Gründung Bündnis Rielasingen 24 04 27 Jana Akyildiz, Reinhard Zedler, Steffen De Sombre ©uta Preimesser

Ein weiteres Bündnis zur Stärkung der Demokratie

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Gründung Bündnis Rielasingen 24 04 27 Jana Akyildiz, Reinhard Zedler, Steffen De Sombre ©uta Preimesser
Die Initiator:innen des Rielasinger Bündnisses: Jana Akyildiz, Reinhard Zedler und Steffen de Sombre

Auch in Rielasingen-Worblingen wollen Bürger:innen das zunehmende Erstarken rechtsextremer, demokratiefeindlicher Kräfte nicht mehr sprach- und tatenlos hinnehmen. Ende April haben sie das „Bündnis Demokratie stärken“ gegründet. Gerade noch rechtzeitig zum Endspurt der Kommunalwahlen am 9. Juni, denn in dieser Gemeinde tritt die AfD mit einer kompletten Liste an.

Groß war das Interesse bei der offiziellen Gründungsversammlung Ende April im Café St. Verena in Rielasingen. Die Sitzplätze reichten nicht, es wurden zwar zusätzliche Stühle herbeigeschafft, aber etliche Besucher:innen begnügten sich auch mit Stehplätzen. Das Publikum gemischt, viele Ältere, doch auch etliche Junge, mit dabei Gemeinderät:innen, Geschäftsleute, Vereinsaktive.

Sie seien überaus positiv überrascht, auf welches Interesse ihr Aufruf zur Gründung des „Bündnisses Demokratie stärken – Rielasingen-Worblingen-Arlen“ (so der komplette Name, der alle drei Ortsteile der Hegau-Gemeinde mit einschließt) gestoßen sei, betonten die beiden Sprecher des Bündnisses. Beide sind Mitglieder des Gemeinderats, Steffen de Sombre für die Grünen, Reinhard Zedler für die SPD/UL.

Ziele und Werte des Bündnisses

Es solle aber keinesfalls ein grün-rotes Bündnis sein, hoben sie hervor (schon bald nach der Terminankündigung kursierten Facebook-Kommentare wie „Wer braucht schon so einen rot-grünen Rotz?“ oder „zwei linke Affen“). Sondern ein „überparteilicher Zusammenschluss mit dem Ziel, die freiheitlich-demokratische Grundordnung in der Gemeinde zu stärken“; so heißt es auch auf dem Beitrittsformular zum Bündnis.

Sinn und Zweck des Bündnisses sei auch nicht, einfach nur gegen die AfD anzutreten. Kein Bündnis „gegen etwas“ wolle man sein, sondern eines, „das für die Stärkung der Demokratie antritt“, machte Steffen de Sombre deutlich. Dennoch: Der Impuls zur Gründung des Bündnisses komme natürlich aus der Besorgnis über das Erstarken der AfD, ergänzte er. Ihm selbst sei im Juli vergangenen Jahres beim „Bürgerdialog der AfD“ in der Talwiesenhalle (Rielasingens Gemeindehalle) klar geworden, dass man auf die dort verbreiteten Unwahrheiten, Tatsachenverdrehungen, Falschinterpretationen reagieren müsse, sagte de Sombre im Gespräch mit seemoz.

Der „AfD-Bürgerdialog“ in Rielasingen-Worblingen

Auf dem Podium jenes „Bürgerdialogs“ am 22. Juli 2023 saßen die AfD-Landtagsabgeordneten Bernhard Eisenhut (Wahlkreis Singen) und Anton Baron (Wahlkreis Hohenlohe und Sprecher der Landtagsfraktion) sowie die Bundestagsabgeordnete und Höcke-Vertraute Christina Baum (Wahlkreis Main-Tauber). Im Rahmen der Veranstaltung wurde bereits dafür getrommelt, möglichst viele Bürger:innen für eine AfD-Kandidatur bei den Kommunalwahlen 2024 zu gewinnen.

