In Oberschwaben tobt ein heftiger Streit um die dortigen Moore. Es begann in den 1950er-Jahren mit ein paar Holzzubern: der Torfabbau für den Betrieb von Moorbädern. Eine Bürgerinitiative fordert nun den Stopp des Abbaus. Die Heilbäder wollen nicht auf ihre Torfbäder verzichten. Und was tut die Politik? Ein Blick auf die andere Seite des Bodensees.
Dem „Schwarzen Gold“, wie der Torf in den Heilbädern genannt wird, wird heilende oder zumindest heilsame Wirkung bei entzündlichen Erkrankungen und gynäkologischen Krankheiten nachgesagt. Für die Heilbäder in Bad Wurzach, Bad Waldsee und Bad Buchau wird er im Reicher Moos im Kreis Ravensburg abgebaut. Bis zum Jahr 2070, so ist es im neuen Regionalplan von 2021 für den Raum Bodensee-Oberschwaben vorgesehen.
Nun aber fordern die Bürgerinitiative „Rettet das Reicher Moos“ und der Verein Pro Natur Vogt-Waldburg einen Abbaustopp bis 2030, weil zu diesem Zeitpunkt die von der Landesregierung genehmigten Verpachtungen und Abbauverträge auslaufen. Anschließend fordern Bürgerinitiative und Verein die Renaturierung. Das Moor würde durch den Abbau geschädigt, sind sie sich sicher. Da ist der Streit programmiert.
Klinikdirektor Charles Hall argumentiert: „Wer den Moorheilbädern das Moor nimmt, gefährdet viele Arbeitsplätze in der Region.“ Auch der Zweckverband „Moorgewinnung Reicher Moos“, ein Bündnis von „Moor-Kommunen“ und Kliniken, weist die Kritik zurück. Nur acht Prozent des Moores würde abgebaut, die Schäden seien durch frühere Pächter und systematischen Abbau von Torf als Heizmaterial seit dem 19. Jahrhundert verursacht worden. Das Reicher Moos sei „tot“, eine Wiedervernässung nicht sinnvoll.
Und in der Tat – die Zerstörung der rund 45.000 Hektar Moorflächen in Oberschwaben sind ein wenig bekanntes Beispiel für den Umgang mit der Natur in den vergangenen hundert Jahren. Die Geschichte der Nutzung der Moore zeigt beispielhaft, wie grundlegend sich Wertvorstellungen für eine nachhaltige, zukunftsfähige Nutzung des ländlichen Raums werden ändern müssen.
Einstige Moorflächen wurden versiegelt
Um ihre Wälder vor dem Verbrauch von Brennholz zu schützen, förderten Waldbesitzer, Adel und Klöster den Torfabbau bereits im 18. Jahrhundert. 1776 erlaubte das Haus Waldburg-Zeil das großflächige Torfstechen im Wurzacher Ried. Erst dienten die Riede nur als Viehtriebe, mit Beginn des 19. Jahrhunderts aber wurde Torf in die Städte verkauft; die neue Eisenbahn von Ulm nach Friedrichshafen wurde mit Torf befeuert, wie auch die Glasfabrik in Bad Wurzach. Entwässerungsgräben durchzogen bald die Moore, sie wurden mit Kalk, Thomasmehl und Kainit gedüngt. Im Moor wurden nun Kartoffeln angebaut und Nutztiere gehalten.
Turm im Wurzacher Ried
Das absurdeste Projekt plant derzeit die Gemeinde Bad Wurzach: einen 40 bis 45 Meter hohen Aussichtsturm im ehemaligen Haidgauer Torfwerk. Die Bürgerinitiative Wurzacher Becken und die Ornithologische Arbeitsgemeinschaft mobilisieren gegen diese „Touristenattraktion“ inmitten der Wiedervernässung des Wurzacher Rieds. Ihre Argumente: Der Standort liegt innerhalb der Naturschutzgrenzen. In der Nähe des geplanten Turmes brütet das einzige Kranichpaar in Baden-Württemberg. Die Brut eines Baumfalken ist wahrscheinlich. Während der meist nächtlichen Zugzeiten wird nach Beobachtungen von Ornithologen wie Ulrich Grösser das Rast- und Flugverhalten von seltenen Vogelarten wie Fischadler, Rotfußfalke, Schlangenadler, Schwarzstorch, Wespenbussard und Zwergohreule gestört. Mitte der 1990er-Jahre wurde das Wegenetz im Wurzacher Ried so angelegt, dass Besucher:innen alle Lebensräume ohne einen Aussichtsturm im Kleinen erleben können. In einem offenen Brief an Ministerpräsident Kretschmann schreiben die beiden Initiativen: „Durch den Bau des Aussichtsturms wird der Sinn von Naturschutzgebieten touristischen Zielen geopfert.“ Der geplante Turm soll nach neuesten Zahlen 2,7 Millionen Euro kosten. (wom)
Der bäuerlichen Nutzung folgten mit dem Wassergesetz im Jahr 1900 die großflächigen Entwässerungsanlagen. Maschinen wurden eingesetzt zur Gewinnung von Brennmaterial, das bis nach Stuttgart verkauft wurde. Bereits 1924 schrieb der Botaniker Karl Bertsch: „Das schönste der oberschwäbischen Moore, das herrliche Reichermoos bei Waldburg, ist tot. Die Bergkieferngebüsche sind ausgehauen, Moosbeere und Sumpfrosmarin, Sonnentau und Weißmoos größtenteils abgestorben. Öde, braune Belegfelder dehnen sich dort aus, tiefe Entwässerungsgräben durchziehen es. In ausgedehnten Stichen sind die Torfschichten freigelegt.“
Als Arbeitskräfte knapp wurden, im Ersten wie auch im Zweiten Weltkrieg, wurden Kriegsgefangene eingesetzt. In den „Wolfegger Blättern“ von 2014 finden sich Zeitzeugen-Aussagen, dass Zwangsarbeiterinnen polnischer und russischer Herkunft im Torfwerk Reichermoos „hungrig und schlecht ernährt“ Torf stachen. In den ersten Nachkriegsjahren lieferte das Torfwerk Brennstoff für Ravensburg und Weingarten. Mit Torf wurden in Ravensburg auch die Maschinenfabrik, ein Krankenhaus und die Psychiatrie in Weißenau geheizt.
