Bank demokratie

Lebendig engagiert für die „Offline“-Demokratie

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Mehrere öffentliche Parkbänke in Radolfzell tragen das humanistische Motto des Demokratie-Forums

Ein Interview mit der Theater-, Film- und Literaturkritikerin Dr. Marianne Bäumler. Sie schreibt für diverse Zeitungen – z. B. den „Blog der Republik“ –, war Autorin für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und lehrte an der Universität Marburg. Seit gut drei Jahren moderiert sie das „DEMOKRATIE-Forum“, das sich mit aktuellen Themen auseinandersetzt und regelmäßig im seemoz-Veranstaltungskalender angekündigt wird.

seemoz: Im Mai 2022 hast Du das monatliche DEMOKRATIE-Forum in Radolfzell am Bodensee initiiert. So etwas gab es davor, bis auf den Zeller Salon, noch nicht. Wie wird das doch ziemlich anspruchsvolle Format in der beschaulichen Kleinstadt angenommen?

Sehr unterschiedlich. Mal mehr, mal weniger – also der Besuch von siebenundzwanzig Personen war schon sehr lebhaft, aber wenn es ganz kalt oder novembrig ist oder eben sehr heiß wie im Juni und teilweise August, nun ja, dann kommen halt auch mal nur acht Leute, obwohl wir vor jedem Termin Info-Flyer verteilen, und der Termin im „Südkurier“, im „HALLO“ und „seemoz“ immer angekündigt wird.

Für sie, die Wenigeren, ist es jedoch eigentlich nicht unangenehm, einfach, weil sie sich dann öfters zu Wort melden können. Es ist auch angenehm, wenn sich quasi in dem schön großen Gemeindesaal mit dem edlen Holzfußboden so ein persönliches Klima entwickelt in diesem Kreis, eine Ernsthaftigkeit, in der zu spüren ist, dass die Leute sich in der Tat zuhören wollen, aufmerksam sind, ja, und sich freuen an ihrer Anwesenheit.

Na klar, so ein paar Lehrerinnen und Lehrer, und auch Schülerinnen und Schüler – das wäre klasse, die kommen aber leider nur sehr vereinzelt, da sie wahrscheinlich müde und erledigt vom Tag sind. Das kann ich verstehen, und umso mehr freue ich mich, wenn sie dann trotzdem auftauchen, ihre Munterkeit die Debatte belebt und sich mit der Skepsis jener befasst, die an den Zeitläuften zu Recht zweifeln.

seemoz: Wie nehmen die Radolfzeller:innen deine gedankliche Lust zum „Hinter-die-Fassaden-Gucken“ auf, auch im Hinblick auf deine Rolle als Moderatorin, die gerne gesellschaftliche Widersprüche thematisiert?

Naja, man sollte es schon mögen – diese Melange von Politik, Privatem, Nachdenken über ein sinnvolles Leben, was „die Arroganz der Macht“ im Alltag bedeutet und wie wir damit klug umgehen und uns wehren. Oder was so eine fragwürdige „schwarze Pädagogik“ bedeutet, die hier im Südwesten schon seit Ewigkeiten sehr beliebt war und wer auf welche Weise darunter schon gelitten hat, nämlich: „Nicht geschimpft ist genug gelobt!“

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Dr. Marianne Bäumler

Ich verwechsle mich ja nicht mit einer VHS-Kursleiterin! Ein bisschen aufmüpfig bin ich gerne. Und außerdem: ES GIBT KEINE DUMMEN FRAGEN! Klasse war vor einiger Zeit, als einige Male ein älteres Ehepaar wirklich mit dem Höri-Linienbus abends nach Radolfzell reiste, um an meinem Demokratie-Forum teilzunehmen. Mit verschmitztem Lächeln und sehr konzentriert trugen sie ihre Ansichten vor. Ja, sie schienen dankbar für diese Art der analogen Kommunikation, und das Wohlgefallen in ihren Gesichtern hat mich sehr gerührt.
 
seemoz: Schätzen die Radolfzeller:innen denn Deine „assoziativen Gedankengirlanden“, die sich nicht brav an „bildungsbürgerliche Vortragsregeln“ halten, sondern eher eine ernsthafte Munterkeit versprühen?

