Blick in die dauerausstellung des bodensee naturmuseums lebensräume + kriechtunnel © martina kroth

Spielen im Museum – Ein Werkstattbericht

Von Albert Kümmel-Schnur (Text) & Martina Kroth (Fotos)
Blick in die dauerausstellung des bodensee naturmuseums lebensräume + kriechtunnel © martina kroth

20 Studierende des Studiengangs Literatur-Kunst-Medien der Universität Konstanz entwickeln unter Leitung von Albert Kümmel-Schnur in enger Zusammenarbeit mit Martina Kroth, Leiterin des Bodensee-Naturmuseums, momentan ein Spiel für 4-10-jährige Museumsbesucher:innen. Es ist bereits das zweite Projektsemester. Bis Ende Februar soll ein spielbarer Prototyp entstanden sein.

„Das ist aber ganz schön lebhaft hier.“ Von einem Museum hatten die Studierenden anderes erwartet. Kein Wunder. Die Museen, die sie während ihres Studiums kennenlernen, sind vornehmlich Kunstmuseen. Da schreiten meist ältere Menschen gemessenen Schrittes von Bild zu Bild, bleiben stehen, vertiefen sich in das eine oder auch das andere Kunstwerk, um dann weiterzugehen.

Im Bodensee-Naturmuseum ist das anders. „Wir richten uns ganz stark an Kinder und Familien“, sagt die Museumsleiterin Martina Kroth. „Da müssen wir andere Maßstäbe anlegen. Außerdem darf man nicht vergessen, dass wir im selben Gebäude wie das Sea Life untergebracht sind. Wer eine Karte ins Sea Life kauft, erwirbt automatisch auch den Eintritt in das Naturmuseum. Etwa zwei Drittel der Besucherinnen und Besucher des Sea Lifes finden auch den Weg zu uns ins obere Stockwerk. Damit sind wir eines der bestbesuchten Museen des Landes Baden-Württemberg. Das ist eine Chance, die wir für die Vermittlung unserer Inhalte nutzen möchten. Wir wollen für Natur und Naturwissenschaft begeistern und junge Besucher auch dazu motivieren, noch im erwachsenen Alter Museen zu besuchen und zu schätzen. Dazu müssen wir ihre Bedürfnisse berücksichtigen, und dazu gehört bei Kindern nun mal laut sein, ihre Neugier und ihren Enthusiasmus sofort teilen zu dürfen und sich auch einmal austoben zu können.“

Ein „geheimes“ Exponat

Das Museum macht den Kindern viele Angebote: Wildschwein Willi darf gestreichelt werden, was man ihm an der Schnauze inzwischen auch ansehen kann. Fuchsschwänze und Rehgehörne stellen Fühlrätsel dar. Auf kleinen Tafeln vor den ausgestellten Naturszenen gibt es eingelassene Tierfährten zum Ertasten sowie Konturenreliefs von Tieren und Pflanzen. Da kann man ein mitgebrachtes Blatt Papier drauflegen und das Lebewesen mit weichem Bleistift abpausen. Oder man kriecht durch einen Tunnel, der einem nicht nur das Gefühl gibt, tatsächlich in den See einzutauchen, sondern auch ein von Erwachsenen meist nicht wahrgenommenes Video über die Lebewesen im See zeigt – ein „geheimes“ Exponat speziell für Kinder.

