
Die von Politik und Bahn geplante Kappung der Bahnstrecke Zürich-Singen-Stuttgart stösst weiter auf Widerspruch: sie sei verkehrspolitisch unsinnig und unterlaufe alle Klimaziele, argumentieren die Gegner:innen. Geplant sind Informationsveranstaltungen und Diskussionen in Konstanz, Tuttlingen und Rottweil.
„Aus Anlass der bevorstehenden Landtagswahl in Baden-Württemberg haben die Initiativen zum Erhalt der Gäubahn bis Stuttgart einen Aktionstag am Freitag, 14. November 2025, vorbereitet, der die Landtagskandidierenden mit den Aktiven und interessierten Bürger*innen zusammenbringen soll.“ So beginnt eine Pressemitteilung des Bündnisses ProGäubahn, das sich seit langem dem verkehrspolitisch widersinnigen Projekt eines Unterbruchs des Schienenverkehrs in der Region widersetzt.
Worum geht es? Im Zuge der weiter vorangetriebenen Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs soll die Bahnstrecke von Süden her durch einen neu zu bauenden, elf Kilometer langen Tunnel geführt werden, den Pfaffensteigtunnel, der nach Böblingen zum Stuttgarter Flughafen und dann ins Stuttgarter Zentrum führt. Gleichzeitig sehen die Pläne von Bahn und Politik vor, die bisherige Verbindung zum Kopfbahnhof, die sogenannte Panoramastrecke, stillzulegen – um den Boden für Immobilienprojekte zu nutzen: Eine Maßnahme, die an die Ursprünge des Projekts Stuttgart 21 anknüpft: Schließlich entstand die Idee, den Stuttgarter Hauptbahnhof in den Untergrund zu verlegen, weil hochrangige, profitorientierte CDU-Politiker:innen die frei werdenden Flächen unbedingt auf den Markt zu werfen wollten.

Doch wie erreichen dann, sollte es die Panoramastrecke nicht mehr geben, die Reisenden den Stuttgarter Bahnhof – und dort ihre Anschlusszüge? Nun, so die Antwort der Verantwortlichen: Die könnten doch umsteigen, schließlich hat der Stuttgarter Vorort Vaihingen auch einen S-Bahn-Anschluss. Außerdem sei das nur für ein paar Jahre notwendig – bis zur Fertigstellung des Pfaffensteigtunnels.
Pfaffensteigtunnel: teuer, wirkungslos und schädlich
Aber geht dieses Kalkül auf? Vieles spricht dagegen:
Beispielsweise der Pfaffensteigtunnel: Bisher haben die Planer:innen die Kosten des neuen Tunnels auf rund 1,7 Milliarden Euro veranschlagt. Doch das erscheint, so ein S21-Kritiker in einem Offenen Brief an die neue Bahnchefin Evelyn Palla, wenig realistisch: Schließlich habe „die Deutsche Bahn für den Bau des etwas kürzeren Offenburger Tunnels im Rheintal allein 3,8 Milliarden Euro berechnet“. Im Fall des Pfaffenbergtunnels könnten also möglicherweise vier Milliarden anfallen oder mehr – und das für eine Tunnelstrecke, auf der „nach aktuellen Planungen nur zwei Züge pro Stunde und Richtung verkehren“ sollen. Das sei unwirtschaftlich.