In Rielasingen-Worblingen ist dies gelungen: Sie ist die einzige Gemeinde im Landkreis Konstanz, in der die AfD mit einer vollständigen Liste von 18 Kandidat:innen antritt. Im benachbarten größeren Singen, wo diese Rechtsaußen-Partei bei allen Wahlen der letzten Jahre mit die besten Quoten im Landkreis Konstanz erreichte, gibt es „nur“ vier Kandidaten für den Gemeinderat.

In keiner anderen Kommune des Landkreises ist die AfD mit einer eigenen Liste vertreten. Allerdings wurden im vergangenen Jahr die Ortsverbände „Höri-Rielasingen-Worblingen“ (Kreistagswahlkreis 6 mit den Gemeinden Gaienhofen, Moos, Öhningen, Rielasingen-Worblingen) sowie „Oberer Hegau“ (Kreistagswahlkreis 5 mit den Gemeinden Aach, Tengen, Engen, Mühlhausen-Ehingen) gegründet; den Ortsverband Singen gibt es schon länger. Und für die Kreistagswahl fanden sich Kandidat:innen für alle sieben Wahlkreise.

 

„Sichtbarkeit und Präsenz der Demokratiebefürworter vor Ort zu etablieren“, seien Ziele des Bündnisses. Deren Stimmen sollen gebündelt werden: „Wir sind mehr“. Die Demonstrationen der letzten Wochen hätten schon viel in den Köpfen der Menschen bewirkt, aber dies müsse sich weiter verstetigen, so de Sombre bei der Gründungsversammlung.

Mit „Aufklärung und Information“ wolle man gegen Desinformation und Fake News zumindest auf lokaler Ebene anarbeiten. Ein hehres, eigentlich schon überfälliges Anliegen, denn gerade im Hegau „sind viele lokale Facebook-Gruppen mit starker Tendenz zu sehr rechten und sehr demokratiefeindlichen Standpunkten überaus aktiv“, formulierte Reinhard Zedler vorsichtig und höflich. Im Umgang mit social media versierte und motivierte Mitstreiter:innen seien im Bündnis deshalb besonders willkommen.

Breit und offen angelegt will sich das Bündnis in Rielasingen-Worblingen als überparteilicher Zusammenschluss langfristig etablieren. Vorschläge und Impulse für Themen, Vorträge oder Aktionen sollen aus den Reihen der Mitstreiter:innen kommen. Steffen de Sombre selbst denkt an eine Veranstaltung zum Thema Extremismus, aber auch Unterstützung für demokratische Organisationen und Vereine vor Ort sind für ihn vorstellbar.

Erste Aktionen

Trotz langfristiger Ausrichtung will das Bündnis die wenigen Wochen bis zum 9. Juni zumindest für zwei Aktionen nutzen. Zum einen läuft bereits die digitale Kampagne „Misch dich ein – geh wählen“, organisiert von Bündnismitglied und Grünen-Gemeinderätin Jana Akyildiz. Mit ihren Porträtfotos, die auf Instagram gepostet werden, können Bürger:innen dafür werben, zur Wahl zu gehen und somit die Wahlbeteiligung zu steigern. Die Aktion gibt es auch in Konstanz, wo sie im Bündnis „Konstanz gegen rechts – klare Kante gegen die AfD in Stadt und Landkreis“ entwickelt wurde, sowie in einigen anderen Gemeinden.

Zum anderen möchte man auch in Rielasingen-Worblingen den 75. Geburtstag des Grundgesetzes feiern. Allerdings nicht am 23. Mai, dem eigentlichen Jubiläumstag, sondern etwas vorgezogen bereits am Donnerstag, dem 16. Mai, um 19 Uhr im Rathauspark. Informationsbeiträge und ein Umtrunk sind geplant, eingeladen sind alle Mitbürger:innen.

Eine AfD-affine Gemeinde?

Wo wird die AfD bei den Kommunalwahlen antreten? Mit wie vielen und welchen Kandidat:innen? Bis zur öffentlichen Bekanntmachung der Wahlvorschläge Ende April wurde viel spekuliert. An den Städten Konstanz und Radolfzell ging der Kelch nochmals vorbei. In Singen erfuhren die Bürger:innen, dass erstmals auch die AfD mit dabei sein wird. Jedoch mit „nur“ vier Kandidaten, da hatte manche:r mehr erwartet.

