
Nicht nur in Ballungsräumen werden Wohnungen immer teurer. Die Mietpreisbremse soll dem entgegenwirken – doch in Konstanz und anderen Städten am See soll damit bald Schluss sein. Basis dafür sind ein zweifelhaftes Gutachten, der Wille von CDU-Bauministerin Nicole Razavi („Wir dürfen engagierte Eigentümer nicht vergraulen“) und das Einknicken der Südwest-Grünen vor ihrem Koalitionspartner.
Die Mietpreisbremse wird in Baden-Württemberg um vier Jahre verlängert. Statt in bislang 89 soll sie künftig in 130 Kommunen gelten. Für 46 Städte und Gemeinden wird sie weiter gelten, 84 kommen neu hinzu. Das klingt fürs Erste gut. Doch unter dem Strich wohnen künftig nur noch 33 Prozent der Baden-Württemberger:innen in Orten mit angespanntem Wohnungsmarkt, während es bislang 36 Prozent waren. Denn unter den 43 Städten und Gemeinden, die aus der Mietpreisbremse herausfallen, sind neben der Großstadt Mannheim vor allem mittelgroße Städte wie Konstanz und Singen, während sich unter den Neuen vor allem kleinere Orte befinden, im Landkreis Konstanz etwa Mühlingen-Zoznegg und Mühlhausen-Ehingen oder im Bodenseekreis Frickingen und Deggenhausertal.
Die Gebietskulisse des angespannten Wohnungsmarkts verschiebt sich also in den ländlichen Raum. Wie das, wo die Mieten dort doch generell günstiger sind als in den Ballungsräumen oder am See? Und wieso fallen Städte wie Radolfzell, Überlingen und sogar Konstanz aus dem Raster, wo doch hier die Mieten auch im Bundesvergleich exorbitant hoch sind? Nach Erhebungen des Instituts empirica ist Konstanz beim Anmieten einer Wohnung mit einer Mietbelastung von 133 Prozent des bundesdeutschen Mittelwerts gar die teuerste Stadt im ganzen Land.
Um zu verstehen, wie es zu dieser, die Realität auf den Kopf stellenden Bewertung kommt, muss man sich das „Gutachten zur Identifizierung von Gebieten in Baden-Württemberg mit angespannten Wohnungsmärkten“ des Beratungsunternehmens FUB IGES näher anschauen, dem die grün-schwarze Landesregierung mit ihrer Verordnung zur Mietpreisbremse folgt.
Was bringt die Mietpreisbremse?
Doch vorher wollen wir betrachten, wie die Mietpreisbremse überhaupt dem Mieter:innenschutz dient. Sie bestimmt zum einen, dass bei Neuvermietung die Miete höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf – ohne Mietpreisbremse sind es zwanzig Prozent.
Von dieser Vorschrift ausgenommen sind allerdings Wohnungen, die nach Oktober 2014 erstmals vermietet wurden, oder solche, die nach umfassender Modernisierung neu vermietet werden. Auch möblierte Wohnungen oder Kurzzeitvermietungen sind Schlupflöcher, um Mieter:innenschutzrechte auszuhebeln. Kritiker:innen halten die Mietpreisbremse deshalb für ein stumpfes Schwert mit allenfalls symbolischer Wirkung.
Weiter dürfen bei angespanntem Wohnungsmarkt bestehende Mieten innerhalb von drei Jahren statt um höchstens zwanzig um nicht mehr als fünfzehn Prozent erhöht werden, maximal jedoch bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete. Bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen gilt in Baden-Württemberg zudem in Gemeinden mit angespanntem Wohnungsmarkt eine von drei auf fünf Jahre verlängerte Kündigungssperrfrist.