In ruhigeren Momenten kann man Tierstimmen lauschen. Martina Kroth betont, dass es sich hier nicht einfach um eine beliebige Geräuschkulisse handelt, sondern sehr spezifisch Tiere auditiv dargestellt werden. „Viele Tiere, gerade Vögel, sehen wir zwar nicht, aber wir können sie hören. Und vielen Tieren, die wir sehen, können wir keinen Laut zuordnen. Deshalb sind auch die Töne, die man hier hört, Ausstellungsstücke.“

Ein Museum, in dem man rennen kann: der Raum ist nicht kleinteilig untergliedert. Um einen zentral gelegenen Sonderausstellungsraum führt ein Rundgang durch die Lebensräume des Bodenseeraumes: den Wald, die Wiesen und Auen sowie den See. Und wer wissen möchte, wie die Region mal ausgesehen hat in der letzten Kaltzeit, dem hilft ein Panoramabild eiszeitlicher Jäger. Die Tierwelt, auf die diese Jäger getroffen sind, ist gegenüber ausgestellt: Moschusochse und Polarfuchs stehen hier in weißblauer Gletscherlandschaft. Ein großes Panoramafenster öffnet den Raum auf den Bodensee – ein Ausstellungsobjekt für sich. Auch das schätzen Besucher:innen, können sie hier doch auch bei schlechtem Wetter die phänomenale Aussicht über den See und die umgebende Landschaft in Ruhe genießen.

Die „Konstanzer Gasse“

Blick in die konstanzer gasse im bodensee naturmuseum © martina kroth

Versteckt in einer Ecke, neben dem Fahrstuhl, findet sich noch ein schmales, tiefes Diorama. Es heißt „Konstanzer Gasse“ und zeigt eine nächtliche Situation, wie man sie in einem Hinterhof oder einer Feuergasse in Konstanz erleben kann. Waschbären wühlen im Müll, eine Ratte schnuppert an einer Konservenbüchse. Die Szene wird von einem vollen Mond beschienen, vor dem eine Fledermaus flattert. So sieht Natur in der Stadt aus.

In den meisten naturhistorischen Museen, die ich kenne, spielt die Stadt als Lebensraum kaum eine Rolle. Dabei ist die Stadt ein zunehmend wichtiger werdendes Biotop für das Zusammenleben von Menschen und anders-als-menschlichen Wesen, also Pflanzen und Tieren. Beutegreifer wie der Fuchs oder der Rotmilan fühlen sich in urbanen Umgebungen ebenso wohl wie Fledermäuse oder Waschbären. In der Stadt werden sie nicht bejagt, die Zahl der Nahrungsquellen ist groß – auch Insekten etwa werden nicht flächendeckend durch Insektizide vernichtet.

Gerade für Tiere, die wenig wählerisch sind und auch Aas fressen, gehören sowohl die von Autos überfahrenen Beutetiere als auch schlicht und ergreifend Müll zu möglichen Nahrungsquellen. Freilich gibt es auch problematische Aspekte: der Kontakt zu Menschen ist üblicher, Vorgärten sind oft steril und ökologisch wenig sinnvoll bepflanzt, scheinbare Unkräuter wie etwa die Brennnessel werden ausgemerzt, was vielen Schmetterlingen, die auf ihnen ihre Eier ablegen wie das Tagpfauenauge, das Leben deutlich erschwert. Lärm und Licht können zum Problem werden. Und natürlich ist die Bodenversiegelung – siehe Bahnhofsvorplatz Konstanz für ein dramatisches Beispiel – ein schweres Problem, und zwar keineswegs nur für Tiere und Pflanzen.

Stadtökologische Themen für Kinder

Die aufeinander folgenden Seminare „Wissenschaft erzählen“ und „Wissenschaft spielen“ setzen genau hier an. Sie wollen stadtökologische Themen für Kinder spielerisch erfahrbar machen. Grundlage ist das Projekt „Der Wald kommt in die Stadt“, das ich gemeinsam mit der Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Naturpädagogin Anke Klaaßen entwickelt habe – seemoz berichtete. Zwei Wurzelwichte, die Geschwister Mats und Mara, geraten darin in die Stadt und suchen nun einen Weg hinaus. Dabei helfen ihnen die Tiere, Pflanzen und manchmal auch die Menschen, denen sie auf ihrer Reise begegnen. Den Weg, den die beiden zurücklegen, kann man in Konstanz nachlaufen. Die erste Station liegt direkt vor dem Sea Life. Gemeinsam mit dem Waldkindergarten und finanziert von der Stadt Konstanz haben wir dort eine Winterlinde gepflanzt. Da lag es nahe, die Verbindung zum in unmittelbarer Nähe gelegenen Naturmuseum zu suchen.