Aber weshalb ist es ausgerechnet und auch ausschließlich im für Außenstehende eher beschaulichen Rieasingen-Worblingen möglich geworden, dass sich 15 Männer und drei Frauen zusammenfanden, um auf lokaler Ebene für diese Partei anzutreten?

12.000 Einwohner:innen zählt die Gemeinde, ein Zusammenschluss der drei ehemaligen Ortschaften Rielasingen, Worblingen und Arlen, südlich von Singen inmitten der schönen Landschaft des Hegau gelegen, nur einen Katzensprung von Bodensee und Rhein entfernt, direkt an der Schweizer Grenze zum Kanton Schaffhausen.

Mit guter Infrastruktur, solidem Haushalt, großem Industriegebiet. Mit drei Grundschulen, einer Gemeinschaftsschule, drei gemeindlichen Kinderhäusern, je zwei Kindergärten freier und christlicher Träger sowie seit März einem Waldkindergarten. Mit interessantem Tourismusangebot, schönen Rad- und Wanderwegen und dem in der ganzen Region beliebten „Naturbad Aachtal“. Eine Bücherei, ein Dorfmuseum, mehrere Sportstätten und eine große Mehrzweck-Gemeindehalle (Talwiesenhallen) sind ebenfalls vorhanden. Das Gemeindeleben kann sich dank zahlreicher Vereine durchaus als vital und aktiv bezeichnen lassen.

Ein SPD-Bürgermeister seit 2007

Soziale Brennpunkte, abgedrängte Randgruppen, gern als Argument für das Erstarken rechter Gesinnungen angeführt, sind hingegen nicht erkennbar. Aber auch wenn die positive Seite überwiegt, heißt das noch nicht, dass es keine Probleme gibt: Wohnungsmangel, auch bedingt durch Herausforderungen der Erstaufnahme oder Anschlussunterbringung für Flüchtlinge, was aber die Gemeinde seit 2016 mehrfach gut gemeistert hat, nicht ausreichend Kindergartenplätze, hoher Durchgangsverkehr, Lärmbelastung für Bewohner:innen  – das sind einige Beispiele für die Probleme und Herausforderungen, vor denen aber andere Kommunen im Landkreis ebenso stehen. Sie erklären also nicht, weshalb Rechtspopulisten hier außergewöhnlich punkten können.

Mit Ralf Baumert hat die Gemeinde seit 2007 einen SPD-Bürgermeister (2015 und 2023 wiedergewählt). CDU und Freie Wähler bilden die stärksten Fraktionen im Gemeinderat. Aktuell verfügen sie über jeweils 5 von 18 Sitzen. Die bei der Kommunalwahl 2019 erstmals angetretenen Grünen holten sich vier Sitze, die SPD drei.

Mit 6262 Stimmen und damit immerhin 7,2 Prozent holte sich auch die AfD erstmals ein Mandat, und zwar das einzige in den Gemeindeparlamenten des Landkreises Konstanz. Die Wahlbeteiligung lag damals bei 54,9 Prozent, das sind über 10 Prozentpunkte mehr als in Singen, wo sich gerade mal mickrige 43,2 Prozent zur Stimmabgabe aufrafften. Dennoch besteht Verbesserungsbedarf nach oben, den sich das neue Bündnis mit seinen ersten Aktionen erhofft; in Konstanz zum Beispiel lag die Wahlbeteiligung 2019 immerhin bei 61,3 Prozent.

Zwei AfD-Landtagsabgeordnete

Ein ähnliches Bild zeigt sich auch beim Blick auf das Abstimmungsverhalten der zurückliegenden überregionalen Wahlen: In Rielasingen-Worblingen war die Wahlbeteiligung stets um rund 10 Prozent besser als in Singen, gemeinsam aber ist beiden Gemeinden ein relativ hoher Zuspruch für die AfD.

So erhielt bei der Landtagswahl 2016 der damals in Rielasingen wohnende AfD-Vertreter Wolfgang Gedeon 18,8 Prozent der Stimmen seiner wahlberechtigten Mitbürger:innen, in Singen waren es sogar 20,2 Prozent. Mit einem Gesamtergebnis von 15,7 Prozent im Wahlkreis Singen erlangte er über die Landesliste einen Sitz.

