01 1 Stadtseniorenrat Konstanz © Zur Verfügung gestellt vom Stadtseniorenrat

Das Alter hat auch verdammt schöne Momente (I)

Stadtseniorenrat Konstanz © Zur Verfügung gestellt vom Stadtseniorenrat
Stadtseniorenrat Konstanz

Der Anteil der älteren Menschen an unserer Bevölkerung wird auch in den nächsten Jahren ständig weiter zunehmen. Doch die Gesellschaft ist darauf schlecht vorbereitet. Im Gespräch mit Harry Fuchs und Thomas Sturm vom Konstanzer Stadtseniorenrat geht es um Chancen und Herausforderungen für ältere Menschen in einer Umgebung, in der für sie weniger Platz als für frühere Generationen ist.

Teil 1, die weiteren Teile: Teil 2, Teil 3, Teil 4

seemoz: Alle Konstanzer*innen ab 60 dürfen alle fünf Jahre den Stadtseniorenrat wählen, die Wahlbeteiligung lag beim letzten Mal bei 33 Prozent. Anscheinend wissen viele noch gar nicht, was der Stadtseniorenrat eigentlich alles tut oder zumindest tun will.

Harry Fuchs: Wir zehn Rät*innen werden auf fünf Jahre gewählt. Unsere Gesellschaft altert bekanntlich, deshalb vertreten wir mittlerweile schon mehr als ein Viertel der Bevölkerung. In der aktuellen Besetzung sind wir jetzt seit Winter 2020 aktiv, 2025 finden also Neuwahlen zum Stadtseniorenrat statt. Das ist eine Briefwahl, und dabei würden wir es auch gern belassen, weil viele der älteren Menschen, gerade jene ab 80, digital nicht so erfahren sind, dass eine Abstimmung im Internet wirklich sinnvoll wäre. Natürlich ist so eine Briefwahl teuer, aber sie erreicht unsere Altersgruppe komplett.

seemoz: Wo liegen denn Ihre Schwerpunkte?

Thomas Sturm: Wir versuchen, uns nur Themen vorzunehmen, bei denen wir tatsächlich etwas bewirken können. Es geht uns daher vor allem um die drei Bereiche Mobilität, Gesundheit/Pflege und Wohnen. Wir versuchen vor allem, tatsächlich etwas zu bewegen. Immer nur dagegenzuhalten und zu kritisieren, macht keinen Sinn, denn damit könnten wir nichts verändern.

Harry Fuchs: Als wir 2020 gewählt waren und unsere Arbeit beginnen sollte, hatten wir das Riesenpech, dass gerade Corona herrschte und alles geschlossen war. Also haben wir mit Video-Konferenzen begonnen. Aber solche Konferenzen sind einfach Mist. Man kann sich per Video zwar vielleicht gerade noch irgendwie abstimmen, aber wenn sie sich vernünftig über Themen unterhalten wollen, ist das einfach nicht möglich. Also haben wir uns bereits im Spätsommer 2021 leibhaftig getroffen. Da haben wir uns zum ersten Mal persönlich ein wenig kennengelernt, mit nur zwei Ausnahmen kannten wir uns ja vorher nicht. Wir haben uns dann überlegt, wie wir in dieser Gruppe zusammenarbeiten wollen und können. Also haben wir uns als Motto „Dem Alter mehr Würde geben“ ausgesucht. Das ist eine gute Beschreibung dessen, was wir erreichen wollen.

seemoz: Haben Sie ein paar konkrete Beispiele für Ihre Arbeit?

Thomas Sturm: Wir hatten zum Beispiel die Idee, in Konstanz die öffentlichen Toiletten vernünftig zu kennzeichnen, sodass Menschen sie schnell finden können. Das ist ein wirkliches Problem im Alter, zumal wenn Sie in keine Gaststätte gehen und betteln wollen oder zu Zeiten, wenn die Kaufhäuser mit ihren Toiletten geschlossen sind. Immerhin gibt es 17 öffentliche Toiletten im Stadtgebiet und in Petershausen.

Ich habe dieses Thema dann im Bürgerbüro angesprochen und nur mal aus Spaß gefragt, wo denn die nächste öffentliche Toilette sei. Da mussten selbst die auf dem Bürgerbüro ganz schön überlegen.

Harry Fuchs: Als nächstes kam das Thema Fußwege, also etwa die Frage, wie man sich mit Rollatoren in der Stadt fortbewegen kann, wie hoch die Bordsteine sind usw. Dabei hat sich auch Frau Polina Vorobyeva, die Fußgängerbeauftragte der Stadt, eingeschaltet, später kam dann auch Herr Markus Heier dazu, der bei der Stadt für die Fußwege selbst zuständig ist.

