Tempo beim Thema Mobilität: Katja Diehl

Die Suffragette der Verkehrswende

Tempo beim Thema Mobilität: Katja Diehl
Tempo beim Thema Mobilität: Katja Diehl

Der eine will sie einbetonieren, der andere ihr die Knochen brechen. Seit ihrem Bestseller „Autokorrektur“ lebt Katja Diehl mit solchen Drohungen. Der Grund: Sie kämpft für eine lebensgerechte Mobilität. Auch als Beraterin von Baden-Württembergs Verkehrsminister Hermann.

Im Hamburger Gängeviertel liegt Lüttopia, das neu eröffnete Büro von Katja Diehl, wo sie mit Freund:innen an der „kleinen Utopie“ einer lebens- und liebenswerten Mobilität bastelt. Gerade erarbeiten sie im „Lütti“ eine Konzeption für utopische Stadtführungen. Die 49-Jährige ist kämpferisch und faktenstark, knabbert an einer Melone, während sie ihre Mission ausrollt: eine Welt, in der Menschen Auto fahren können, aber nicht müssen. Ein Auftritt bei Anne Will hat ihr den Ruf einer Autohasserin eingebracht, was sich Anfang des Jahres zu einem Shitstorm in den Sozialen Medien auswuchs.

Frau Diehl, der Februar war Ihr Monat des Hasses. Morddrohungen gegen eine Frau, die sich für eine menschengerechte Mobilität einsetzt, das ist schon einigermaßen absurd.

Das müssten Sie mal den Herren sagen, und es sind fast ausschließlich Männer, die so reagieren. Einer wollte mich fünf Meter unter der A 45 einbetonieren, ein anderer mich mit 50 Stundenkilometern überfahren. Es wurde mir nachts um eins mit Lieferando eine Pizza an meine Privatadresse geschickt, die ich nicht bestellt hatte, mit dem schönen Namen Bonesmasher. Shitstorms bin ich gewohnt, aber das war eine neue Qualität. Ich habe einen Anwalt eingeschaltet.

Katja Diehl studierte Literaturwissenschaften, Medien und Soziologie. Sie arbeitete als Redakteurin bei der dpa, wechselte dann in die Unternehmenskommunikation der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Erfahrungen im Bereich Mobilität und Logistik sammelte sie in leitender Position bei den Stadtwerken Osnabrück und der NordWestBahn. Seit 2017 arbeitet die 49-Jährige als Beraterin für eine klima- und sozial gerechte Mobilitätswende und produziert unter dem Titel „She drives Mobility“ einen 14-täglichen Podcast. 2022 erhielt Diehl den Deutschen Mobilitätspreis in zwei Kategorien. Dass Bundesverkehrsminister Volker Wissing nicht unterschrieben hat, hält sie nicht für ein Versehen. Schulterzucken. „Am meisten hat mich eh der Publikumspreis gefreut“, sagt sie. (sus)

Die gemeinnützige Organisation „Hateaid“, die sich für Menschenrechte im digitalen Raum einsetzt, hat den Shitstorm analysiert.

Das fand ich toll. „Hateaid“ nimmt an, dass in der Klimagerechtigkeitsbewegung immer mehr Leute mundtot gemacht werden sollen. Denn Mobilität ist für viele mit Auto verbunden, und das hat viel mit Lifestyle zu tun, mit Dingen, mit denen man sich identifiziert: erster Job, erstes Auto, dann kommt das Eigenheim. Ich kann mir gut vorstellen, dass das gut ins rechte Narrativ passt: Die wollen uns was wegnehmen. Das Eigenheim und das Auto sind Heilige Kühe der deutschen Lebensweise. Und sie sehen nicht den Gewinn und die Privilegien, die im Auto stecken. Da müssen Sie nur hier vor die Tür schauen: alles vollgeparkt mit Fahrzeugen, besser gesagt Stehzeugen, die den städtischen Raum versperren.