1970 verpachtete das Land Baden-Württemberg den Torfabbau im Reicher Moos, die Zerstörung nahm noch größere Ausmaße an: Die Pächter frästen den Torf mit riesigen Maschinen ab. Flächen wurden versiegelt, Bäche begradigt, der Grundwasserspiegel fiel, Biotope wurden zu Brachland. Die mit dem Fräsverfahren gerodeten Flächen bewaldeten sich rasch. Der Widerstand in der Bevölkerung in umliegenden Gemeinden wie Vogt und Waldburg aber wurde stärker.
Die Moore werden zu Brachland
1984 dann gab es eine Petition an den Landtag, den Torfabbau einzustellen. Die auf 50 Jahre ausgesprochene Abbaugenehmigung der Firma Patzer wurde zurückgenommen. Die Firma wurde mit drei Millionen D-Mark entschädigt, zwei Millionen aus dem Etat für den Umweltschutz.
Der ehemalige Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Alexander Bonde (Grüne), schrieb 2015 über das Moorschutzprogramm in Baden-Württemberg: „Moorschutz ist aktiver Natur- und Klimaschutz. Denn Moore bieten vielen Lebewesen, die es nur dort gibt, einen Lebensraum. Gleichzeitig sind intakte, wassergesättigte Moore bedeutsame Kohlenstoffspeicher. Entwässerte Moorböden hingegen mineralisieren und setzen dabei erhebliche Mengen von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen frei. Dem Schutz von Mooren kommt unter dem Gesichtspunkt des Klimawandels eine völlig neue Dimension zu.“
Im Juli 2019 brachte die Fraktion der Grünen mit dem Vorsitzenden Ulrich Walz einen Antrag in den Regionalverband Bodensee-Oberschwaben ein, den Abbau auch im Reicher Moos zu beenden und es zu renaturieren. Es war das letzte Moor, in dem großflächig Torf abgebaut werden durfte, denn 1995 wurde die kommerzielle Nutzung im Federsee-Ried, im Wurzacher und im Waldseer Ried beendet. Gegen den Antrag gab und gibt es im Zweckverband aus Kommunen und Kliniken Widerstand.
Das Reicher Moos war, wie andere Moore in der Region, acht Meter tief. Jetzt ist an den Abbauflächen noch eine rund einen Meter tiefe, ökologisch wertlose Humusschicht, sagt Walz. Er fasst den Bedarf der Kliniken zusammen: 175 Kilo Torf braucht eine Person für ein „Heilbad“, ein Kubikmeter Torf reicht für zweieinhalb Bäder. In wenigen Jahren dürften die Ressourcen erschöpft sein.
Der Klinikverband definiert den Torf mit seinen Gutachten selbst als „Heilmittel“, aber medizinisch-wissenschaftlich lassen sich dafür keine Beweise finden. 15 Minuten lang sollen die Heilkräfte in den Körper eindringen. Die Frage, ob dieselben Effekte ohne Naturzerstörung nicht mit Heu- und Schlammbädern erreicht werden könnten, wird in den Kliniken offensichtlich gar nicht erst gestellt. Zum Torfabbau gibt es auch für Wolfgang Heine, Direktor des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben, keine Alternative, um die Kurbäder zu erhalten. „Wenn man den Bädern die Möglichkeit nimmt, besorgen sie ihn sich in Osteuropa“, sagt er. Und das sei ja auch nicht klimafreundlich.
