zusage einen Pflock eingeschlagen hat.
Wissen Sie, was Huppert bewogen hat, diese Rolle zu spielen?
Nein.
Hoffen Sie, Frau Kearney oder die Buch-Autorin Michel-Aguirre heute noch, dass Drahtzieher und Täter der Attacken ausfindig gemacht werden?
Man muss sich in Maureens Lage versetzen. Sie will dafür nicht so weit gehen, alte Wunden wieder aufzureißen. Aber für Caroline Michel-Aguirre und mich kann ich das vehement bejahen. Caroline hat ein wirklich berührendes Vorwort in ihrem Buch geschrieben, in dem sie sich wünscht, dass „durch das Weitertragen der Geschichte sich eines Tages jemand melden und ein Hinweis auftauchen wird, der uns endlich Antworten liefert“. Damit die Täter, die immer noch unbehelligt unterwegs sind, endlich zur Rechenschaft gezogen werden.
Wer bei uns selbst aktiv werden will: eine Filmaufführung vor Ort organisieren, eine Diskussion mit Maureen Kearney, den Verkauf des Buches mit einer Diskussionsveranstaltung fördern — wo kann der/die sich hinwenden?
Gerne an mich oder an Christoph Schottes vom Verlag edition einwurf. Für die Schweizer Seite an Stephanie Eger von der Schweizer Energiestiftung.

Interview: Wolfgang Storz / Der Beitrag erschien zuerst im Blog Bruchstücke . Wir danken für die Abdruckgenehmigung
Fotos: Screenshot aus dem Trailer des Films „Die Gewerkschafterin“ / Henri Proglio auf Wikimedia commons / Eva Stegen und Maureen Kearney (v.l.) bei einer Präsentation in Frankfurt (Mai 2025) © IG Metall
Zum Lesen, zum Sehen:
Caroline Michel-Aguirre: „Die Gewerkschafterin. Im Räderwerk der Atommafia“. Verlag Edition Einwurf. Rastede 2025, 224 Seiten. Übersetzung aus dem Französischen von Eva Stegen. Zum Buch siehe auch die Rezension auf Bruchstücke.
Trailer des Films „Die Gewerkschafterin“. Regie: Jean-Paul Salomé, Besetzung: Isabelle Huppert, Gregory Gadebois, Yvan Attal, Marina Foïs, Pierre Deladonchamps u.a. 2023
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