Autofreie Mobilität für alle ist ja auch ein gewagtes Projekt. Jede:r sollte ein Recht auf ein Leben ohne eigenes Auto haben: Was meinen Sie damit?

Ich nehme die Perspektive von Menschen ein, die am wenigsten gehört werden. Das sind 13 Millionen Erwachsene in Deutschland, die keinen Führerschein haben, eine Riesenzahl. Und 13 Millionen Kinder, auch ohne Führerschein. 26 Millionen Menschen, die nicht selbstbestimmt mit dem Auto unterwegs sind. Ich habe in den Interviews zu meinem Buch „Autokorrektur“ gelernt, es müssen Alternativen zum Auto her und die müssen barrierefrei, sicher und bezahlbar sein. Und dann kommt erst klimagerecht. Wenn ich mich in einem Verkehrsmittel nicht sicher fühle, dann ist mir klimagerecht ein bisschen egal. Deshalb denke ich Mobilitätswende feministisch.

Okay, aber für Frauen bedeutet ein eigenes Auto auch Unabhängigkeit.

Aber warum redet dann keiner mit ihnen? Das finde ich paternalistisch. Es wird nur über Frauen geredet, nicht mit ihnen. Willst du wirklich mit dem Auto fahren oder hättest du gerne sichere Radwege, dass deine Kinder ab einem gewissen Alter auch sicher fahren können und dein Elternkalender entlastet wird? Es geht doch immer über die Köpfe der Betroffenen hinweg.

Warum sind Frauen mehr betroffen von einer aufs Auto konzentrierten Städte- und Verkehrsplanung?

Die weibliche Mobilität hat Ketten, während die männliche Erwerbsmobilität zur Arbeit und wieder zurückführt. Man nennt das Stichverkehr. Diese weiblichen Wegeketten brauchen gute Fußwege, gute Radwege, sichere Verkehrsmittel. Vieles an der Verkehrswende wird technisch betrachtet, wie das autonome Fahren. Männer fahren auf diese Techniken ab und ich verstehe das auch, denn was wir jetzt tun müssen, ist unsexy. Das heißt Flächengerechtigkeit und die Schwächsten nach vorne stellen. Das bedeutet, wir bieten den Kindern, den Alten, den Langsamen einen Raum, und das ist nicht technisch zu lösen. In der Mobilität sehen wir gespiegelt, welche Probleme unsere Gesellschaft hat.

Es fällt auf, dass es im Bereich der Veränderung Frauen sind, die sich engagieren: Luisa Neubauer, Greta Thunberg oder Carola Rackete. Sie werden als Suffragetten der Mobiliätswende bezeichnet.

Wir Frauen haben mehr zu gewinnen, die Männer mehr zu verlieren. Wenn wir wirkliche Gleichberechtigung herstellen, müssen Privilegien geteilt werden. Ich habe ja viele Titel, Autohasserin ist einer davon. Aber Suffragette der Mobilitätswende stammt von einem befreundeten Illustrator und damit kann ich gut leben. Ich bin eine Suffragette, die versucht, ihre Privilegien als weiße gesunde Frau zu nutzen. Es kann keinen unfeministischen Klimagerechtigkeitspfad geben. Ich fand einen Satz aus Feminist City …

Katja Diehl in ihrem Hamburger Büro.
Katja Diehl in ihrem Hamburger Büro.

… ein Buch von Leslie Kern …

… sehr spannend: dass man sich als weißer Mann bequem durch die Stadt bewegen kann, weil alles für den weißen gesunden Mann gebaut ist. Frauen ecken immer wieder an, etwa mit dem Kinderwagen. Am Bild der Suffragette gefällt mir auch, dass sie nicht nur für ein Frauenwahlrecht kämpften, sondern auch mit dem Rad unterwegs waren.

Sie sind Aktivistin und beraten gleichzeitig die Politik: in Österreich die Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, in Baden-Württemberg den grünen Verkehrsminister Winfried Hermann. Wer lässt sich mehr sagen?

