Protestaktion versorgung klinik radolfzell © inge baier

Sparmaßnahme auf dem Rücken der Ärmsten

Von Jonas Groh und Jonne Meixner
Protestaktion versorgung klinik radolfzell © inge baier
Protestplakate am ehemaligen Krankenhaus Radolfzell

Seit der Schließung des örtlichen Krankenhauses treibt viele Menschen in Radolfzell die Sorge um: Was kann ich tun, wenn es mir plötzlich schlecht geht? An wen wende ich mich, wenn ich Hilfe brauche? Wie komme ich dort hin? Und: Warum interessiert das kaum jemanden?

Gut zwei Jahre ist es nun her, dass das Radolfzeller Krankenhaus geschlossen wurde. Es war samt integrierter Notfallambulanz nachts und an den Wochenenden – so Inge Baier, Radolfzeller Bürgerin und langjährige Krankenschwester – die einzige Anlaufstelle und der „wichtigste Notfallparameter“. Sie kenne „viele ältere Leute, die wirklich große Angst haben, dass sie am Wochenende krank werden“, sagt die engagierte Frau.

Die Gründe für die Schließung sind altbekannt und strukturell: Personalmangel und eine marode Infrastruktur. Der Kostenpunkt einer möglichen Kernsanierung lag bei 92,5 Millionen Euro. Genug, um von einem Erhalt der lokalen Radolfzeller Krankenversorgung abzusehen und stattdessen das Gesamtdefizit des Gesundheitsverbundes Landkreis Konstanz (GLKN) um 4,5 Millionen Euro im Jahr zu verringern. Wirtschaftlich also eine logische Entscheidung.

Hinzukommt, dass die Schließung nach Zeno Danner, Landrat des Landkreises Konstanz und Aufsichtsratsvorsitzender des GLKN, die Versorgung Radolfzeller der Bevölkerung nicht beeinträchtige: „Durch die Schließung des Radolfzeller Krankenhauses entsteht indes keine Versorgungslücke im Kreis.“ Also alles in Butter?

Lange Wege, schwierige Entscheidungen

Die Notfallambulanz des Radolfzeller Krankenhauses diente dem Raum Radolfzell sowie den Einwohner:innen der Höri, zusammengenommen also rund 44.000 Menschen verteilt auf einer Fläche von 113 Quadratkilometern, als Anlaufstelle für akute Erkrankungen und Verletzungen. Tag und Nacht, unter der Woche und am Wochenende: Die Wege zur ärztlichen Behandlung waren kurz.

Nun sind sie länger, weil sie bis Konstanz oder bis Singen führen. Auf ärztliche Behandlung müsse zum Teil stundenlang gewartet werden, berichtet Baier. Doch wie kommt man da hin? Ein Rettungswagen aus Konstanz oder Singen braucht mindestens 20 Minuten. Aber immerhin: In lebensgefährlichen Situationen sei der Transport gesichert, betont John Löser, DRK-Rettungssanitäter und Spitzenkandidat der Singener Linken für die anstehende Landtagswahl. 

Komplizierter jedoch gestaltet sich der Weg zur Behandlung im Falle einer Verletzung oder einer akuten Erkrankung, die ein Ausrücken des kostspieligen Rettungswagens nicht erfordert. Damit stehen die Radolfzeller:innen in nicht lebensbedrohlichen Situationen vor der Entscheidung: Rufen sie trotzdem einen Rettungswagen, was weder im Sinne einer funktionierenden Krankenversorgung noch im Sinne der Sparpläne sein kann? Oder organisieren sie sich den Weg zur Versorgung selbst?

Mehr Kompetenzen vor Ort

Ist ärztliche Versorgung in Radolfzell von nun an also Privatsache? Nicht ganz. Es bleibt die Möglichkeit eines finanzierten Krankentransports. Ein solcher Transport kann allerdings nur von einer Ärzt:in angeordnet werden, was die verstreichende Zeit bis zur Behandlung mindestens verlängert. 

Außerdem stellt sich das Problem, dass mit der Schließung des Radolfzeller Krankenhauses der Zugang zu Ärzt:innen insbesondere in der Nacht und am Wochenende massiv erschwert wurde. Bei einem Anruf über die Notrufnummer muss nach einer Selbstauskunft in der Ferne entschieden werden, was angemessen ist. Überschätzen Patient:innen ihre Not, fährt der Wagen umsonst, unterschätzen sie die Dringlichkeit, kann wertvolle Zeit verloren gehen.

Eine Möglichkeit, den Krankentransport einfacher zu gestalten, sieht Rettungssanitäter Löser darin, die örtlichen Rettungsdienste mit der nötigen Autorität auszustatten, die Krankentransporte anzuordnen. Denkbar – und deutlich billiger als das Ausrücken eines Wagens des DRK – wäre außerdem eine Kooperation mit örtlichen Taxiunternehmen, die den einfachen Transport übernehmen könnten. Auch Inge Baier wünscht sich, um die Möglichkeit des Transports in jedem Fall zu gewährleisten, dass die örtliche Leitstelle die Kompetenz erhält, diese anzuordnen.

Die Versorgungslücke

Bis zu einer Lösung des Problems bleiben Radolfzeller:innen mit niedrigem Einkommen und ohne soziales Netz auf dem Weg zu ärztlicher Versorgung allein gelassen. Ohne Zugriff auf ein Auto sind sie auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen, der aber nachts nicht zur Verfügung steht. Je nach Wohnungsort wird so der Besuch beim Arzt schnell zu einer tagesfüllenden Aktivität. Der schnelle Weg im privaten Auto oder Taxi bleibt ein Privileg der Reichen. 

Auch wenn die Kapazitäten der Konstanzer und Singener Kliniken ausreichen, die Radolfzeller Bürger:innen mitzuversorgen, so besteht – trotz Danners Beschwichtigungen – weiterhin eine Versorgungslücke. Und zwar eine im wahrsten Sinne des Wortes: zwischen Wohnungstür und Krankenhaus.

Fotos der Protestplakate: © Inge Baier; Luftbild: c/o diabetesforum-radolfzell.de

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