Die gesetzliche Grundlage
Der 2015 von der Großen Koalition ins Bürgerliche Gesetzbuch eingefügte und aktuell bis 2029 begrenzte Paragraf 556d bestimmt: „Die Landesregierungen werden ermächtigt, Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten durch Rechtsverordnung zu bestimmen. Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten liegen vor, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen in einer Gemeinde oder einem Teil der Gemeinde zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn
● die Mieten deutlich stärker steigen als im bundesweiten Durchschnitt,
● die durchschnittliche Mietbelastung der Haushalte den bundesweiten Durchschnitt deutlich übersteigt,
● die Wohnbevölkerung wächst, ohne dass durch Neubautätigkeit insoweit erforderlicher Wohnraum geschaffen wird, oder
● geringer Leerstand bei großer Nachfrage besteht.“
Wie wird ein „angespannter Wohnungsmarkt“ bestimmt?
Das Unternehmen FUB IGES leitet daraus fünf Kriterien zur Bestimmung eines angespannten Wohnungsmarkts ab, nämlich
1. den Wohnraumversorgungsgrad, definiert als Verhältnis von Haushalten zum Wohnungsbestand,
2. die Veränderung der Wohnraumversorgung in den letzten Jahren, definiert als Verhältnis von Wohnungsneubau zur Veränderung der Zahl der Haushalte im gleichen Zeitraum,
3. die Mietbelastungsquote, definiert als Anteil der Bruttowarmmiete am Haushaltseinkommen,
4. Entwicklung und Höhe der Angebotsmieten,
5. Differenz zwischen Bestandsmieten und Angebotsmieten.
Um als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt zu gelten, muss eine Gemeinde mindestens vier der fünf Kriterien erfüllen. Während Konstanz bei Mietbelastung, Höhe und Anstieg der Angebotsmieten, also den Punkten drei bis fünf, weit vorne dabei ist, soll die Wohnraumversorgung gemäß dem Gutachten ausreichend sein und sich in den letzten Jahren auch weiter verbessert haben. Damit erfüllt Konstanz nur drei der fünf Kriterien, und fällt deshalb aus der Mietbremsbremse.
Fehlerhafte Berechnung …
Schauen wir uns also an, wie FUB IGES zum dem Schluss kommt, in Konstanz bestünde eine ausreichende Wohnraumversorgung. Das Wohnungsangebot, also die Menge der vorhandenen Wohnungen, entnehmen die Gutachter der Gebäude- und Wohnungsstatistik des Statistischen Landesamts, Stand Ende 2023. Darin enthalten sind auch Wohnungen, die als Ferienwohnungen, wegen Umbau oder anderen Gründen dem Wohnungsmarkt aktuell nicht zur Verfügung stehen. Vom Wohnungsbestand abgezogen wird lediglich eine Leerstandsquote von drei Prozent für Umzüge und Renovierungen.

Das Gutachten berücksichtigt dagegen nicht, dass auch Ferienwohnungen dem Wohnungsmarkt dauerhaft entzogen sind – in Konstanz sind dies laut Zensus 1,1 Prozent des Bestands, zu ergänzen um eine mindestens so hohe Dunkelziffer. Dass das Gutachten das Phänomen Ferienwohnungen schlicht übersieht, obwohl hierzu durchaus Daten verfügbar sind, dürfte ein wesentlicher Grund sein, warum Städte wie Konstanz, Überlingen und Radolfzell künftig aus der Mietpreisbremse herausfallen.
… und eine absurde Konstruktion
Dem Wohnungsbestand wird sodann die Anzahl der Haushalte gegenübergestellt. Hier wäre es naheliegend, auf die Daten des letzten Zensus (Mai 2022) zurückzugreifen. Da der Zensus unter Haushalt eine Wohngemeinschaft versteht, die Zahl der (Zensus-)Haushalte = bewohnte Wohnungen also notwenig geringer sein muss als die Zahl der Wohnungen insgesamt, es also ohne irgendwelche Korrekturparameter stets mehr Wohnungen als Haushalte gibt, greifen die Gutachter stattdessen auf die Haushaltszählungen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) aus 2022 zurück. Diese werden dann auf 2023 hochgerechnet. Diese Hochrechnung vernachlässigt die erstmals 2023 ankommenden Ukraineflüchtlinge ebenso wie die Rückkehr der Hochschulen nach Corona zum Normalbetrieb, was die Wohnraumnachfrage Studierender am Hochschulort Konstanz erhöhte.
