
Wer in diesen Tagen vom Inselhotel aus den Konstanzer Susosteig in Richtung Stadtgarten entlangspaziert, passiert ein Stück Klimageschichte. Ein 30 Meter langes Banner am Geländer zum Inselgraben begleitet den Weg – der vielleicht längste Thermograf der Welt.
Er besteht aus vielen Metern in kaltem Dunkelblau, dann über blaurote Pastelltöne mit immer schnellerem Farbwechsel bis ins tiefe Rot übergehend. So lässt sich die Klimaerhitzung fast fühlen, schreiben die „For-Future-Bewegungen Konstanz“ in einer aktuellen Pressemitteilung.
Der sogenannte Klimazeitstrahl zeigt anhand der Klimastreifen nach Ed Hawkins den globalen Temperaturanstieg von 1850 bis heute. Dieses bekannte Streifenmuster kennt man auch vom Logo der Scientists for Future. Das Banner zeigt aber auch den Temperaturverlauf in Deutschland. Wie warm war mein Geburtsjahr? Ist die „Seegfrörne“ von 1962 erkennbar? Warum waren 1992 und 1993 so ungewöhnlich kühl (kleiner Tipp: Pinatubo)? Temperaturschwankungen gab es immer, doch die Darstellung des auffälligen Anstiegs der vergangenen Jahrzehnte macht betroffen. Man erkennt den Gleichlauf von Temperatur und CO2-Gehalt der Atmosphäre sowie den dramatisch beschleunigten Anstieg und die stetige Zunahme von Flut- und Dürre-Ereignissen. Wichtige Momente der Klimaforschung zeigen, wie lange man „es schon gewusst hat“.
So entdeckte beispielsweise Eunice Foote bereits 1857 den Zusammenhang zwischen Kohlendioxid und dem Treibhauseffekt – zu einer Zeit, als wissenschaftliche Arbeiten von Frauen ignoriert wurden. Ihre Arbeit wurde erst 2018 weitgehend gewürdigt. Weitere Meilensteine in der Entwicklung von Klimamodellen und sich verdichtenden Erkenntnissen führten ab Ende der 1980er Jahre zu einer Propagandaschlacht der Ölmultis.
1995 gelang einem Forschungsteam um den deutschen Physiker Klaus Hasselmann der Beweis, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Für seinen Betrag erhielt er 2021 den Nobelpreis für Physik. QR-Codes führen zu weiterem Text-, Bild- und Tonmaterial. Wer war noch gleich dieser „Club of Rome“? Was berichtete die Tagesschau 1979 zum Thema Klimawandel? Wie klingt ein schmelzender Gletscher? Was schreibt UN-Generalsekretär António Guterres in einem Brief an die Enkelin seiner Enkelin?
Kipp-Punkte im Klimasystem
Zudem extrapoliert das Banner die zu erwartende Temperaturentwicklung bis 2100 in einem optimistischen und einem pessimistischen Szenario. Auch das optimistische Szenario ist alles andere als beruhigend. Schließlich gibt es noch diese Kippelemente im Erdklimasystem. Dabei handelt es sich um durch Erwärmung ausgelöste Veränderungen, die unumkehrbar zu einer weiteren Beschleunigung der Erwärmung und zur Auslösung weiterer Kippelemente führen. Ist die Domino-Kette der Erhitzung erst einmal in Gang gesetzt, ist sie über Jahrhunderte nicht mehr aufzuhalten. In Deutschland ist bereits ein Kipp-Punkt in kleinstem Maßstab überschritten: Unser Wald, der eigentlich wachsen und CO2 speichern sollte, ist durch die Hitze so geschädigt, dass er seit 2018 in Summe mehr CO2 abgibt als aufnimmt.
Der Klimazeitstrahl wurde in enger Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Wetterdienst (DWD) und Teachers for Future Deutschland erstellt. Sein Erfinder Reiner Oberbeck meint dazu: „Der bevorstehende Klimakollaps ist immer noch nicht ausreichend in das Bewusstsein der Bevölkerung gedrungen. Das Zeitstrahlbanner wird deutschlandweit in der Klimakommunikation eingesetzt. Wie wunderbar, dass es nun auch in der Klimanotstandsstadt Konstanz hängt“. Es verdeutlicht, wie verletzlich und bedroht unsere Gegenwart und Zukunft angesichts der menschengemachten Heißzeit sind und dient als Warnruf vor fossiler klimapolitischer Desinformation, um die Verfeuerung von Kohle, Erdöl und Erdgas ungestört weiter betreiben zu können.
Die Präsentation am Susosteig wurde von Fridays for Future Konstanz und Parents for Future Konstanz umgesetzt. Der Zeitstrahl kann noch bis Anfang September erkundet werden.
Text: Richard Bartscher für die For-Future-Bewegungen Konstanz, Bild: Fridays for Future Konstanz
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