Das holocaust mahnmal in berlin

Die Linke: Neue Töne in der Israel-Debatte

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Das holocaust mahnmal in berlin
Ist die gängige Antisemitismus-Definition noch zeitgemäß? Im Bild: Das Berliner Holocaust-Mahnmal

Auf ihrem Parteitag wies Die Linke die vorherrschende Antisemitismus-Definition zurück – und steht nicht allein damit. Denn allmählich verschiebt sich auch in Deutschland der Blick auf Israels Krieg in Gaza, schreibt Iris Hefets von der Jüdischen Stimme für einen echten Frieden.

In den letzten Monaten durchläuft die Partei Die Linke einen tiefgreifenden inneren Wandel – ein Wandel, der sie potenziell zu einer echten, international ausgerichteten linken Kraft machen könnte. Auch außerhalb der Partei sind die Spuren dieser Entwicklung sichtbar: etwa beim Austritt zionistischer Mitglieder, der Formierung einer pro-palästinensischen Parteigruppe oder im Wahlverhalten bei innerparteilichen Abstimmungen.

Zwischen den etablierten, älteren, pro-israelischen Abgeordneten lassen sich inzwischen neue Gesichter entdecken – junge, engagierte Parlamentarier:innen mit Wurzeln in arbeitenden und marginalisierten Milieus. Beispielhaft ist die Antrittsrede der jungen Abgeordneten Cansin Köktürk, die aus ihrer Erfahrung als Sozialarbeiterin mit armutsbetroffenen Familien sprach. Sie und auch ihr Kollege Ferat Koçak zeigen offene Solidarität mit der pro-palästinensischen Bewegung und sprechen sich laut gegen den israelischen Völkermord in Gaza aus.

Ein weiterer Ausdruck dieses inneren Umbruchs war die jüngste Entscheidung der Partei: Die Linke verabschiedete sich von der sogenannten IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus zugunsten der alternativen „Jerusalemer Erklärung“ (JDA). Ein historischer Schritt, mit dem sich die Partei gegen den zunehmenden Missbrauch des Antisemitismusvorwurfs zur Unterdrückung kritischer Stimmen stellt. Denn längst dient die IHRA-Definition – ursprünglich als pädagogisches Werkzeug konzipiert – insbesondere der israelischen Regierung als Mittel, internationale Kritik an ihrer Politik zurückzuweisen. 

Kritik vom Zentralrat der Juden

Die Entscheidung der Linken könnte Signalwirkung haben: Der Bruch mit der Doktrin der „Israel-Solidarität um jeden Preis“ scheint möglich geworden. Auch wenn die Abstimmung nur mit knapper Mehrheit und vielen Enthaltungen ausging, zeigt sie, dass sich die Angst vor den politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen offener Kritik an Israel langsam auflöst.

Nicht zufällig reagierte der Zentralrat der Juden in Deutschland (ZRJ) umgehend mit scharfer Kritik: „Damit zeigt die Linke, wo sie steht — und das nicht an der Seite der Jüdinnen und Juden in Deutschland.“ Eine Aussage, die selbst in antisemitische Stereotype abzurutschen droht: Wer oder was sind „die Juden“? Gerade der Zentralrat der Juden betont in seinen eigenen Kampagnen regelmäßig die Vielfalt jüdischen Lebens – ein Anspruch, dem er mit derartigen stereotypischen Verallgemeinerungen selbst widerspricht.

Die Realität ist: Der Verband vertritt nicht einmal die Hälfte der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden. Die Mehrheit seiner Mitglieder ist über 65 Jahre alt. Seit Jahren versucht er, jüngere oder zugewanderte Mitglieder – insbesondere israelische Migrant:innen – zu gewinnen, oft in enger Kooperation mit israelnahen Stiftungen und Organisationen, die wiederum aus deutschen Steuergeldern finanziert werden.

Der Vorsitzende des Zentralrats, Josef Schuster, argumentiert in der aktuellen Debatte wenig überzeugend: Die IHRA-Definition (also die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance, d. Red.) sei zu bevorzugen, weil sie „von fast allen demokratischen Staaten der Welt anerkannt“ wurde. Doch Mehrheiten sind kein Beweis für Richtigkeit. Und die Struktur eines „demokratischen Staats“ ist kein Garant für eine richtige Handlung. Großbritannien oder die USA schlossen während des Holocausts jüdische Flüchtlinge aus und schickten sie zurück – viele in den Tod. 

