Schattenspiel Thea 2 © Mit Freundlicher Genehmigung Von Denise Schechinger

Integratives Wohnprojekt beim Schattentheaterfestival Schwäbisch Gmünd

Schattenspiel Thea 2 © Mit Freundlicher Genehmigung Von Denise Schechinger

Hoffnungshäuser sind integrative Wohnprojekte der Hoffnungsträger Stiftung. In Schwäbisch Gmünd hat sich ein Haus mit einem Spiel am Schattentheaterfestival beteiligt. Unser Autor war vor Ort und hat mit Denise Schechinger, die gemeinsam mit ihrem Mann Martin Schechinger das Haus leitet, gesprochen.

„Denn die einen sind im Dunkeln
Und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte
Die im Dunkeln sieht man nicht.“

(Bertolt Brecht)

Eigentlich hatte ich keine Lust mehr. Aber Volker überredet mich. „Komm, wir gehen da noch hin“, sagt er und zieht seine Jacke über. Volker ist ein Marionettenspieler aus Pforzheim. Er besucht mit mir zusammen das Schattentheaterfestival in Schwäbisch Gmünd. Es findet alle drei Jahre statt und macht für eine Woche aus Schwäbisch Gmünd die Welthauptstadt des Schattentheaters.

Heute ist der zweite Tag. Das Festival wurde am 11. Oktober eröffnet und alle Produktionen zu sehen, wie ich es mir vorgenommen habe, erweist sich als recht anspruchsvolles Vorhaben. Nun schreiben wir den 12. Oktober. Es ist spät, schon 21 Uhr. Wir haben gerade ein sehr intensives Stück, das den Alltag dreier Frauen durch Träume, Depression und Verzweiflung zum Thema hatte – „Untold“ vom Unterwassertheater aus Italien – gesehen, eine Aufführung, die das Schattentheater ins Cinemascopische dehnte. Nun stehen wir vor dem Kulturzentrum Prediger. Es ist kalt und, wie gesagt, eigentlich habe ich keine Lust mehr.

„Na, komm“, sagt Volker, und wir marschieren durch die kühle Nacht über die Fußgängerampel mit dem leuchtenden Einhorn am Bahnhof vorbei und durch eine Unterführung hindurch. Hier muss es irgendwo sein. Gleich in der Nähe des Wallfahrtsorts Sankt Salvator. Ah, da sind wir schon – Poster des Schattentheaterfestivals zeigen an, dass wir richtig sind.

Hh Schattenspiel(1) © Mit Freundlicher Genehmigung Von Denise Schechinger

Feuerchen und Musik

Sofort fällt die ungewöhnliche Architektur auf. Geschwungene schlanke Linien, gerundete Ecken – sie wirkt wie eine moderne, ökologische Interpretation von art déco-Design. „Die Hoffnungshäuser zeichnen sich aus durch ihre modulare Bauweise, ihre Flexibilität, die Verwendung von Holz als zentralem Baustoff und ihre Nachhaltigkeit.“1 In Schwäbisch Gmünd sind das mehrere, am Hang liegende Häuser, die einen zentralen Innenhof einfassen.

Als wir ankommen, ist bereits viel los. Feuerchen brennen in Feuerschalen, Musik läuft. Große Häuser aus je zwei ineinandergesteckten bemalten Holzplatten stehen auf dem Platz. Haben Sie ein Mitspielerticket? Ja, ich hätte gern eins. Aber ich kriege keins. Bin also darauf angewiesen zuzuschauen.

Denise Schechinger stellt das Projekt vor. Sie ist die Leiterin des Hoffnungshauses in Schwäbisch Gmünd und lebt hier mit ihrer Familie. Die Hoffnungshäuser sind ein integratives Wohnprojekt der Hoffnungsträger Stiftung, die Integration Geflüchteter praktizieren und einüben will, ganz konkret, indem sie in verschiedenen Städten modular und ökologisch entwickelte Häuser baut, deren Bewohnerschaft zur Hälfte aus Einheimischen, zur anderen aus Geflüchteten besteht.

Hh Schattenspiel Werkstatt(2) © Mit Freundlicher Genehmigung Von Denise Schechinger

Verantwortung, der wir uns stellen müssen

Entwickelt wurde die Idee von dem Sozialpädagogen Tobias Merckle, dem Sohn des ratiopharm-Gründers, der 2003 schon sozialunternehmerisch mit dem Seehaus e.V. in Leonberg, einer Einrichtung für den offenen Strafvollzug, tätig wurde. Im Interview mit dem Magazin „wir“ sagt er: „Man kann politisch unterschiedlicher Meinung sein, ob, warum und wie viele Flüchtlinge man ins Land lässt. Klar ist aber: Für alle Geflüchteten, die schon hier sind, haben wir eine Verantwortung, der wir uns stellen müssen.“2 Solche Klarheit würde man sich sowohl rhetorisch als auch von der Haltung her von der gegenwärtigen politischen Kaste in Deutschland wünschen, die sich treiben lässt von den Fantasmen einer rassistischen, migrationsfeindlichen Partei.

In einem Interview, das ich im Nachgang zur Veranstaltung auf dem Festival mit Denise Schechinger führe, begründet sie, warum sie es so wichtig findet, auch auf kulturellen Veranstaltungen der Stadt Schwäbisch Gmünd als Hoffnungshaus präsent zu sein: „Wir wollen als Wohnprojekt mit Geflüchteten präsent sein in unserer Stadt, auch als Impulsgeber, als Rollenmodell, als Leuchtturm, um Integration in unseren Nachbarschaften, in unseren Quartieren zu fördern, das aufeinander zugehen. Und dann kann man nicht sagen, wir sind eine Sozialbubble, die in sich vielleicht funktioniert und stimmig sein könnte, sondern wir sind Teil unserer Stadt, einfach ein weiteres Puzzleteil.“ Die Beteiligung an kulturellen Veranstaltungen ist für sie sehr wichtig: „Wir lassen uns einiges einfallen, um mit der Stadtgemeinschaft und allen, die das interessiert, in Kontakt zu kommen und ein Stück weit die Bewohnerinnen und Bewohner des Hoffnungshauses auch herauszufordern, die oft überhaupt gar keinen Bezug zu kulturellem Programm haben und sich manchmal bis zum Zeitpunkt der Umsetzung gar nicht vorstellen können, was wir da eigentlich machen.“

Hh Schattenspiel Testaufbau © Mit Freundlicher Genehmigung Von Denise Schechinger

Eine Win-Win-Geschichte

Aus dieser Motivation heraus bietet sie während der Vorbereitung des Schattentheaterfestivals auch der neuen Intendantin, der Figurenspielerin Iris Meinhardt, das Hoffnungshaus als Location an. „Und so dachte ich, ja, das wäre doch eine Win-Win-Geschichte, ich muss nicht viel vorbereiten und habe die Stadt bei mir zu Besuch.“ Doch so einfach ließ Iris Meinhardt das Hoffnungshaus nicht davonkommen. „Frau Meinhardt sagte dann, ja, ist sehr schön und gut. Hört sich interessant an, was ihr für ein Projekt habt. Aber einen Veranstaltungsort brauche ich nicht. Ich brauche eher noch ein bisschen Bürgerbeteiligung und interessantes Outdoor- oder auch Indoor-Event. Ich brauche einen Programmbeitrag.“ Denise Schechinger lacht: „Und so saßen wir dann im Frühjahr zusammen und haben gehirnt. Und letzten Endes kam das dabei raus.“

Mit „das“ ist das Licht-und-Schatten-Spiel gemeint, das Volker und ich zu sehen gekommen sind. Die Hoffnungshausgemeinschaft hat das Spiel zusammen entwickelt. Das Spielfeld zeigt ein globales Dorf – jedes einzelne Haus ist der Erinnerung eines der Bewohnenden nachempfunden, kein abstraktes also, sondern ein ganz konkretes, ja, persönliches Spiel.

Denise Schechinger beschreibt, wie dieses Spielfeld entwickelt wurde: „Die erste Frage war, nenne mir einen Ort, an den du gute Erinnerungen hast. Kannst du diesen Ort beschreiben? Kannst du noch ein paar Erinnerungen teilen, die du mit diesem guten Ort verbindest? Kannst du entweder ein Foto zur Verfügung stellen oder eine Zeichnung? Ganz viele Leute haben von ihren Erinnerungsorten der Vergangenheit keine Dokumente mehr und haben dann angefangen, Skizzen zu zeichnen. Da wurde dann teilweise in den Familien diskutiert. ‚Nein, das Ofenrohr war doch viel weiter links.‘ ‚Und die Treppe zum Balkon war doch viel weiter oben.‘

