
Sie waren wohl das eindrücklichste Konstanzer Künstlerpaar: Anna (* 1935) und Peter Diederichs (1923–1982), mit denen unser Autor Thomas Sieben zahlreiche Erinnerungen an eine prägende Zeit verbindet. Die Ausstellung „Im Fremden zu Hause“ mit Werken der beiden in der Wessenberg-Galerie bietet den Besucher*innen vom 5. Juli bis 5. Oktober die Gelegenheit zu einer Spurensuche – nicht zuletzt in ihrer eigenen Geschichte.
In den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war der Münsterhof zu Konstanz ein Treffpunkt von Studenten, abgebrochenen und echten, von Tagedieben, Malern, Bildhauern, Schauspielern, Regisseuren, Schriftstellern, Köchen, Handwerkern, Redakteuren und anderen Gestalten, denen man – um es mit Max Goldt zu sagen – auch tagsüber ansah, dass Nachtleben für sie kein Fremdwort war. Eine letzte Bastion der Bohème, ein Café des Westens im äußersten Süden der Republik.
Von der Wirtin Brück streng beäugt, wurde dort endlos geredet, gelacht, gelogen, gesungen, gespottet, geschrien, manchmal auch geweint und meistens maßlos gesoffen.
Alle rauchten. Alle! Roth Händle, Gauloises, Gitanes.
Es war eine Zeit der ziellosen Neugierde auf alles, was nach Groteske und Humor roch, in der Suche nach der nächsten Absurdität, die uns Lachen macht und in der instinktiven Verachtung der Eitelkeit. Je gelehrsamer diese uns daherkam, umso ungerechter wurden wir in unserer Rede. Nichts und niemand war davor sicher, und alles und jeder war geeignet, am Biertisch unserem Spott geopfert zu werden.
Frauen waren in der Minderzahl. Und, meistens von irgendjemandem widerwillig mitgebracht, erduldeten sie stumm beobachtend die Dummheit der Männer, die das nur zu gern mit Bewunderung verwechselten.
Hier im Münsterhof lernte ich Peter Diederichs und später Anna kennen.
Er kam meistens direkt aus der Werkstatt gegen 22:00 Uhr herein. Farbe, Klebstoff, Spuren seiner Arbeit noch an Kleidung und Händen, setzte er sich zu uns an den Tisch und fing an zu rauchen. Selten erzählte er von seiner Arbeit, oft von Anna. Anna, die Grafikerin, Malerin, die wie er jeden Tag an ihrer künstlerischen Arbeit saß und – es soll gesagt sein – damit das Geld verdiente.

Anna entwarf Textildesigns für Pariser Modehäuser. Jeden Tag etwa zwei Muster. Von zehn wurden zwei genommen. Davon ließ sich leben. Anna fuhr nach Paris, Anna kam aus Paris. Anna brachte von den Pariser Flohmärkten mit, was Peter für seine Skulpturen brauchte: Puppen, kleine Figuren, Fransen, Troddeln, Quasten, Bommeln, Ringe, Schmuck, Tand.
Anna setzte sich zu uns an den Tisch im Münsterhof und nahm unserer Boshaftigkeit die Schärfe mit ihrer Neugierde und der immerwährenden Bereitschaft, erst mal alles mit einem Lachen zu beenden. Man konnte sich bei Anna Diederichs keine noch so schlimme Situation vorstellen, in der sie nicht zu diesem Lachen fähig gewesen wäre. Sie trug es bei sich wie ein Zauberpulver, das sie zuverlässig auf die Stellen zu streuen verstand, die besonders weh taten.
In ihren Arbeiten, vor allem in den Objektkästen, kann man ihn wiederfinden, diesen unbestechlichen, bisweilen grimmigen Humor, dem nichts Belehrendes anhaftet, sondern belustigtes Staunen über die Skurrilität des Lebens selbst.

Peters Werkstatt in der Tulengasse, die er erst seit ein paar Jahren nach dem Kauf des Hauses eingerichtet hatte, war der Ort, an dem seine Ordnung herrschte, wo er wusste, was wo liegt und was wo hingehört. Hier baute er seine Skulpturen zusammen. In einem Zustand unaufgeregter Vergnügtheit platzierte er Puppenärmchen, Augen, Händchen, Köpfe, Stoffteile, Ornamente an die richtigen Orte.
„Das gehört da hin und das gehört da hin“.
Da gab es scheinbar nichts, das erkämpft, abgerungen werden musste. Das Material schien sich ihm nicht zu widersetzen, es bot sich ihm an.
Erst viele Jahre später wurde mir bewusst, was für ein Privileg es gewesen war, von Peter Diederichs in seine Werkstatt eingeladen zu werden. Ich, der um so viel Jüngere, saß in einer Ecke, trank Tee, rauchte und schwieg. Das Radio lief.
„Hörst du keine Musik?“
„Nein, lieber Vorträge.“
Und, wie für sich selbst im ruhigen Fluss seiner Bewegungen: „Weißt du, wenn du abstrakte Kunst machst, hast du keine Probleme. Aber, was solls.“
Heute habe ich Peter Diederichs Werkstatt als einen Ort vollkommenen Friedens in Erinnerung.