Achtzig Prozent gegen Waffenlieferungen

Was sich hier abzeichnet, ist mehr als ein innerparteiliches Ringen. Es ist ein Spiegel gesellschaftlicher Verschiebungen. Trotz aller Bemühungen gelingt es Israel und seinen Unterstützern nicht mehr, die systematische Tötung von Zivilisten, die Bombardierung von Krankenhäusern und Universitäten oder das Leid von Müttern in Gaza als „Verteidigung“ zu verkaufen.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die israelische Regierung verstärkt auf Lobbyarbeit in Europa setzt – insbesondere in Deutschland, wo sie mit Organisationen wie der Deutsch-Israelischen Gesellschaft oder der Bildungsstätte Anne Frank fest verankert ist. Auch hier findet jedoch ein Umdenken statt: Laut Umfragen sprechen sich rund 80 Prozent der Deutschen gegen Waffenlieferungen an Israel aus, und auch die staatsnahe Berichterstattung ändert langsam den Ton. 

Die Reaktion des Zentralrats – lautstark, aber argumentativ dünn – zeigt: Die Deutungshoheit gerät ins Wanken. Die israelische Regierung, die sich lange als moralisch unantastbar inszenierte, steht zunehmend unter globalem Druck. Auch in Deutschland wird sichtbar: Man kann nicht alles vermarkten. Kein Budget der Welt kann die menschliche Psyche – das Mitgefühl für eine Mutter, die ihr in Leichentücher gewickeltes Kind umarmt – so korrumpieren. Das ist der Ursprung all unserer Begriffswelt: die angeborene, instinktive Sehnsucht nach der nährenden Brust. Jede:r von uns hat eine Mutter. Ein Herz. Auch wenn der Zentralrat möchte, dass wir es abschalten, wenn es ihm passt – so funktioniert das mit Menschen nicht.

Text: Iris Hefets. Die Autorin ist stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden.
Der Beitrag erschien zuerst in der Juni-Ausgabe der
Sozialistischen Zeitung SoZ. Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung!
Foto: pw

3 Kommentare

  1. Pauli heinzelmann

    // am:

    Als ich Schuljunge war, waren Deutschland und Frankreich nach 2 Weltkriegen immer noch Todfeinde, bis Staatspräsident Charles de Gaulle die Hand ausstreckte zur Aussöhnung zwischen Deutschland und Ftankreich und ein Vertrag die Freundschaft besiegelte.

  2. ChristinaHerbert-Fischer

    // am:

    Zu Herrn Faulhaber
    Nun die täglichen Nachrichten des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks reichen auch schon. Was dort abgeht hat jede Verhältnismäßigkeit verloren. Dazu braucht man nicht Pro-Palästina sein, um das zu sehen. Die in Teilen rechtsradikale Regierung sollte nicht mehr mit Waffen unterstützt werden, sondern die demokratischen Kräfte in Israel. Das Existenzrecht Israels hat für Deutschland besondere Bedeutung, das heißt aber nicht, dass es in Ordnung ist bei dieser Katastrophe sprachlos zuzusehen, genauso wenig wie bei dem Massaker vom 7.Oktober.
    Die Jerusalemer Erklärung ist kein antisemitisches Machwerk, sondern eine alternative und kluge Definition.

  3. Norbert Faulhaber

    // am:

    Der Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 war ein beispielloser Zivilisationsbruch. Wer glaubt, das nicht unterschreiben zu können, muss es sich, denke ich, mit Recht gefallen lassen, als „Antisemit“ bezeichnet zu werden. Aber mit einem legitimen Verteidigungskrieg hat das, was die israelische Armee in Gaza macht, nicht das Geringste mehr zu tun – das ist nichts anderes als ein einziges monströses Kriegsverbrechen. Wer’s nicht glaubt, sollte sich mal nur für fünf Minuten die Nachrichten auf „Al Jazeera“ (ist im Konstanzer TV-Kabelnetz) ansehen – wem es bei diesen Bildern nicht den Magen umdreht, dem ist nicht mehr zu helfen…

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