Mit umstrittenen Vorträgen und Veranstaltungen [https://archiv.seemoz.de/lokal_regional/antisemit-gedeon-in-rielasingen/] sorgte er zum einen für Unmut in der Gemeinde, fand aber auch Anhänger:innen für seine kruden, rechtsextremen Ansichten. Das Ende seiner politischen Karriere ist bekannt: Nach innerparteilichen Auseinandersetzungen aufgrund seiner antisemitischen Schriften verzichtete er auf seinen Fraktionsstatus, blieb aber Landtagsmitglied. 2020 wurde er aus der Partei ausgeschlossen.

Doch mit Bernhard Eisenhut folgte ihm ein zweiter Rielasinger in den Landtag: 2021 wurde dieser mit 12,4 Prozent in Rielasingen-Worblingen und 14,1 Prozent in Singen in den Landtag gewählt, die Wahlbeteiligung lag bei 60 Prozent in Rielasingen-Worblingen und 48,5 Prozent in der „Hegau-Metropole“. Zum Vergleich: In der Universitätsstadt Konstanz betrug sie 60,6 Prozent, und der seinerzeitige AfD-Kandidat Thorsten Otterbach aus Öhningen erlitt dort mit 5,1 Prozent im Vergleich zu seinem Rielasinger Parteifreund eher eine Schlappe.

Zwischen Singen und Konstanz

Eisenhut hat zudem auch einen Sitz im Kreistag inne, zusammen mit Michael Hug aus Volkertshausen, beide gewählt für den Wahlkreis 3 mit Singen, Steißlingen und Volkertshausen. Da kandidieren sie auch dieses Mal wieder. Die Zustimmung für die AfD lag bei der Kreistagswahl 2019 bei 9,6 Prozent in Rielasingen-Worblingen und 5,5 Prozent in Singen.

Und ein ähnliches Bild zeigte sich bei der Europawahl 2019: Wahlbeteiligung Rielasingen-Worblingen 59,9 Prozent – Singen 49,8 Prozent – Konstanz 67 Prozent Zuspruch für die AfD in Rielasingen-Worblingen 12,5 Prozent – Singen 13,3 Prozent – Konstanz 5,2 Prozent.

Diese Zahlen zeigen, dass neben Singen auch in Rielasingen-Worblingen die Agitationen von Rechtspopulist:innen und Rechtsextremisten auf fruchtbaren Boden gefallen sind.

Warum, bleibt dennoch offen. Vielleicht spielt hier einfach der Zufall einer allgemeinen antidemokratischen Entwicklung in die Hände, dass ausgerechnet zwei Landesmandatsträger in der kleineren und leichter überschaubaren schönen Hegau-Gemeinde ihren Wohnsitz hatten beziehungsweise haben und dort schon früh Gleichgesinnte finden konnten.

Die Mehrheit stellen sie aber längst nicht, auch das zeigt ein nüchterner Blick auf die Zahlen. Und dafür spricht jetzt auch der gelungene Start des neuen „Bündnisses Demokratie stärken“. Was in größeren Städten wie Konstanz geht, sollte auch in einer kleinen Gemeinde möglich sein. Und eine Wählerliste, „auf der sich einige Unzufriedene zusammengetan haben“, so war nach der Gründungsversammlung von Besucher:innen zu hören, ist das eine. Wer schließlich gewählt wird, das andere. Darüber entscheiden – hoffentlich mit großer Wahlbeteiligung – die Bürger:innen.

Text und Fotos: Uta Preimesser

1 Kommentar

  1. Jutta Gold

    // am:

    Liebe Frau Preimesser,
    herzlichen Dank für diesen Artikel über unsere Gemeinde, sie haben sehr gut den Zustand unserer Gemeinde beschrieben. Nun hoffen wir, dass durch das „Bündnis Demokratie stärken“ ein paar mehr Menschen ihr Gehirn einschalten, genauer hinschauen was die AfD vertritt und vor allem wählen geht.
    lieber Gruß aus Arlen
    Jutta Gold
    ehem. GRätin

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