Das ist schwierig zu vergleichen. Während wir in Deutschland in Sachen Klimaschutz keinen Plan haben und Verkehrsminister Volker Wissing sich sogar gegen ein Tempolimit stellt, hat Leonore Gewessler einen Zeitpunkt festgelegt, bis zu dem sie klimaneutral beziehungsweise CO2-frei sein will und hat von da aus zurückdekliniert, was es dazu alles braucht. Es gibt ein Klimaticket, sie hat einen Tunnel und eine Autobahn nicht gebaut. Winfried Hermann ist ein Schachspieler, der geübt ist in verschiedenen Koalitionen, und er geht pragmatisch an die Probleme heran.

Bundes- und Landesebene lassen sich tatsächlich schwer vergleichen. Und Österreich hat andere Probleme als Deutschland. Wird die Mobilitätsprophetin im eigenen Land weniger gehört?

Die Österreicher wollten mit mir eine Stimme aus der Zivilgesellschaft in das Beratungsgremium holen. Und ich stichle immer, dass sie mich nur geholt haben, weil sie dann über Deutschland ablästern können. Den größten Lacher hatte ich, als ich zu einem Vortag in Österreich zu spät ankam, schnell eingestöpselt auf die Bühne eilte und sagte: Mein Zug hatte Verspätung. Das war eben die deutsche Bahn. Denn natürlich haben die Schweiz und Österreich eine andere Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit bei der Bahn.

Da würde Ihnen der Landesverkehrsminister zustimmen. Doch hier in Baden-Württemberg beschäftigen Sie sich mit Mobilitätsdaten und mit dem Thema Mobilität 2030. Was ist da Ihr Job?

Hermann will in Baden-Württemberg bis 2030 eine weniger autozentrierte Mobilität ausrollen. Das fängt je nach Bevölkerungsdichte an mit einem Rufsystem, wo nach Bedarf gefahren wird. Je höher der Bedarf umso höher die Taktfrequenz und je größer die Busse. Ich hielt da eine Keynote und dann kamen die Herren von den Verkehrsbünden und alle haben sich beklagt, wie ambitioniert dieser Plan ist. Da ist Hermann aufgestanden und hat gesagt, klar ist das ambitioniert, was sonst? Der hat gesagt, 2030 will ich da sein und es gibt Meilensteine und die überprüfe ich. Wer die CO2-Uhr der taz kennt, weiß, wie viel Zeit wir noch haben, bis das globale CO2-Budget für das Erreichen des 1,5-Grad-Limmits aufgebraucht ist.

Und der Verkehr macht davon rund 20 Prozent aus. Doch im Land von Porsche und Daimler macht man sich keine Freund:innen, wenn man weniger Auto will. Das hat in seiner ersten Amtszeit auch der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu spüren bekommen, als er meinte: Weniger Autos sind natürlich besser als mehr.

Wir müssen endlich lernen, dass sich die Welt gerade ändert und wir transformieren müssen. Wir können nicht dasitzen wie die drei Affen. Nichts hören, nichts sehen, nicht sprechen. Und wenn wir ehrlich sind, sind die Arbeitsplätze in der Autoindustrie auch deshalb so wichtig, weil sie gut bezahlt sind und das sorgt für Konsum und Umsatz in unserer Wirtschaft. Wir waren mal Weltmeister im Eisenbahnwesen, bei den Batterien, bei Solar- und Windenergie. Das sind wir alles nicht mehr, weil wir so sehr an das Auto geglaubt haben.

Das ist Vergangenheit. Was ist jetzt zu tun?

Als Landesfürstin würde ich sagen, lasst uns schauen, was die Arbeitsplätze der Zukunft sind. Wir brauchen etwas zwischen Pkw und starrem Minibussystem, kleinere flexible Fahrzeuge. Das ist meiner Meinung nach sogar ein Weltmarkt, weil überall Menschen zu Knotenpunkten gebracht werden müssen, wenn man vom Auto wegkommen will. Viele, die in diesen Konzernen arbeiten, riechen den Bedeutungsverlust, und nichts macht Leute aggressiver. Das ist vielleicht auch die Aggression, die mich trifft als eine, die Mobilität nicht nur am Auto festmacht.

