
Die Architektur der Universität Konstanz – von manchen gefeiert, von anderen gehasst – ist politische Programmarchitektur: sie sollte den Reformgedanken dieser jungen Universität ausdrücken. Konsequenterweise plant die Universität nun einen neuen Bau, mit dem dieser Reformcharakter beendet wird und die Universität zu ihren Vorbildern, den altehrwürdigen Institutionen, aufschließt.
Die Universität Konstanz wurde vor fast 60 Jahren, im Jahr 1966, gegründet – zuerst wurden die Vorlesungen im Insel-Hotel gehalten, dann gab es schnell einen provisorischen Bau im Hockgraben. Die Labore dort (Gebäude X1-X5) wurden inzwischen abgerissen und durch Wohnungsbauten ersetzt, der Vorlesungstrakt (Gebäude X6) steht noch. Noch.
Das Hauptgebäude der Universität wurde auf dem Gießberg errichtet. Es sollte ein wichtiger Neubau für die deutsche Universitätslandschaft werden: die Universität als Reformuniversität – flache Hierarchien und innovative Pädagogik gekoppelt mit Spitzenforschung – musste diesen Reformgedanken architektonisch aufgreifen und damit die Reform in Beton gießen: der Brutalismus jener Zeit hatte keine Angst vor nacktem Beton, zusammen mit verschiedenen Hölzern und bunten metallenen Dächern entstand ein inzwischen denkmalgeschütztes architektonisches Ensemble.

Weg in eine neue Bildungslandschaft
Es waren die Zeiten von „unter den Talaren Muff von tausend Jahren“, und Konstanz war das Zeichen für die Zukunft! Der Gedanke, die Professoren (es waren noch nicht viele Frauen unter ihnen) in WGs mit den Studierenden zusammen am Sonnenbühl unterzubringen, wurde zwar verworfen (die Professoren bekamen die oberen Stockwerke der Hochhäuser, die anderen Mitarbeiter die unteren, die Studierenden wurden getrennt gehalten), aber der Gedanke, die Reform in der Architektur der Universität zu zementieren – dieser Gedanke hielt. Flache Hierarchien, Kommunikation zwischen den Statusgruppen und zwischen den Fachbereichen, eine Brücke für die Wissenschaft in die Stadt, ein einziger Campus mit kurzen Wegen, all das wurde realisiert. Reformuniversität Konstanz, später als creative.together anglizistisch vermarktet, war ein Erfolgsmodell.
Wie drückt sich das in der Architektur aus? Hier ein paar Beispiele:
Die Decke in der Eingangshalle der Universität ist niedrig: nicht der Elfenbeinturm, der Ehrfurcht einflößt, sondern eine einfache, flache Halle. Diese Decke, vom Zero-Künstler Otto Piene (1928-2014) gestaltet, besteht aus dreieckigen, farbigen Elementen (damals, ganz im Sinne der Zeit, aus Plastik – heute in Glas renoviert): die Farben symbolisieren die Statusgruppen der Universität, deren Licht sich auf dem Boden vermischt, je nach Wetter mehr oder weniger, denn die Statusgruppen kommen hier zusammen, vermischen sich, schaffen gemeinsam Neues, das allein nicht möglich wäre. Der Boden besteht aus Pflastersteinen, um einen mittelalterlichen Marktplatz darzustellen (ein Werk von Eugen Schneble, 1936-2013).
Ein Marktplatz als Mitte
Hier ist ein Ort, an dem alle miteinander in Kontakt treten. Der Marktplatz zieht sich aus dem Innenbereich bis auf den Innenhof nach außen, wo er – wie ein richtiger Dorfplatz – den Kontakt zu Gesellschaft und Stadt symbolisieren und realisieren soll. Eingang und Innenhof sind, zusammen mit Bibliothek und Mensa, die Mitte der Universität, in der Kommunikation, Studium, und Essensgenuss zusammenkommen und wo sich alle treffen. Die Mitte, das ist der Schnittpunkt zwischen den Fachbereichen, und in der Mitte ist das Symbol des Wissens: Bibliothek, Audimax und die Diskussionen auf dem Dorfplatz.
Darum hat die Mensa, die schon oft den Preis für die schönste Mensa in Deutschland bekommen hat und intensiv daran arbeitet, auch mal einen Preis für gutes Essen zu erhalten, den schönsten Platz an der Universität, mit einem imposanten Blick über den Überlinger See – hier können alle, Studierende, Wissenschaftlerinnen, Promovierende, Wissenschaftler, Professorinnen, Angestellte und Professoren gemeinsam essen und diskutieren. Das Restaurant für Notfälle und für die späten Stunden wurde in ein dunkles Kellerloch verbannt – Pech für die Arche, das kleine versteckte Juwel innerhalb der Universität. Und der ganze Campus ist ein einziges Gebäude – wo man, mit Ausnahme der Limnologie (die Zugang zum See braucht) und der Sporthallen, von jedem Büro, von jedem Hörsaal, von jedem Labor aus in jedes andere trockenen Fußes laufen kann.
Ein einziges Gebäude
Braucht ein Historiker den Gedankenaustausch mit einer Mathematikerin, und draußen stürmt es? Kein Problem – einmal durch den Flur, und man sitzt zusammen. Die Psychologin und der Biologe? Die Stände für die Erstsemestertage? Die großen Vorlesungen im Audimax? Die (früher rund um die Uhr geöffnete) Bibliothek? Alles im Gebäude miteinander verbunden, auch die „core facilities“, die Labore, die für mehrere Arbeitsgruppen zur Verfügung stehen, etwa für Mikroskope: zentral und mitten im Gebäude, zugänglich für alle, Studierende wie ProfessorInnen, Wissenschaft ist für alle da.
Nur für den Weg in die Stadt, für ihn musste man nach außen gehen. Aber dieser Weg war wichtig: denn eine Reformuniversität ist nicht abgehoben, sondern muss auch mitten in die Gesellschaft, in die Stadt hineinwirken. Darum hat Ott Aichler (1922-1991), als er das Logo für die Universität entwarf, in zarten Linien das Münster gezeichnet, die Brücke über den Rhein, das Segelboot auf dem See – und nur am Rande die Universität: denn hier ist die Reform am richtigen Ort, eine Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, zwischen Universität und Stadt, zwischen bebauter Struktur und Natur auf dem Wasser. Eine Reformuniversität eben.