„Wir machen ja viele naturpädagogische Angebote. Sieben- bis neuntausend Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter kommen Jahr für Jahr zu unseren Veranstaltungen oder nehmen andere unserer museumspädagogischen Angebote wahr. Viele aber besuchen uns auch in der Familie. Hier ein zusätzliches selbstgeführtes Entdeckungsangebot zu machen, schien uns gleich sinnvoll.“ Schnell waren Martina Kroth und ich uns einig. Im Sommersemester 2025 ging es los. Die Frage, die das Seminar, das von Anke Klaaßen und mir gemeinsam unterrichtet wurde, den Studierenden stellte, war: Wie erzählt man Wissenschaft?

Seminar im museum gedreht © martina kroth

Wie erzählt man Wissenschaft?

Wissenschaft wird ja allgemein für eher unzugänglich und erst recht nicht für erzählerisch oder im Sinne etwa eines Sonntagabendkrimis für spannend gehalten. Dazu ist sie viel zu voraussetzungsreich. Vermittlungsarbeit ist unumgänglich und in Zeiten zunehmender Beliebigkeit im Umgang mit jenen datenbasierten Wahrheiten, die man Fakten nennt, dringend erforderlich. Wissenschaft bietet zwar keine Weltanschauungen, sollte aber doch die Basis unserer Weltsicht und eines darauf basierenden Handelns darstellen. Denn was wäre die Alternative: jede und jeder sucht sich heraus, was ihr oder ihm passt oder erfindet gleich das Weltgebäude neu? Der Glaube an Reptilienmenschen hält aber keiner intersubjektiven Überprüfung, wie sie das Methodenrepertoire der Wissenschaft anbietet, stand.

Intersubjektivität jedoch stellt den größten Wert von Wissenschaft dar: ein gemeinsames Fundament – das dann immer noch unterschiedlich gedeutet und kontextualisiert werden kann und muss, aber eben nicht hintergangen werden kann (und sollte). Die Gemeinschaftlichkeit ist dabei, was den wenigsten klar ist, keine des Wissens, sondern des Zweifelns. In der Wissenschaft kann und soll alles dauernd bezweifelt werden – aber wiederum aus intersubjektiv teilbaren Gründen. Erst dann wird Zweifel sinnvoll und konfliktfähig.

Das ist anspruchsvoll. Sehr anspruchsvoll. Schnell merken die Teilnehmer:innen des Seminars, dass Wissenschaftskommunikation immer zwischen der Scylla einer unangemessenen Vereinfachung und der Charybdis eines nicht mehr vermittelbaren Maßes an Komplexität hindurchnavigiert. Gute Methoden, Wissenschaft Menschen nahe zu bringen, sind Erzählungen und Spiele. Die Geschichte der zwei Wurzelwichte macht Themen wie kulturfolgende Tiere, Luftverschmutzung und Müll, Hinterhofbiotope, aber auch Klimawandel und Klimagehölze Kindergartenkindern zugänglich. Spielen ist sogar noch besser, denn für Kinder gibt es den Erwachsenenunterschied zwischen Spielen und Lernen gar nicht (weshalb sie eigentlich auch nur guten Spiel-Raum benötigen und keine ‚Frühförderung‘).