Als Aktivistin reden Sie, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist. Macht die Eingebundenheit in die Politik Sie vorsichtiger?

Natürlich habe ich mich auf Social Media gefragt, schreib ich das noch oder nicht? Und das ist schon scheiße, wenn man anfängt mit der Selbstzensur. Aber in meinen Vorträgen rede ich immer Klartext und ich weiß, dass sich manche in der Politik davon düpiert fühlen. Als ich beim Neujahrsempfang der Grünen in Stuttgart geladen war, saß der Stuttgarter OB neben mir und sagte: Frau Diehl, ich bin aber nicht mit allem einverstanden. Und ich: Herr Nopper, wo ist das Problem? Nur wo es unkomfortabel wird, gibt es Veränderung.

In den Städten ist Mobilität weniger ein Problem. Aber auf dem Land ohne Auto – Mitfahrbänke funktionieren nicht, Ruftaxis nicht, Busse gibt es selten, Schienen sind abgebaut. Wie sollen die Leute zur Arbeit kommen?

Auch im ländlichen Raum bauen wir Strukturen, die das Auto zentrieren und zementieren. Die Bäckerei ist weg, der Metzger, der Frisör, die Buslinie. Und der Vollsortimenter ist auf der grünen Wiese weit draußen. Es wundert mich schon, dass man sich in diese Abhängigkeit begibt und dass so wenige auf dem Land eine andere Infrastruktur einfordern. Und die Mitfahrbänke funktionieren nicht, weil die Leute keine Anreize haben, das Auto stehen zu lassen. Wenn wir aber anfangen zu sagen, die vom Land kommen nicht mehr in die Stadt, die müssen umsteigen. Wenn es unbequemer wird und etwas länger dauert, dann fängt das Umdenken doch erst an.

Vorsicht, Frau Diehl, Sie machen sich gerade wieder unbeliebt.

Der Gamechanger im ländlichen Raum sind sichere Radwege und E-Bikes. Zehn Kilometer kann man damit machen, 50 Prozent der Wege im ländlichen Raum sind unter fünf Kilometer und 70 Prozent sogar innerörtlich. Mal das Fitnessstudio canceln und dafür lieber Rad fahren, wäre so eine Idee. Und für die Kranken und Alten wäre das Ruftaxi da, das sie einen Tag vorher bestellen müssen.

Seit Juli hat die Hamburger Mobilitätsexpertin auch einen Titel aus dem Schwarzwald: Sie sind Schönauer Stromrebellin 2023, ernannt von den EWS, die sich seit Tschernobyl für sauberen Strom einsetzen.

Darüber freue ich mich sehr. Die Schönauer haben schon vor fast 40 Jahren verstanden, dass man etwas ändern muss. Als ich den Gründer, den alten Herrn Sladek, kennen gelernt habe, hab ich fast geheult vor Rührung. Schönau ist das beste Beispiel um zu zeigen, dass man auch aus der Zivilgesellschaft heraus Veränderungen schaffen kann.

Derzeit sitzt Katja Diehl an einem zweiten Buch. Die Idee ist in der Zeit des Shitstorms im Februar entstanden. Sie schaut mit Wissenschaftler:innen ins Gehirn, warum es so schwierig ist, sich zu ändern oder aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen, und mit Politikwissenschaftler:innen auf den Rechtsruck, der auch den Klimawandel betrifft. „Ich will Mobilität für eine nicht nur lebens-, sondern auch liebenswerte Welt“, sagt sie und lächelt.

Text: Susanne Stiefel. Der Beitrag ist zuerst erschienen auf: www.kontextwochenzeitung.de
Bilder: Jannis Große

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