Peter war Jahrgang 1923, zwei Jahre älter als mein Vater und wie er Kriegsteilnehmer und zur Behandlung seiner TB im Sanatorium St. Blasien gewesen.
Hier bei der Arbeit an seinen Skulpturen schien das alles keine Rolle mehr zu spielen. Er war angekommen. Das Glück eines Mannes, der endlich das tun kann, was er schon immer tun wollte. Und er wusste, dass es niemanden gab, der eine solche Kunst machte wie er. Auch Anna wusste das und es schien nie einen Einfluss auf ihre eigene Kreativität gehabt zu haben. Und beide wussten, was sie aneinander hatten.
Man kann vor allem die großen Skulpturen von Peter Diederichs, wenn man will, opulent nennen. Wer sie betrachtet, wird von diesem wohlgelaunten Detailreichtum, von dieser Lust am Darstellen eingefangen und zum Weiterschauen verführt.
Diese Kunst ist eine Einladung zum Entdecken. Wer will, kann nach Botschaften suchen, vielleicht gibt es sie. Was man aber bei Anna und Peter Diederichs und ihrer Kunst nicht finden wird, sind die großen Gesten, die Ergriffenheit, oder etwas in dieser Art provozieren sollen.
Im besten Sinne des Wortes, sind Anna und Peter Diederichs frei von jedem Pathos, unbeschwert von der Not, Wichtigkeiten zu erzeugen.

Vielleicht liegt hier ein Grund für die misstrauische Distanz, die zwischen ihnen und der etablierten Kunstwelt bestand. Erfolg wäre sicher schön gewesen. Auch in finanzieller Hinsicht. Aber da gab es eben auch Ignoranz, die Eitelkeiten, die Gier, die Heucheleien und Lächerlichkeiten. Irgendwie schien es nicht zu passen.
Und irgendwie ist das auch gut so.
In der Kunst von Anna und Peter Diederichs drückt sich immer wieder die Freude aus, spielerisch, frei und ungebrochen dem Eigenen nachgehen zu können und nicht alles mitmachen zu müssen.
Auch heute noch, mit über 90 Jahren, ist Anna Diederichs auf den Flohmärkten der Gegend unterwegs. Sie sucht nicht, sie findet.
Das Haus in der Tulengasse ist der Ort, an dem sie das Zufällige in Ordnung bringt. In ihre Ordnung.
Es hat lange gedauert, bis die Arbeiten dieses außergewöhnlichen Künstlerpaares nun von einem größeren Publikum bestaunt werden können, zumal in Konstanz, der Heimatstadt von Anna und Peter Diederichs.
Bleibt zu hoffen, dass die nun entstandene Aufmerksamkeit anhält und das Werk von Anna und Peter Diederichs auch in Zukunft einer Öffentlichkeit zugänglich bleibt.
Die Ausstellung
„Im Fremden zu Hause. Peter Diederichs & Anna Diederichs“
Eröffnung am Freitag, den 4. Juli 2025, um 19 Uhr, Ausstellung vom 5. Juli 2025 bis 5. Oktober 2025 in der Städtischen Wessenberg-Galerie, Wessenbergstraße 43, 78462 Konstanz, Telefon: +49 7531 900-2921, E-Mail: wessenberg-galerie@konstanz.de
Öffnungszeiten: Dienstag-Freitag 10–18 Uhr, Samstag, Sonn- und Feiertag 10–17 Uhr, montags sowie an Feiertagen, die auf einen Montag fallen, ist geschlossen.
Den Flyer zur Ausstellung und zum Begleitprogramm finden Sie hier.
Das Begleitheft, es umfasst 67 Seiten und kostet 8,- Euro, ist in der Galerie erhältlich oder kann bei Katharina Schlude bestellt werden: katharina.schlude@konstanz.de.
Text: Thomas Sieben, OP
Bilder:
– Peter Diederichs und Anna Diederichs, 1970er Jahre © Privatbesitz
– Anna Diederichs und Peter Diederichs in der Tulengasse, 1970er Jahre © Privatbesitz
– Peter Diederichs (1923-1982): Medusa; 1975, Holz, Polyester u.a. Materialien; 65 x 47,5 cm © Städtische Wessenberg-Galerie Konstanz
– Peter Diederichs mit seiner Skulptur „Akrobaten“, 1979 © Privatbesitz
– Peter Diederichs (1923-1982): Baum der Hesperiden; 1979, Holz, Polyester und andere Materialien; 118 x 58 x 10 cm © Privatbesitz
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