Dazu kommt: der Bau des Tunnels schickt laut ersten Berechnungen rund 350.000 Tonnen CO2-Äquivalente in die Atmosphäre. Wann der beginnt, steht ohnehin in den Sternen: Angesichts der Erfahrungen mit S21 kann der Bau also durchaus länger dauern als die ursprünglich veranschlagten sieben Jahre.
Mehr Zeit als von Schreibtischstrategen erwartet dürfte auch das Umsteigen in Vaihingen in Anspruch nehmen. Vor kurzem waren ein paar Dutzend Pro-Gäubahn-Aktivist:innen Richtung Stuttgart gereist, um das auszuprobieren: „Da war alles total überlastet. Und dann kam noch eine Kindergartengruppe dazu, dann war das Chaos perfekt“, berichtete Sonja Rajsp-Lauer, Sprecherin der Rottweiler Kreisgrünen, auf einer Veranstaltung. Andere bestätigten diese Einschätzung: Eine halbe Stunde müsste mindestens einberechnet werden. Aber wer nimmt das auf sich? Das ProGäubahn-Bündnis befürchtet daher, dass mit dem Abbruch der Zugverbindung in Vaihingen mehr Reise aus dem oder in den Süden aufs Auto umsteigen.
Kein Bürger:innenentscheid in Stuttgart
Aber funktioniert dann wenigstens der Ursprungsgedanke, aus Bahngelände Bauland zu machen? Auch hier gibt es enorme Hürden. Zwar wird es – anders als von vielen erhofft – in Stuttgart wohl doch keinen Bürgerentscheid gegen die Pläne der Landeshauptstadt geben, das sogenannte A2-Areal zu bebauen: Die Initiative „Bahnhof mit Zukunft“ verfehlte (so die Stadtverwaltung) das nötige Quorum von 20.000 Stimmen um ein paar Unterschriften.
Doch damit ist noch längst nicht alles klar. Die Stadt darf nun im bisherigen Gleisbereich eine Immobilienbebauung planen. Aber rechtlich umsetzen kann sie diese Planung nicht, wie mehrere Gutachten zeigen. Denn dazu müsste die oberirdische Bahninfrastruktur vollständig demontiert und die Gäubahn abgehängt werden. Und das darf vorerst nicht sein.
Nicht nur das: Die Stadt müsste allein für die Erschließung des geplanten „Rosenstein-Quartiers“ 1,2 Milliarden Euro zahlen. Dieses Geld hat die von einem riesigen Finanzdefizit geplagte Landeshauptstadt auf absehbare Zeit nicht. Die Verwaltung und eine Mehrheit im Gemeinderat mögen zwar weiterhin von noch mehr Luxuswohnungen, noch mehr Einkaufszentren und noch größeren Büroflächen träumen – mit der Realität hat das aber wenig zu tun.
Die SBB-Antwort
Weitaus realer ist hingegen, dass angesichts der Mängel entlang der Strecke und der vielen Zugverspätungen die Schweizerischen Bundesbahnen SBB die Gäubahn ihrerseits abhängen – im Süden. Seit langem schon warnt der frühere SBB-Chef Benedikt Weibel auf Veranstaltungen und in Interviews vor den Folgen der DB-Pläne. Diese könnten nun schneller eintreten als gedacht: Seit einiger Zeit schon fordert der Kanton Schaffhausen Maßnahmen der SBB, sollten die Züge aus Stuttgart weiterhin verspätet eintreffen.
Das und der ungewisse Ausgang des Kampfs um die Fortexistenz der Gäubahn hat schweizerseits zu einer ersten Entscheidung geführt: Künftig soll jeder zweite Zug ab Stuttgart Richtung Süden nur noch bis Singen fahren – und bei Verspätungen wollen die SBB ab Schaffhausen eigene Ersatzzüge einsetzen. Mit der Aufteilung der Strecke folgt die Staatsbahn dem seit April in Basel praktizierten Beispiel: Auch dort kappten die SBB wegen chronischer Verspätungen DB-Verbindungen in die Schweiz.

Was tun? Das Pro-Gäubahn-Landesbündnis fordert angesichts dieser Fakten einen Stopp aller Planungen des Pfaffensteigtunnels, eine Stärkung (und Wiederbelebung) der internationalen Bahnverbindung Stuttgart-Zürich-Mailand und die Umsetzung einer Reihe konkreter Vorschläge:
● Kurzfristig eine „Anpassung des Fahrplans als Notmaßnahme, damit die derzeit eingesetzten Doppelstock-ICs wieder pünktlich ankommen“.
● Mittelfristig eine „Beschaffung moderner, leistungsfähiger und komfortabler Züge, die den bisherigen Fahrplan zuverlässig einhalten oder sogar wieder an die deutlich attraktiveren Reisezeiten der späten 1990er Jahre anschließen zu können“.
● Langfristig den „zweigleisigen Ausbau der Gäubahn und Erhalt eines Kombibahnhofs in Stuttgart – also die Beibehaltung des oberirdischen Kopfbahnhofs zusätzlich zum Tiefbahnhof. Nur so kann ein stabiler Betrieb gewährleistet werden, zumal die Gäubahn derzeit keine Zufahrt zum Tiefbahnhof besitzt.“
Aber wie realistisch sind diese Forderungen? Wer setzt sie durch? Und was ist dazu nötig?

Antworten bieten die Veranstaltungen des Pro-Gäubahn-Bündnisses an diesem Freitag in Konstanz, Tuttlingen und Rottweil. Dazu hat es jeweils „alle Kandidaten der demokratischen Parteien eingeladen, um ihnen die Gelegenheit zu geben, mit interessierten Bürger*innen zusammen zu kommen“; mit dabei sein werden auch der Bundesvorsitzende der Deutschen Umwelthilfe Jürgen Resch, Vertreter:innen der örtlichen ProGäubahn-Initiativen und Hans Jörg Jäkel vom Pro-Gäubahn-Komitee Stuttgart.
Freitag, 14. November:
13:30 Uhr Konstanz in den „Freiräumen“ (Hohenhausgasse/vor der Hofhalde)
16:00 Uhr am Bahnhof Tuttlingen
17:15 Uhr Rottweil in der Cafébar am Hauptbahnhof

Schreiben Sie einen Kommentar