Biotope spielend erfahren

Im Sommersemester entwickelten sechs studentische Kleingruppen Spielideen. So könnte ein Spiel sein. Dabei orientierten sie sich am Konzept der Held:inn:enreise, bei dem eine Person durch eine Krise aus ihrer gewohnten Umgebung gelockt oder gezwungen wird und eine Reise antritt, an deren Ende die Lösung der Krise steht. Heldin oder Held begegnen auf der Reise üblicherweise einer Lehrerin oder einem Lehrer, die/der ihr oder ihm den rechten Pfad weist und oft auch Mittel mitgibt, die zur Lösung des Problems beitragen. Helfende Wesen unterstützen die suchende Person auf ihrer Reise. Das sind in märchenhaften Erzählungen oft Tiere, die manchmal über magische Fähigkeiten verfügen.

Studentische entwürfe von spielelementen © martina kroth

So informiert und unterstützt durch den Inhaber des Seetrolls, Michael Palm, und den Konstanzer Kunsthistoriker und Spieleautor Steffen Bogen stehen tatsächlich ganz konkrete Spielentwürfe am Ende des Sommersemesters. Es gibt großartige Ideen wie die einer raumgreifenden interaktiven Murmelbahn, deren Chancen auf Verwirklichung jedoch allein aufgrund der hohen Kosten sehr gering sind. Und es gibt ganz konkret umsetzbare Vorschläge wie ein Angelspiel, die jedoch ihre Tücken haben: bitte keine herumfliegenden Teile im Museum. Kinderspiele, die Magnete einsetzen, haben in Deutschland hohe Auflagen.

Überhaupt: die Grenzen des Möglichen machen den Studierenden zu schaffen. Es ist meist viel los. Weder Menschen noch Ausstellungsstücke dürfen in Gefahr geraten. Es darf nichts in den offenen Raum gebaut werden. Nach Möglichkeit sollte das Spiel selbsterklärend sein, da es keine Aufsicht gibt. Es können auch keine Spielkoffer ausgeliehen werden, da die Kasse bereits mit der Bewältigung der Besucherströme an den Rand des Möglichen kommt. Das ist alles nicht einfach. Aber: so ist das nun einmal. Auch in späteren Berufen werden Studierende an Grenzen kommen, die Kundin oder Kunde setzen – etwa in Werbe-, Medien- oder Ausstellungsagenturen. So ist das Training im Seminar ganz nebenbei auch eine Vorbereitung auf das, was die Studierenden im Beruf erwartet.

Murmelbahn und Angelspiel

Alle im Sommersemester entstandenen Ideen – neben Murmelbahn und Angelspiel auch Textadventure, sensomotorisch angelegte Wurzelwichttrainings, ein Lauf- und ein Detektivspiel – sind im Sonderausstellungsraum des Naturmuseums ausgestellt und können dort noch bis Februar besichtigt werden. Auch die Arbeit im Seminar wird mitlaufend dort dokumentiert.

Die zweite Gruppe beginnt im Oktober mit den Vorschlägen der Seminarteilnehmer:innen des Sommersemesters zu arbeiten. Schnell wird klar: ja, man könnte mit einer zentralen Steuerung und einzelnen Spielstationen arbeiten. Wenn die einzelnen Stationen individuell spielbar sind, könnte man sogar unterschiedliche Altersgruppen gezielt ansprechen. Schnell wird auch klar: man muss viele Erfahrungen selbst machen, Dinge selbst ausprobieren. Im Seminar wird oft mit Papier, Bleistift, Klebstoff und Schere gedacht. Das unterscheidet dieses Seminar von anderen. Ein weiterer Unterschied ist, dass es tatsächlich ergebnisoffen ist. Wohin die Reise letztlich geführt haben wird, können alle erst zu Semesterende beurteilen. In der vorlesungsfreien Zeit soll dann die bauliche Umsetzung durch die Werkstätten der Universität stattfinden. Und wir sind alle gespannt darauf, gemeinsam zum ersten Mal mit Mats und Mara das Museum spielerisch zu erkunden. Das Bodensee-Naturmuseum ist ganzjährig geöffnet, im Winter täglich von 10-17 Uhr. Alle Besuchsinformationen finden sich auf der Museumswebsite.

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