Moorbäder als Kreislaufwirtschaft
Weder die Bürgerinitiative Reicher Moos noch der Verein Pro Natur sind generell gegen Moorbäder. Doch eines ihrer Ziele heißt: „In Zeiten des Klimawandels ist nur eine Kreislaufwirtschaft durch Recycling des Badetorfes verantwortbar. Das ist die Aufgabe der Heilbäder, da ein Geschäftsmodell, das auf Naturzerstörung basiert, keine Zukunft haben kann.“ Es geht auch anders, ist sich Ulrich Walz sicher. Bei einem Besuch der Moorbadebetriebe im Bergkiefernmoor im bayerischen Bad Kohlgrub erfuhr er, dass dort Recycling von Torfschlamm zum Geschäftsmodell wurde. Die vier Badebetriebe in Kohlgrub benötigen pro Jahr dadurch gerade noch maximal 200 Kubikmeter Moor, der Zweckverband der Moore im Kreis Ravensburg dagegen etwa 4.000.
Die Recyclingquote in Bad Kohlgrub liegt bei 50 Prozent. Nach der Nutzung in den Heilbädern wird der Torfschlamm in frühere Abbaufelder gebracht und reichert sich über zehn Jahre mit einer Vielfalt mikrobiotischer Substanzen und Lebewesen an. Der in Kohlgrub tätige Biologe Helmut Hermann meint, 50 Prozent der zerstörten Moore könnten renaturiert werden. Er fordert ein Milliardenprogramm zur großflächigen Wiedervernässung. Die landwirtschaftliche Beweidung der entwässerten Moore, so die Erkenntnis von Ulrich Walz aus dem Modell Kohlgrub, müsse gestoppt, die Wiesen müssten „verwildert“ und langsam wieder verwässert, die Landwirte finanziell entschädigt werden.
Eine positive Erkenntnis aus bisherigen Renaturierungsprogrammen ist, dass auch schwer geschädigte Torfmoore wieder wachsen können. Hydrogeologische Gutachten zeigen, wo und in welchem Ausmaß eine Verwässerung möglich ist. Dabei werde auch untersucht, ob Palidukultur möglich ist: eine besonders schonende Form von Landwirtschaft auf nassen Moorböden.
Moore sind CO2-Speicher. Wenn sie abgebaut werden, wird Kohlendioxid frei. 7,5 Prozent aller Treibhausgasemissionen Deutschlands kommen aus den Mooren, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer doppelseitigen Dokumentation „Klimabilanz unterirdisch“ vom 27. August. Wiedervernässte Moore haben demnach einen Ausstoß von null bis acht Tonnen Treibhausgasen pro Hektar und Jahr, entwässerte Moore dagegen von 30 bis 40 Tonnen.
Das Wissen um deren aktuelle Relevanz, auch in Oberschwaben, ist vorhanden. Die Schreiben, die der Vorsitzende des Vereins Pro Natur und der Bürgerinitiative Reicher Moos, Manfred Scheurenbrand, aus der Landespolitik bekam, sprechen eher für eine Jonglage.
Die Widersprüchlichkeit der Politik
Da versichert die grüne Umweltministerin Thekla Walker, dass ihr „der Schutz unserer Moore ein großes Anliegen ist“, aber momentan „die Voraussetzungen für eine Ausweitung als Naturschutzgebiet“ beim Reicher Moos nicht gegeben sind. “In welchem Umfang die betroffenen Heilbäder bereits Badetorf recyceln“, ist dem Minister für den Ländlichen Raum, Peter Hauk (CDU), nicht bekannt, und das Reicher Moos „ist bisher nicht Gegenstand von Renaturierungsplanungen.“
Manfred Scheurenbrand wundert sich: Da werde ein neues Biosphärengebiet für die Region Allgäu-Oberschwaben geplant, in dem die Moore besonders geschützt werden sollen. Und den Torfabbau im Reicher Moos lasse man ohne Auflagen laufen, ohne jeden Plan über das Jahr 2030 hinaus.
Selbst der Zweckverband gebe zu, dass der Moorkörper zunehmend schwinde. Die Abbaugenehmigungen jedoch sind nicht zugänglich. Gibt es darin Klauseln, dies zu verhindern? Gibt es einen Planungsauftrag eines kompetenten hydrogeologischen Büros über eine weitere Abbaugenehmigung? Fragen, aber keine Antworten.
Eine Torfschlamm-Recyclingquote von wenigstens 50 Prozent könnte nach Ansicht von Ulrich Walz ein Imagegewinn für die Kurstädte und die Heilbäder sein, als positiver Beitrag angesichts des Klimawandels.
Bild: Bürgerinitiative Reicher Moos.
Text: Wolfram Frommlet.
Sein Beitrag erschien zuerst auf: www.kontextwochenzeitung.de
Siehe dazu Beitrag auf unserer Archivseite: BUND: Trockenheit und Hitze bedrohen Moore
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