Die GfK definiert Haushalte nicht als Wohn-, sondern als Wirtschaftsgemeinschaft. Wohnt ein junger Erwachsener also noch bei seinen Eltern, hat dort aber einen eigenen Kühlschrank, können in einer Wohnung zwei Haushalte bestehen, bei einer Studierenden-WG unter Umständen sogar noch ein paar mehr.
Doch egal, nach welchen Quellen und Methoden die Zahl der Haushalte berechnet wird: Aus ihr kann nicht auf den Wohnungsbedarf geschlossen werden. Wenn vier Studierende mit getrennter Kasse in einer Wohngemeinschaft wohnen, sind dies zwar vier Haushalte. Doch wollen diese jeweils eine eigene Wohnung? Oder anders herum: In einer Gemeinschaftsunterkunft lebende Geflüchtete, die liebend gern eine eigene Wohnung hätten, zählen nicht als Haushalt und werden damit von der FUB IGES nicht als Wohnungsnachfrager:innen gerechnet. Kurzum: Haushalte sind ein ungeeignetes Kriterium!

Neubau killt Mietpreisbremse
Betrachten wir noch den zweiten Indikator, nach dem in Konstanz angeblich kein Wohnungsmangel besteht: Das Verhältnis von Wohnungsneubau zur Entwicklung der Haushalte. Auf der Angebotsseite wird das Neubauvolumen als Differenz zwischen dem Wohnungsbestand 2011 und 2022 ermittelt, jeweils gemäß den Zensusdaten. Der Veränderung des Bestands, also dem Neubau, wird dann noch der im Zensus 2022 festgestellte Leerstand hinzugerechnet und die dreiprozentige Fluktuationsquote abgezogen. FUB IGES kommt so auf 5013 zusätzliche Wohnungen, demgegenüber die Zahl der Haushalte nur um 4885 gewachsen sei.
Die Rechnung mag stimmen, doch darf die Relevanz dieses Indikators infrage gestellt werden. Wenn das von den Gutachtern für 2023 ermittelte Angebotsdefizit von 1543 Wohnungen um 28 Wohnungen geringer ist als noch 2011, herrscht dann nicht noch immer ein angespannter Wohnungsmarkt?
Wie weiter?
In Hessen hätte ein vergleichbares Gutachten zum Wohnungsmarkt dazu geführt, dass ausgerechnet Frankfurt, die Stadt mit Hessens höchsten Mieten, ab 2026 aus der Mietpreisbremse gefallen wäre. Doch die dortige Landesregierung aus CDU und SPD zog die Notbremse und verlängerte vorläufig die bestehende Gebietskulisse, wenn auch nur um ein Jahr.
Es wäre zu wünschen, dass man in Stuttgart diesem Beispiel folgt, um Zeit zu schaffen für eine ausführliche Diskussion über Datengrundlagen und Kriterien für einen Mangel an Wohnraum. Das Gutachten von FUB IGES ist jedenfalls nicht geeignet, um angespannte Wohnungsmärkte sachgerecht und realitätsnah zu ermitteln.
Doch ob die Landesregierung sich im letzten Moment über das Gutachten hinwegsetzt und die zahlreichen Proteste von Oberbürgermeistern, dem Mieterbund, der Gewerkschaft ver.di und wem noch alles berücksichtigt, darf bezweifelt werden. Die der Sozialbindung des Eigentums wenig zugeneigte Bauministerin Nicole Razavi (CDU) hätte genug Gelegenheit gehabt, das Gutachten in eine andere Richtung zu lenken.
Und die grüne Landtagsfraktion, die anfangs noch kritisiert hatte, dass Städte wie Konstanz und Mannheim aus der Mietpreisbremse fallen sollen, gab schließlich klein bei und stimmte Razavis Vorlage zu. Sie musste den Grünen nur versichern, die betroffenen Kommunen und Fachleute nochmals anzuhören. Das war’s dann -– bis zur Landtagswahl.
Fotos: Pit Wuhrer


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