Also, das Gute ist: Ja, es gibt Fans, die das Lockere an mir mögen, und meine Lust, mit der deutschen Sprache spielerisch umzugehen, und weil ich ja trotzdem so vieles an Fragwürdigkeiten benenne – zum Beispiel diese fatale „Ernstfall-Logik“, so nenne ich diese unglaublich verharmlosende Politiker-Ausdrucksweise mit solchen Vokakeln wie „kriegstüchtig“. Als ginge es nicht um die systematische Zerstörung menschlicher Körper!

Ich glaube zwar nicht an Gott, an den lieben schon gar nicht, aber es gibt so etwas Wundervolles wie die Schöpfung, dazu gehören wir Menschen und die Pflanzen und die Tiere und unsere Landschaften, ja, und das hat doch in sich eine so sinnvolle physikalische Logik. Allein der Aufbau der menschlichen Anatomie! Wie maßlos sind da kriegerische Zerstörungspraktiken, verbunden mit einer unendlichen Profitgier.

Wo bleibt, auch in diesem Kontext, „das Lob des Zweifels“? Überall dieses Elend, diese irren Irrtümer, all die Angst auf Erden, die Frage nach gerechtem Zugang – all diese Fragen dürften wir doch alle im Kopf haben, und deshalb sollten sie ausgesprochen werden, und nicht verdrängt oder als zu privat oder nicht pragmatisch genug auch von uns selbst nicht mehr ernstgenommen!

Ja, dazu möchte ich im DEMOKRATIE-Forum unbedingt ermuntern – dass wir uns ernstnehmen, auch mit unseren Zweifeln. Denn so könnten wir uns ja durchaus gegenseitig dazu ermutigen, kreativ umzugehen mit den eigenen Fähigkeiten, Ideen zu formulieren, um die erkannten Probleme lösen zu können – und zwar nicht mit Elektronik, sondern vielleicht einfacher, vielleicht mehr nachhaltig als vermeintlich innovativ.

seemoz: Wie gehst Du damit um, dass sich trotz vielerlei Unzufriedenheit und Geschimpfe über „die Politik“ mit rund zwanzig Diskutant:innen doch relativ wenige Personen einmal im Monat abends vom Sofa entfernen und das Demokratie-Forum besuchen?

Naja, es ist schön freiwillig, es sollte mit Lust und Neugier geschehen, und auch noch vergnüglich und lustig. Denn ich lache ja – „trotz alledem und alledem“ – sehr gerne! Aber – du hast Recht: ich würde mich freuen, wenn der Münsterpfarrer Heinz Vogel, der mich ja immerhin in seinem schönen Gemeindesaal mit einem gewissen Zutrauen in meine humanistischen Fähigkeiten einmal monatlich moderieren lässt, sonntags in der Kirche den Gläubigen auch mal ein bisschen einen weltlichen Rat zumuten könnte, und die dann auch mal ganz locker in unserem Forum auftauchen würden.

seemoz: Wenn Du Dir für die politische Wirkung solcher „Live-Abende“ – ohne homepage, ohne social media – etwas Konkretes wünschen dürftest: Was könnte das sein?

Dass sich unser DEMOKRATIE-Forum mehr rumspricht, als Geheimtipp, durchaus sophisticated und anregend fürs kritische Denken und freundliche Fühlen, jedoch ganz wesentlich: OHNE HASS und OHNE HETZE!
 
seemoz: Wie gelingt es Dir, trotz der bedrohlichen und besorgniserregenden Weltlage zuversichtlich und aktiv zu bleiben?

Naja, zuversichtlich, das ist leider schwer angesichts dieser so furchtbar verhärteten Weltlage, aber ich bin froh, mein lebendiges Aufbegehren als klare Widerstandskraft zu spüren und mit anderen wachen Mitmenschen deutlich zu machen. Im Augenblick geht es vor dem Hintergrund eines brutalen Turbo-Kapitalismus extrem antidemokratisch zu.

Es gehört aber zu meiner humanistischen Grundhaltung, auch das Ungerechte in konkreten Macht-Verhältnissen offen zu diskutieren. Wir leben hier ja weniger prekär als die Menschen im globalen Süden, und ich habe den Anspruch, möglichst verantwortlich mit der Schöpfung umzugehen. Wie, darüber können wir ja hier immerhin jederzeit nachdenken, offen reden und handelnd uns einigen!

Am 26. August findet das nächste DEMOKRATIE-Forum in Radolfzell statt: „Lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit“, siehe hier. Das Interview führte Anke Schwede, Bilder: privat.

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