Ein neues Zentrum
Die Universität ist seit ihrer Geburtsstunde immer weiter gewachsen, immer neue Gebäude wurden an den zentralen Bau angebaut. Als nächstes steht das forum.konstanz in den Büchern. „Die Bauarbeiten für das Forum Konstanz werden im Sommer 2025 beginnen. Das Forum Konstanz ist ein Schlüsselprojekt der Universität: ein Zentrum für Wissenschaft und Gesellschaft, ein Ort der Begegnung zwischen BürgerInnen und WissenschaftlerInnen. Das Gebäude vereint in sich Räume für Forschung, Flächen für universitäre Startups, Ausstellungsräume und Begegnungsorte einschließlich einer Gastronomie. Die Fertigstellung ist für 2029 geplant“ (so die Universität).
Dieser für die Zukunft der Universität wichtige Bau wird bis zu 139 Millionen Euro kosten, davon zahlt eine private Stiftung 25 Millionen, die Steuerzahler die restlichen 114 Millionen (z.T. aus dem Universitätshaushalt, z.T. aus Exzellenzmitteln, z.T. aus direkten Landesbaumitteln). Dank sei der Stadt Konstanz, die ihr eigenes Forum Bodenseeforum nennt, so konnte die Universität ohne Probleme den Namen der Stadt für ihr Pendant, das zweite Forum in Konstanz, nutzen: forum.konstanz. Das forum.konstanz wird sicherlich mindestens genauso erfolgreich wie das Bodenseeforum sein.
Reformen sind Prozesse, und Prozesse leben in der Zeit, haben einen Anfang und ein Ende. Auch das Ende einer Reform muss architektonisch zementiert werden. Ich nehme mal an dies ist einer der Gründe, weshalb gerade dieses architektonische Projekt den Wettbewerb für das forum.konstanz gewonnen hat – ein Gebäude, das die Gedanken der Universität aufgreift, beendet und in eine neue Richtung interpretiert.

Ein Elfenbeinturm
Was sind die neuen Gedanken, die im Forum stecken und die es vom bestehenden (Alt-)Bau der Universität unterscheiden? Ganz einfach: der Elfenbeinturm (hohe, monumentale Eingangshalle gegenüber der flachen, beengenden Decke des Altbaus), der Boden (schicker Parkettboden, auf dem man nicht mehr so stolpert wie auf dem Dorfplatz), das Luxusrestaurant mit Seeblick (damit sich ProfessorInnen und ihre Gäste untereinander in Ruhe unterhalten können, ohne von Studierenden in der Mensa gestört zu werden, denn für gute Wissenschaft brauchen wir Konzentration), die core facilities (getrennt von den Fachbereichen, denn die Sicherheitslage wird immer problematischer), die räumliche Trennung (das Gebäude ist so konzipiert, dass es auch in Zukunft nicht an den Altbau angeschlossen werden kann, obwohl es direkt gegenüber von Trakt P liegt).
Der Architekturwettbewerb wurde von einem Gebäude in Holz-Hybridbauweise gewonnen, um den CO2-Abdruck zu reduzieren, inzwischen wurde es zum reinen Betonbauwerk umgeplant. Mit dem forum wird auch die neue Mitte der Universität realisiert: der Schnittpunkt zwischen den Bushaltestellen, dem Eingang zum forum und dem Biergarten. Der offene Draht zur Stadt wird jetzt klarer formuliert: interessierte Bürgerinnen und Bürger sollen in Zukunft selbst zur Universität kommen – hier können sie die Wissenschaften erleben, der Weg in die Stadt ist nicht mehr nötig. Die Universität hat schließlich keine Bringschuld, die Stadtgesellschaft hat eine Abholschuld.
Architektursymbolik
Mit dem forum.konstanz erhält die Universität zum ersten Mal die architektonische Grundlage, um sich neu zu erfinden! Nach 60 Jahren „Reformuniversität“ können wir dieses Kapitel beenden (weg mit dem Muff der 70er Jahre) und schlagen ein neues Buch auf. Jetzt haben wir endlich einen neuen Ansatz, ein wahrlich innovatives Gebäude für die Universität: mit dem forum.konstanz können wir die nächsten 60 Jahre der Universität gestalten. Vielleicht sollten wir das mit einem neuen Logo für die Universität feiern, das alte ist wahrlich auch in die Jahre gekommen. Auf ein gutes Gelingen!
PS: Auf die Bedeutung von Ausgründungen, für die es im forum.konstanz auch Räume geben soll, und auf die Schönheit des Ballsaals bin ich nicht eingegangen. Es handelt sich bei diesem Text um ganz persönliche Eindrücke und Bewertungen, ohne jeden Anspruch auf Deutungshoheit, und natürlich zugespitzt. Es sind Meinungen, und damit sind sie weder „richtig“ noch „falsch“. Insbesondere weiß ich nicht, ob der Wandel aus der Reformuniversität heraus bewusst oder gewollt erfolgt – oder gar schon längst passiert ist. In letzterem Fall würde die Architektursymbolik nur retrospektiv gelten.
Text: Giovanni Galizia
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