
Nach dem Scheitern der Weltklimakonferenz im brasilianischen Belém schieben die EU und die deutsche Regierung anderen Staaten die Schuld zu. Dabei ignorieren sie selber die katastrophalen Folgen ihrer Handelsdeals – wie die aktuellen Auseinandersetzungen um das EU-Mercosur-Abkommen zeigen.
Seit Jahren informiert das Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel über das geplante Abkommen der Europäischen Union mit den südamerikanischen Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Seine Mitglieder bauen regelmäßig Infostände auf, verteilen Flyer, werben für Unterschriftenaktionen und setzen sich seit über elf Jahren intensiv mit der EU-Handelspolitik auseinander (seemoz berichtete).
Sie und viele andere Organisationen und Initiativen der Zivilgesellschaft hatten in der vergangenen Zeit etliche Rückschläge erlebt (wie die deutsche Ratifizierung des EU-Kanada-Abkommens CETA mit Hilfe der Grünen), einige Erfolge feiern können (wie den Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag) und sich immer wieder mit Ausreden, Falschmeldungen und der Geheimhaltungspolitik der EU-Spitze herumschlagen müssen. Aber was sie jetzt erfuhren, verblüffte sie dann doch.
Denn am vergangenen Freitag widersetzte sich das Präsidium des EU-Parlaments einem Antrag, das seit über 25 Jahre verhandelte EU-Mercosur-Abkommen nicht zur Abstimmung zuzulassen. Zur Erinnerung: Vor einem Jahr hatten die EU-Kommission und die Regierungen der Mercosur-Staaten beschlossen, den Deal noch in diesem Jahr zu unterzeichnen; das EU-Parlament sollte Anfang 2026 nur noch zustimmen.
EU stoppt Parlamentsinitiative
Doch dann brachte eine Gruppe von 145 EU-Abgeordneten – vornehmlich aus dem linken Lager, aber unterstützt von Mercosur-kritischen Liberalen, Sozialdemokrat:innen und Christdemokrat:innen aus Ländern wie Frankreich, Polen, Irland und der belgischen Region Wallonien – am vergangenen Donnerstag eine Resolution ein: Vor der Ratifizierung solle der Europäische Gerichtshof prüfen, ob die Inhalte des geplanten Vertrags mit geltendem Recht übereinstimmen.
Klauseln im Deal könnten die Möglichkeit der EU-Staaten einschränken, neue Umwelt- oder Gesundheitsvorschriften einzuführen, argumentieren die MEPs. Außerdem dürfe die Kommission die nationalen Parlamente nicht umgehen (wie das Nachrichtenportal euractiv berichtete. Die Abstimmung über die Resolution war für Montag dieser Woche vorgesehen.
Nur einen Tag später jedoch, am vergangenen Freitag, stoppte die maltesische EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola von der konservativ-christdemokratischen Partit Nazzjonalista den Antrag: Die Abstimmung müsse zuerst vom EU-Rat genehmigt werden. Beobachter:innen sehen in dieser Entscheidung ein „bisher beispielloses Vorgehen“ – und das in einem Parlament, das ohnehin nur beschränkte Befugnisse hat. Offenbar befürchten die EU-Oberen eine lange Verzögerung: Wäre die Resolution an diesem Montag vom EU-Parlament angenommen worden und hätte sich das Gericht für eine Annahme entschieden, würde sich die Zustimmung des Parlaments verschieben, bis ein Rechtsgutachten vorliegt. Und das könnte Jahre dauern.
Kleinbäuer:innen gegen das Industriekapital
Trotz der verschobenen Abstimmung demonstrierten am Montag mehrere Organisationen in Straßburg gegen das EU-Mercosur-Abkommen – darunter der französische Bäuer:innen-Verband Confédération paysanne und die deutsche Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), beides Mitgliedsorganisationen des internationalen Kleinbäuer:innen-Bündnisses Via Campesina, das sich seit jeher für eine nachhaltige Agrarpolitik einsetzt.
Ihre Befürchtung: Vom Deal profitieren vor allem europäische Großunternehmen und in den Mercosur-Staaten operierende Agrarkonzerne. Die einen exportieren noch mehr fossil betriebene Kraftfahrzeuge, Maschinen und Chemikalien (darunter in der EU verbotene Pestizide) in den Süden. Und die anderen liefern in größerem Umfang quasi-industriell und monokulturell erzeugte Waren wie Rindfleisch, Agrosprit, Gentech-Produkte und pestizidverseuchte Nahrungsmittel nach Europa. Für die benötigten Weideflächen und Plantagen müsse und werde aber noch mehr Regenwald abgeholzt – von der absehbaren Vertreibung der indigenen Gemeinschaften ganz zu schweigen.
Andere zivilgesellschaftlichen Organisationen wie attac, BUND, der Dachverband Entwicklungspolitik Baden-Württemberg, Fridays for Future, Greenpeace, der NABU, das Netzwerk Gerechter Welthandel, die Naturfreunde Deutschland, PowerShift und das Umweltinstitut München teilen diese Kritik. Und haben am Montag einen Aufruf veröffentlicht, der die Bundesregierung auffordert, „Verantwortung für die Zukunft unseres Planeten zu übernehmen“. Unterschrieben hat ihn auch das Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel.
Druck von unten
Wie geht es weiter? Noch hoffen die kritischen MEPs, eine parlamentarische Abstimmung über ihren Antrag vor der endgültigen Zustimmung der EU-Mitgliedstaaten im Dezember durchzusetzen – und auch da ist unklar, wie viele Staaten das Abkommen befürworten. Dazu brauchen die Freihandelsbefürworter:innen wie die Regierung in Berlin die Zustimmung von Regierungen, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Sollten Länder wie Frankreich, Polen, Irland, Belgien, Italien und Österreich mit ihren aktiven Bäuer:innen-Verbänden – wie immer wieder vermeldet – dagegen votieren, wäre das Abkommen Geschichte.
Doch so weit wird es die Kommission mit ihren Tricks und Regelverstössen kaum kommen lassen. Schließlich verliert die EU, siehe das magere Ergebnis der Klimakonferenz, auch aufgrund ihrer bisherigen neokolonialen Haltung etwa bei Handelsverträgen international zunehmend an Einfluss. So kommt sie beispielsweise beim einst mit afrikanischen Staaten geplanten Economic Partnershop Agreement (EPA) aufgrund des Widerstands vieler Länder nicht vom Fleck. Also versucht sie, mit dem Mercosur-Abkommen ein Zeichen zu setzen.
Und das Konstanzer Bündnis? Es wird weitermachen, informieren, präsent sein. Vielleicht nicht nächste Woche. Aber bald wieder mit einem Infostand auf dem Wochenmarkt.
Transparenzhinweis: Der Autor ist Mitglied im Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel


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