Simon weiland © simon weiland

Jetzt fahr’n wir über’n See: Simon Weiland verbringt Tage im Wald

Von Albert Kümmel-Schnur
Simon weiland © simon weiland
Simon Weiland © Simon Weiland

Simon Weiland ist in Konstanz bestens als Performer mit reichlich Wortwitz und Gitarre bekannt. Nun stellte er sein neues Programm „Im Wald. Der Weg des Holzes“ im ausverkauften K9 vor.

Vor ein paar Jahren, so erzählt Simon Weiland zu Beginn des Abends, habe er vier Tage lang allein fastend im Wald verbracht und so ein in vielen indigenen Kulturen dieser Welt praktiziertes Ritual nachvollzogen. Die Lakota etwa kennen den Rückzug in die Einsamkeit der Wildnis unter strengem Nahrungsentzug als Weg der Mannbarkeit: der Initiand verlässt mehrere Tage lang einen Kreis von drei, vier Metern Durchmesser nur zum Zwecke der Notdurft.

Ziel ist die Induktion eines Trancezustandes, während dessen der werdende Krieger den Namen hört, den er als Erwachsener tragen wird. Nun, ein Krieger wollte Simon Weiland wohl nicht werden. Seine Erfahrung hat ihn aber gleichermaßen in einen anderen Zustand, ja, man darf wohl sagen an den Ort versetzt, den keltische Geschichten als die Anderswelt, das Land der Feen, kennen. Und genauso wie die Faeries der Otherworld keine niedlich-schmetterlingsgleichen Wesen aus Peter Pans Neverland sind, ist die Anderswelt kein Jenseits, wie es uns aus christlichen Vorstellungen vertraut ist. Die Anderswelt existiert parallel zu unserer Welt – wir haben für gewöhnlich einfach keinen Zugang zu ihr, denn dazu bedarf es meist das explizite Einverständnis oder sogar die Einladung der Bewohnerinnen und Bewohner dieses mythischen Ortes.

In Trance verringern sich die Bindungen an diese Welt, die Sinne schärfen sich, das Gehirn erzeugt Welten, ohne dafür auf äußere Reize angewiesen zu sein. Der Ort, an den sich Simon Weiland setzt, ist im Wald, das Holz wird in der künstlerischen Transformation, die Weiland im K9 vorstellt, zu zentralen Signifikanten und Medium dieser Zeit.

Die Anderswelt

Weilands Abend besteht aus einer Aneinanderreihung von Songs, bei denen er sich selbst auf der Gitarre begleitet. Seine Ankündigung, dass der Blues am allerbesten seine Tranceerlebnisse im Wald transportiere, setzt er so weit um, dass selbst das alte Volkslied von der hölzern Wurzel, mit der wir über’n See fahren, als Blues performt wird. Das geht so gut auf, dass man sich im Anschluss fragt, ob das Lied nicht sogar ursprünglich ein Blues gewesen sei.

Weilands Blues ist vielschichtig, nuancenreich im Spiel mit den tradierten Harmonien und Rhythmen mit ihren charakteristischen Betonungen. Dazu passt auch der Einsatz der Stimme, die nur selten rauchig-laut wird, sondern vom Sprechgesang über melodiös-weiche Passagen bis zu zart gehauchten Tönen führt. Kein klagend-aufheulender, vielmehr ein sanft nach innen gewandter Blues.

Dieser Blues erzählt von Begegnungen im Wald – ganz unspektakulär. Ein uralter Stein, Millionen von Jahren wahrscheinlich alt, beginnt zu sprechen, singt ein stummes Lied, Blumen werden kurz erwähnt, aber im Zentrum von Weilands Waldabenteuer steht das Holz. Er schaut die hoch gewachsenen Bäume hinauf und erlebt den Wald als lebendige Kathedrale, leicht bei allem Gewicht. Er sieht die Lebendigkeit der ‚Totholz’ genannten herumliegenden und vermodernden Äste und Bruchstücke. Und immer wieder durchdenkt er die kulturtechnischen Angebote des Holzes: er imaginiert sich als Schreiner, der schützende Räume baut und vergleicht unsere Lebensenergie mit loderndem Holz, das langsam zu Asche verbrennt. Das Holz ist für Weiland ein Sinnbild unseres Lebens. Trotz aller kulturtechnischen Aneignung bleibt es vor allem lebendiges Gegenüber, das größer ist, als wir uns das nur annähernd vorstellen können.

Und so begegnet ihm und in den Liedern des Abends auch uns ‚Holla, die Waldfee’. Diese vielen geläufige Formel ungläubigen Staunens wie plötzlicher Überraschung wird von ihm als Anruf eines Eigennamens verstanden: Holla, das heißt dann nicht so etwas wie ‚He da!’ oder ‚Hallo!’, sondern Holla ist eine andere Form von ‚Holle’, jener Märchengestalt, die bei den Brüdern Grimm in einer jenseitigen Unterwelt wohnt, mit großen Zähnen aus dem Fenster schaut und ihre Betten ausschüttelt. Und wenn sie die Betten schüttelt, dann fliegen die alten Daunenfedern hinaus und erreichen die oberirdische Welt als Schnee. Unter Märchen- und Mythenforscher:inne:n ist man sich einig, dass Frau Holle eine Gestalt mit großer historischer Tiefe ist. Manche verfolgen ihre Spur bis ins Neolithikum, die sogenannte ‚Jungsteinzeit’ zurück, als die Menschen sesshaft wurden, und sehen in ihr eine Muttergottheit, die Hüterin der Jahreszeiten und der Fruchtbarkeit der Erde.

Ein seelenführendes Medium

Simon Weiland belässt solche Überlegungen im Vagen – es reicht, das Motiv anzuspielen, den Ton zum Klingen zu bringen. Was man dann damit tut, ist ohnehin den Zuschauer:inne:n überlassen. Für ihn ist Holla eine Waldfee – keine Hüterin von Landwirtschaft und Haushaltskünsten (als solche tritt sie uns in vielen Erzählungen entgegen). Die Waldfee ist einfach das Anders-als-Menschliche unserer natürlichen Umwelt. (In Parenthese kann man einfügen, dass angesichts des Klimawandels aus dieser Fee schnell jene in den Rauhnächten zwischen Weihnachten und Neujahr im Sturm jagende Göttin wird – auch eine Figuration von Frau Holle –: die Welt als ewige Rauhnacht …) Und das Anders-als-Menschliche ist eben auch ein anderer Seinsmodus, der, den die keltischen Geschichten die ‚Anderswelt‘ nannten und in ihrer Eigenlogik respektierten.

Für Simon Weiland erzählt das Lied von der hölzern Wurzel, mit der wir über’n See fahren, genau von diesem Übergang, den er im Wald erlebt hat. Das Holz wird zum seelenführende Medium, ein Psychopompos, der See zu jenem Wasser, das Diesseits und Jenseits voneinander trennt und miteinander verknüpft. Und würde man Simon Weiland fragen, warum er die Jäger, die am anderen Ufer in ihre Hörner blasen, ausgelassen hat, dann würde er wahrscheinlich warmherzig lächeln. Und schweigen.

„Das Liedchen ist nun aus, ist nun aus, das Liedchen ist nun …“

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Mehr über die Arbeit von Simon Weiland unter https://simon-weiland.de/

Die nächsten Möglichkeiten, ‘Im Wald’ auf der Bühne zu erleben sind am 08.10. um 19.00 Uhr in St. Gallen in der DenkBar und am 16.11. um 18.00 Uhr in Radolfzell im CDC.

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