Schuldenschnitt va juni 2025©tobias vogel

Unsere Schuld: die Schulden der Armen

Schuldenschnitt va juni 2025©tobias vogel

Wie viele Schulden kann ein Land stemmen? Wann und wofür sind neue Schulden sinnvoll, wann nicht? Hierzulande wird dies immer wieder diskutiert. Im globalen Süden hingegen stellen sich solche Fragen nicht: Dort wurden den Staaten die Schulden aufgezwungen – oft von IWF und Weltbank, immer vom Norden. Mit verheerenden Folgen.

Viele Länder des globalen Südens sind massiv verschuldet – doch laut Nico Graack, Robin Jaspert und Lara Wörner liegt das nicht in erster Linie an ungünstigen geografischen Gegebenheiten oder am Versagen der dortigen Bevölkerung. Am 26. Juni stellten die drei Autor:innen ihr aktuelles Buch „Wer schuldet wem etwas? Bullshit-Diskurse, Deutschland und die Schuldenstreichung des Globalen Südens“ auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und seemoz.e.v. in Konstanz vor. 

Ihre zentrale These: Die Benachteiligung des globalen Südens und die daraus resultierende ökonomische Abhängigkeit sei politisch gewollt. Über das System aus Schulden und vermeintlichen Hilfeleistungen werde „in den formell dekolonisierten Staaten Abhängigkeits- und Ausbeutungsbeziehung fortgesetzt und die globale Vormachtstellung des Nordens“ abgesichert. Ihre Forderung: Ein umfassender und bedingungsloser Schuldenerlass.

Auf der Veranstaltung im Treffpunkt Petershausen führten die drei Referent:innen zunächst aus, wie das internationale Schuldensystem funktioniert: Für die Tilgung von Schulden, die teils noch aus der kolonialen Vergangenheit stammen oder im Zuge der Unabhängigkeit aufgezwungen wurden, werden Kredite vergeben, die an die Bedingungen einer rigiden Austeritätspolitik im öffentlichen Bereich und der Privatisierung der Wirtschaft gebunden sind. 

Schuldenschnitt für die BRD

Entgegen der Annahme der Trickle-down-Theorie, derzufolge mehr Reichtum für die Reichen allmählich nach unten durchsickere, führe dies nur zu Profiten für eine kleine Elite vor Ort – und im globalen Norden. Die breite Bevölkerung hingegen verarme. Und die einsetzende Schuldenspirale lasse die Schulden schneller wachsen als die Wirtschaft. Ein Beispiel aus dem Senegal: Dieses westafrikanische Land wandte 2020 zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Zinszahlungen auf. Trotz wachsender Wirtschaftskraft verdoppelte sich jedoch der Anteil der Zinslast innerhalb von zwei Jahren auf vier Prozent.

Das Schuldensystem wird dadurch verstärkt, dass der Aufbau einer lokalen Industrie in den Ländern des globalen Südens behindert wird. Verarbeitete Produkte sowie Lebensmittel müssen oft teuer importiert werden. Als einziger Ausweg erscheint oft die Erschließung und Ausbeutung von fossilen Rohstoffen. Als Nebeneffekt wird die Schuldenspirale so zu einem Treiber der Klimakatastrophe. Die Autor:innen beziehen sich hier auf einen Artikel des Fachjournals Socio-Economic Review, dem zufolge die als Entwicklungshilfe verkauften Maßnahmen von IWF und Weltbank zu einer strukturellen Erhöhung der Treibhausgasemission führen. Nur ein bedingungsloser Schuldenerlass ermögliche einen ökonomischen und ökologischen Neustart für den globalen Süden. 

Das zeigt auch das Beispiel Westdeutschlands in der Nachkriegszeit: Das deutsche „Wirtschaftswunder“, so die Referent:innen, sei nur durch eine Streichung von über fünfzig Prozent der deutschen Schulden 1953 und durch umfassende Maßnahmen zum Aufbau und Schutz der deutschen Wirtschaft durch die Alliierten überhaupt erst möglich geworden. 

Zum Wohle aller

Die Frage der Schuldenstreichung, so die Autor:innen, sei dabei nicht nur eine Frage der globalen Gerechtigkeit, sondern auch der Vernunft. Zusätzlich zu den positiven Folgen für die Menschen im globalen Süden würde ein Schuldenerlass effektivere Klimaschutzmaßnahmen ermöglichen – und damit einen Beitrag zur zentralen Zukunftsfrage dieses Planeten leisten. 

Nicht zuletzt käme der Schuldenschnitt für den Süden auch der breiten Bevölkerung der Industriestaaten zugute: Denn zum einen fließen die Profite des Schuldensystems hauptsächlich in die Taschen einiger weniger Finanzmagnate; ein Erlass würde also nicht zum allgemeinen Wohlstandsverlust führen. Andererseits entfiele durch den Schuldenerlass mittelfristig die ständige Androhung des Outsourcens der heimischen Produktion.

Und das bedeute langfristig: weniger Lohndumping und allgemein bessere Arbeitsbedingungen auch hierzulande. Graack, Jaspert und Wörner fassen zusammen: Die Forderung nach einem Schuldenerlass ist „nicht nur moralisch richtig, sondern auch politisch und ökonomisch notwendig“. Aktuell gilt: Viele zahlen – aber nur wenige profitieren … und das Klima kommt unter die Räder.

Graack jaspert woerner polemics schulden 95rgb

Die Veranstaltung am vergangenen Donnerstag war mit über zwanzig Teilnehmenden gut besucht. An den Vortrag schloss sich eine engagierte Diskussion an. Besonders interessiert war das Publikum an der Frage, wie entscheidend politische Rahmenbedingungen für die Entwicklung einer Gesellschaft sind – und inwieweit diese von außen vorgegeben oder aufgezwungen werden. Diskutiert wurden in diesem Zusammenhang auch die wirtschaftspolitische Entwicklung der Bundesrepublik nach 1945 sowie Vergleiche mit Staaten der ehemaligen Sowjetunion.

Die nächsten Veranstaltungen der Rosa Luxemburg Stiftung finden am 23. Juli in Konstanz und am 24. Juli in Singen statt. An beiden Abenden referiert und diskutiert  Prof. Christoph Butterwegge zum Thema: „Von der militär- zur sozialpolitischen Zeitenwende. Wer zahlt für die Aufrüstung?“

Text: Florian Vogel
Foto: Lothar Weller

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert