01 nam june paik moon is the oldest tv © grandfilm

Er kennt Sie – aber kennen Sie ihn?

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Eigentlich kennen Sie ihn schon lange, auch wenn Sie seinen Namen vielleicht noch nie gehört haben: Nam June Paik ist einer der Großväter der Medienkunst. Er nutzte schon vor Jahrzehnten die künstlerischen Potenziale elektronischer Medien und erbitterte eine ältere Generation mit flirrenden Fernsehbildern und irren Medieninstallationen und Aktionen. Jetzt gibt es eine Doku über ihn im Zebra Kino zu sehen.

Man kennt die Sprüche des durch die Bank konservativen Kunstgeschmacks nach der Begegnung – oder besser: Konfrontation – mit neuer, „experimenteller“ Kunst, Musik oder Literatur. „Das ist doch keine Kunst, das kann ja jeder“ oder „Dass die dafür auch noch Geld kriegen …“.

Was ist Kunst? Wer weiß das schon … Doch die Grenzen dessen, was zumindest in Galerien und Museen als Kunst präsentiert wird, hat sich immer wieder deutlich erweitert: Mobiles schweben im Luftzug vor sich hin, eingepackte Stühle und Videoinstallationen waren zu „klassischen Zeiten, als man noch malen konnte“ unbekannt, und Meret Oppenheims surrealistische „Pelztasse“, die heute so selbstverständlich im New Yorker Moma neben Bildern der klassischen Moderne steht und besteht, gehörte zur Zeit ihrer Entstehung 1936 eindeutig einer neuen Art von Kunst an.

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Alles neu

Zu den ganz wichtigen und kreativen Neuerern der Kunst des 20. Jahrhunderts gehörte auch der koreanische Video- & Medienkünstler Nam June Paik (1932-2006). Er hatte schon früh die – nicht für jede:n verlockende – Vision einer Zukunft, in der „jeder seinen eigenen Fernsehkanal haben wird“.

Paik hatte sich zuerst auf den Weg zum Komponisten gemacht, und dabei unter anderem bei Wolfgang Fortner studiert und mit Karlheinz Stockhausen gearbeitet. Er begann dann, – von John Cage inspiriert und über ihn hinausgehend, – „Aktionsmusik“ zu entwickeln, bei der er nicht nur Instrumente zertrümmerte, sondern auch Geräusche mit klassischer Musik kombinierte. Bei der Aufführung seiner „Etude for Piano Forte“, einem dem Namen nach also höchst drögen Stück Musik für die Einzelhaft am Klavier, schnitt er dann Cage die Krawatte ab.

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Mit John Cage

Man merkt schnell, Nam June Paik hatte Humor und einen großen Unterhaltungswert, der gerade in Kreisen der oft spröden Avantgarde-Schaffenden heute eher selten ist, wenn man ihren Selbstentäußerungen in Programmheften und Interviews sowie seinen eigenen Ohren trauen darf.

In den 1960er und 1970er Jahren wurde der Künstler mit seiner Medienkunst langsam weltberühmt, irgendwann gab gefühlt jedes anständige Avantgarde-Festival bei ihm etwas in Auftrag. In den 1960er und 1970er Jahren wurde der Künstler mit seiner Medienkunst langsam weltberühmt, irgendwann gab gefühlt jedes anständige Avantgarde-Festival bei ihm etwas in Auftrag, 1993 etwa die „Video Opera“ zusammen mit den „Einstürzenden Neubauten“ für die Donaueschinger Musiktage.

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„The More The Better“

Vor allem der Fernseher hatte es ihm angetan. Er veränderte Fernsehaufnahmen, verzerrte elektronische Bilder und Töne, arbeitete später auch mit Videos, Plattenspielern und vielen anderen Ton- und Bildgebern. Ein besonders bekanntes Beispiel ist seine Installation „The More The Better“ aus 1003 Monitoren zu den Olympischen Sommerspielen 1988 in Seoul. Bereits zu diesem Zeitpunkt war er, der seine Wurzeln auch in der rheinischen Fluxus-Bewegung hatte, der neben Isang Yun in Deutschland und vielleicht in der gesamten westlichen Welt bekannteste koreanische Künstler.

Seine Liebe zum Fernsehen aber war eine tiefe und lebenslange, er hatte sie bereits 1965 bei einem Happening bekundet: „Das Fernsehen hat uns ein Leben lang attackiert, jetzt schlagen wir zurück.“ Schon früh hatte er auch die Vision einer Zukunft, in der „jeder seinen eigenen Fernsehkanal haben wird“.

Leider sind wir davon scheint’s nicht mehr weit entfernt.

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„Moon is the Oldest TV“

Nun bringt die Regisseurin Amanda Kim zum ersten Mal die Geschichte von Paiks rasantem Aufstieg in der Kunstwelt auf die Leinwand, von seiner Ausbildung und seinen Anfängen bis hin zur Auswanderung nach New York und seiner Etablierung als Pionier der Videokunst. Der Film „Nam June Paik: Moon is the Oldest TV“ verbindet selten gesehenes Archivmaterial und Auszüge aus Nam June Paiks Texten mit Begegnungen mit seinen Weggefährt:innen wie John Cage, Marina Abramović, Joseph Beuys, Charlotte Moorman oder Peter Brötzmann.

Die Filmemacherin erinnert im Interview an Orson Welles‘ „F for Fake“ als ein Vorbild, an dem sie Welles‘ Sinn für Humor und den Stil“ lobt. Für ihren Film über Paik war es ihr besonders wichtig, „dass er eine witzige Note beibehält. Er nimmt sich selbst nicht zu ernst, was in der Kunstwelt nicht immer gegeben ist.“

Was hat sie zu diesem Film inspiriert, der mittlerweile ein Klassiker ist? „Ein Teil von Nam Junes Arbeit ist die Vermenschlichung der Technologie. Er versteht, dass diese Technologie immer fortschrittlicher wird, aber das Wichtigste ist, zu verstehen, wie diese Technologie der Menschheit dienen und nützen kann, statt die Kontrolle zu übernehmen und zu einer kalten Maschine zu werden, die die Menschheit zerstört. Und ich hoffe, dass das Publikum etwas kritischer wird und hinterfragt, wo wir heute stehen, wie wir unsere Technologien einsetzen – und sich nicht nur über das neueste Gadget freut.“

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Dokumentation, Englisch & Koreanisch mit deutschen Untertiteln, USA 2023, 109 Min.
Regie & Produktion: Amanda Kim, Kamera: Nelson Walker, Schnitt: Taryn Gould, Texte geschrieben von Nam June Paik, gelesen von Steven Yeun
FSK 12

Zebra Kino, Joseph-Belli-Weg 5, D-78467 Konstanz, www.zebra-kino.de

So, 12.10.25, 18:00 Uhr im Kulturticket
Di, 14.10.25, 20:55 Uhr
Do, 16.10.25, 21:05 Uhr

Quellen: Wikipedia, Bilder © Grandfilm

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