Hh Schattenspiel(5) © Mit Freundlicher Genehmigung Von Denise Schechinger

Erinnerungen teilen

Diese Gespräche waren ein sehr schöner Impuls, um unsere Hausgemeinschaft auch wieder neu zu aktivieren. Wir möchten ja ganz bewusst Gemeinschaft leben. Wir wollen unsere Nachbarn kennenlernen und das nicht nur einmal, sondern den Alltag immer wieder miteinander teilen. Diese Gespräche waren hilfreich, um mal wieder ein neues Thema zu haben. Jede und jeder konnte entscheiden, wie viel sie oder er aus der Vergangenheit erzählen will. Oder ob sie oder er lieber einen Ort hier nimmt. Das konnte ein Baum sein hier auf dem Gelände, der zu einem Ort der guten Assoziation geworden ist. Wir haben auf diese Weise etwa dreißig Orte generiert und letzten Endes zehn davon für unsere Häuser ausgesucht, die natürlich auch unterschiedlich sein sollten.“

Zwischen den Häusern läuft ein Punktepfad wie auf einem Spielbrett. Ein Würfelwurf bestimmt über die Schritte, die Lighty Lena, eine zentrale Figur mit einem Kranz aus Scheinwerfern auf dem Kopf, gehen darf. Jeder Zug, den Lighty Lena macht, verändert das Spiel, weil es die Licht- und Schattenverteilung auf dem Hof ändert. Die Dorfbewohner:innen dürfen sich nur innerhalb der Schatten bewegen und haben die Aufgabe, jedes Haus des globalen Dorfs zu besuchen. Wer ins Licht gerät, erstarrt und darf erst wieder mitspielen, wenn eine andere Person sie oder ihn befreit hat. Nicht einfach.

Brechts Dreigroschenoperverse werden in ihr Gegenteil gekehrt. Bei Brecht ist der Schatten sowohl der Ort des Verbrechens von Mackie Messer und dem Bettlerkönig Jonathan Peachum, aber andererseits auch ein Begriff für die eher unansehnlichen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens: es ist der Raum der kleinen Leute, die eben nicht im Licht großer Scheinwerfer und auf den Brettern bedeutender Bühnen stehen. Hier im Licht-und-Schatten-Spiel ist es ein Schutzraum. Dieses Spiel ist nicht harmlos. Böse Assoziationen treten auf: Grenzzäune mit Suchscheinwerfern. Hubschrauber, deren Scheinwerferlicht die kalifornisch-mexikanische Grenze oder Strände in Griechenland oder Spanien beleuchtet auf der Suche nach illegalen Arbeitsmigrant*innen. Mal kontrolliert man schärfer und mal, nun ja, weniger scharf (wenn man billige Erntesklav*innen braucht – jedes Imperium braucht Ränder, eine Umwelt, die als Ressource kostengünstig genutzt werden kann).

Hoffnungshaus Schattenspiel Kulissenbau4 © Mit Freundlicher Genehmigung Von Denise Schechinger

Jedes Imperium braucht Ränder

„Und im Prozess der Spielentwicklung kam dann die Idee, Häuser aus der Erinnerung unserer Bewohnerinnen und Bewohner umzusetzen und die als Zufluchtsorte zu gestalten, was natürlich dann wiederum in unserem Konzept mit Geflüchteten eine hohe Bedeutung hatte und zu sagen, diese Schattenzonen, diese Häuserzonen sind auch die, die erstrebt werden. Also man will nicht ins Licht, sondern man bleibt in diesen Schattenzonen“, erläutert Denise Schechinger.

Wir laufen das Treppenhaus hoch – alle Nichtspieler:innen schauen von den um den Innenhof befindlichen Balkonen aus zu. Martin Schechinger, der Mann von Denise, begleitet das Spielgeschehen als Moderator. Das ist gut, denn es ist nicht einfach, selbst von oben nicht, alle Spielzüge im Blick zu halten. Deutlich wird sehr schnell, wie gering die Chancen der Dorfbewohner:innen sind, nicht gefasst zu werden. Das Spiel dauert gar nicht lang – die Zeit ist vorgegeben. Trotz Glühpunsch ist uns kalt. Nach einer Runde machen wir uns wieder davon. Der Eindruck aber bleibt.

Hoffnungshaus Schattenspiel Entstehung1 © Mit Freundlicher Genehmigung Von Denise Schechinger

Insgesamt gibt es derzeit 33 Hoffnungshäuser an 11 Standorten. In Konstanz gibt es sechs: vier in Petershausen, zwei in Wollmatingen, mehr dazu lesen Sie hier.

Anmerkungen
1 https://hoffnungstraeger.de/was-wir-machen/hoffnungshaus/
2 https://www.wirmagazin.de/gemeinnuetzigkeit/tobias-merckle-in-der-tradition-der-familie-8069/

Text: Albert Kümmel-Schnur, die Bilder wurden von Denise Schechinger zur Verfügung gestellt

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