War 7142272 1920

„Kriegstüchtig. Nein Danke“: Ohne Frieden ist alles nichts

Von Ralph-Raymond Braun
War 7142272 1920

Das Kriegsgeschrei nimmt zu. Ein Gefühl von Macht- und Orientierungslosigkeit breitet sich aus. Doch Gegenwehr ist möglich – indem man das Völkerrecht beim Wort nimmt, das Frieden gebietet und Krieg als Mittel der Politik verbietet. So argumentiert Jörg Arnold, der seinen Essay „Kriegstüchtig. Nein danke: Plädoyer für Frieden und Völkerrecht“ am Donnerstag im Zentrum Petershausen vorstellen wird.

Verfasst hat Arnold das Buch gemeinsam mit Peter-Michael Diestel (geboren 1950), dem letzten DDR-Innenminister und Mitverhandler des Einigungsvertrags. Jörg Arnold selbst (Jahrgang 1957) war schon in jungen Jahren Strafrichter am Obersten Gericht der DDR und nach der deutschen Vereinigung Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, wo er eine Forschungsgruppe zur Aufarbeitung des DDR-(Un)Rechts leitete. 

Diestel wie Arnold sammelten also schon als DDR-Juristen persönliche Erfahrungen mit der Indienststellung des Rechts für politische Ziele, oder, weniger neutral formuliert, der Unterwerfung des Rechts unter politische Willkür. Darum geht es auch in ihrem Essay über den „Sterbeprozess des völkerrechtlichen Gewaltverbots und Friedensgebots“. 

Die Autoren argumentieren vorrangig juristisch, hoffen aber gleichwohl, ihr Text werde über die Kaste der Rechtskundigen hinaus auch andere Leser:innen erreichen und ansprechen. Nun, die Hoffnung stirbt zuletzt, doch der Text bleibt sperrig und auf weite Strecken einem moralischen Legalismus verhaftet.

Wertebasierte Ordnung statt Völkerrecht

Diestel und Arnold erklären zunächst die Verankerung von Friedensgebot und Gewaltverbot in der UN-Charta und im Grundgesetz. Davon hätten sich die Regierenden indes längst verabschiedet. Statt vom Völkerrecht sei jetzt die Rede von einer „regelbasierten“, und, noch einen Schritt weiter, „wertebasierten“ Ordnung, die als Rechtfertigung dient, sich über das völkerrechtliche Gewaltverbot hinwegzusetzen. Aus dem Friedensgebot wird nun ein Gebot der Friedenserzwingung durch Krieg. So fordere die Politik, dabei unterstützt von den Mainstream-Medien, nun Kriegstüchtigkeit als Weg zum Frieden.

Diestel und Arnold gehen dann auf die Kriege in Gaza und gegen den Iran ein. Das Völkerrecht erfordere, Israel keinerlei Waffen mehr für den vom Verteidigungs- zum Vernichtungskrieg mutierten Angriff auf Gaza zu liefern, und die Universalität der Menschenrechte gebiete den Schutz nicht nur jüdischen, sondern allen und damit auch palästinensischen Lebens. 

Die Bundesregierung setze sich jedoch im Namen einer konstruierten „Staatsraison“ über diese Normen hinweg – und ordne damit das Recht politischen Ziele unter. Selbst anerkannte Juristen, beispielhaft der Konstanzer Hochschullehrer Daniel Thym, betonen heute in der Tradition von Carl Schmitt das Primat der Politik über das Recht.

Von Babyn Jar zur „russischen Gefahr“

Die Geringschätzung des Völkerrechts durch Bundeskanzler Friedrich Merz verdeutlichen Diestel und Arnold an zwei weiteren Punkten: Zum einen an Merz’ Zusicherung „freien Geleits“ für den vom Internationalen Strafgerichtshof mit einem Haftbefehl gesuchten Benjamin Netanjahu, sollte der auf Staatsbesuch nach Deutschland kommen. Zum anderen an Merz’ Bemerkung, derzufolge Israel mit seinem völkerrechtswidrigen Angriff auf den Iran die „Drecksarbeit“ für die westlichen Verbündeten erledige.

Merz’ Wortwahl erinnert übrigens an die Rechtfertigung des SS-Obersturmbannführers August Häfner vor dem Landgericht Darmstadt: Sein SS-Sonderkommando habe anno 1941 bei der Vernichtung von rund 33.000 Kiewer Jüd:innen in Babyn Jar nur die „Drecksarbeit für die Wehrmacht“ erledigt.

Babyn Jar leitet über zum Ukrainekrieg. Die Autoren sehen hier einen völkerrechtswidrigen Angriff Russlands und deshalb die berechtigte Selbstverteidigung der Ukraine. Allerdings auch, dies im Widerspruch zum Friedensgebot, die durch westliche Waffenlieferungen genährte Gefahr eines (atomaren) Dritten Weltkriegs.

Die viel beschworene „russische Gefahr“ (wer hat da seit Napoleon je wen angegriffen?) dient als Vorwand für Aufrüstung und Wiedereinführen der Wehrpflicht. Beachtenswert in diesem Zusammenhang ein Urteil des Bundesgerichtshofs in Sachen Auslieferung eines den Kriegsdienst verweigernden Ukrainers, demnach das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung im Kriegsfall ausgesetzt werden kann.

Ohne Frieden keine Freiheit

Diestel und Arnold sehen uns in einem Verteilungskampf zwischen Aufrüstung und Sozialstaat. Geht es nach dem Versprechen unserer gegenüber Trump willfährigen Regierung, müssen statt zuletzt 91 künftig 215 Milliarden Euro in den Rüstungssektor fließen. Das kann für die übrigen Bereiche nur heißen: „Gürtel enger schnallen!“

Kann der „Sterbeprozess“ von Gewaltverbot und Friedensgebot noch aufgehalten oder gar umgekehrt werden? Die Autoren hoffen auf die Mobilisierung einer „sozialen Friedensgegenmacht“. Die in viele Gruppierungen zersplitterte Friedensbewegung müsse zu einheitlichem Handeln finden, um Krieg nicht zur gesellschaftlich akzeptierten Normalität werden zu lassen. Ohne Frieden keine Freiheit oder, mit Willy Brandt gesprochen, „Der Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“ Bleibt noch anzufügen: Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Kriegstüchtig. Nein Danke: Plädoyer für Frieden und Völkerrecht“ – Buchvorstellung und Diskussion mit Jörg Arnold. Eine Veranstaltung von Rosa-Luxemburg-Club Konstanz und seemoz e.V. am Donnerstag, 13. November, 19 Uhr im Treffpunkt Petershausen, Georg-Elser-Platz 1 in 78467 Konstanz.

Kriegsbild: Pixabay

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