01 2 Polina Vorobyeva, Markus Heier (beide Stadtverwaltung), Christiane Kreitmeyer (FGL), Irene Heiland (Stadtseniorenrat) © Zur Verfügung gestellt vom Stadtseniorenrat
Polina Vorobyeva, Markus Heier (beide Stadtverwaltung), Christiane Kreitmeyer (FGL), Irene Heiland (Stadtseniorenrat)

Wir haben nach einiger Zeit festgestellt, dass wir bei solchen Gelegenheiten auch unsere eigenen Erfahrungen weitergeben konnten. Leider hat das nicht immer gefruchtet. Zum Beispiel wurde jetzt auf dem Friedhof neu gepflastert, und dafür wurden die kleinen Steinchen genommen, die der ekelhafteste Belag für den Rollator sind, weil sie besonders viele Fugen haben. Daran denkt natürlich niemand.

01 3 Rollatorfeindliche Pflasterung auf dem Friedhof © Zur Verfügung gestellt vom Stadtseniorenrat
Rollatorfeindliche Pflasterung auf dem Friedhof

Thomas Sturm: Es wäre uns lieber, wenn wir frühzeitig hinzugezogen würden und sagen könnten, bitte plant auch aus unserer Sicht. Nehmen wir als Beispiel den Bahnhof, da sind wir erst in der Bürgerbeteiligung zu Wort gekommen, als die Pläne also praktisch schon fertig waren. Wenn jemand, der schlecht sieht, der Blindenleitplanke folgen soll, muss er mit der Kirche ums Dorf laufen. Das ist einfach nicht durchdacht.

Harry Fuchs: Jetzt warten wir auch mal ab, wie das mit der Schräge wird, die die Niveauunterschiede ausgleichen soll. Diese Schräge ist zwar nach den Vorschriften zulässig, und auch der städtische Behindertenbeauftragte Stephan Grumbt sagt, diese paar Prozent gehen. Aber wenn Sie einmal mit einem Rollator ein ganzes Stück auf einer Schräge gelaufen sind, wissen Sie, wie anstrengend es ist, mit dem Rollator dauernd gegenhalten zu müssen. Noch schlimmer ist es, wenn Sie einen Rollstuhl schieben und dann ständig mit dem Rollstuhl gegen die Schräge anschieben müssen. Das geht quasi immer bergauf. Wenn Sie das mal probiert haben, dann fragen Sie sich, ob man das nicht auch anders hätte lösen können.

Thomas Sturm: Wir sind auch auf die Idee gekommen, dass Gehen das Eine ist und Sitzen das Andere. Natürlich sind hier und da Sitzgelegenheiten vorhanden, aber trotzdem findet man oft keine, wenn man sie braucht. Also haben wir uns die Stadt angeschaut und 80 mögliche Plätze für Sitzgelegenheiten aufgelistet. Die Stadt hat uns gesagt, dass wir uns erst mal auf 15 Plätze beschränken sollen.

Harry Fuchs: Ein anderer, besonders wichtiger Punkt der Mobilität sind gerade für ältere Menschen die Bushaltestellen. Die meisten sind noch nicht barrierefrei ausgestattet. Viele haben außerdem keinen vernünftigen Wetterschutz, also z.B. kein Häuschen, und es ist kein Vergnügen, in Regen, Schnee oder der prallen Sonne herumzustehen.

Aber was nützt mir das allerschönste Häuschen, wenn ich abends nach 21:00 Uhr nur noch einmal in der Stunde in die Vororte komme? Ein Kulturangebot endet nun mal nicht um 20:48 Uhr, so dass ich noch schnell auf dem Bus laufen kann, sondern das dauert länger, und wenn ich Pech habe, warte ich dann eine geschlagene Stunde auf den Bus.

Thomas Sturm: Ich fand die Reaktion der Behörden auf uns als neuen Stadtseniorenrat damals ganz interessant. Viele haben uns zuerst als Feinde oder zumindest als Störenfriede, penetrante Nachbohrer oder als völlig überflüssig betrachtet. Als sie gemerkt haben, dass wir konstruktive Vorschläge unterbreiten, wurde die Zusammenarbeit mit der Zeit besser. Sie haben gesehen, dass wir Pläne und Verbesserungsvorschläge eingereicht haben und nicht vorhaben, Ihnen ständig ans Bein zu pinkeln. Wir versuchen, konstruktiv zu arbeiten, und das hat die Situation erheblich verändert und entspannt.

Harry Fuchs: Wir werden in der Verwaltung wahrgenommen, und man hört auch hin. Das geht hinauf bis in die Amtsspitze, wir stoßen dort auf offene Ohren. Natürlich kommen wir nicht mit all unseren Anliegen durch, aber viele Entscheidungen trifft letztlich der Gemeinderat.

Thomas Sturm: Ich finde es immer interessant, wenn wir mit Kommunalpolitikern reden. Sie sind freundlich, sie sind aufgeschlossen und hören uns zu. Wenn wir dann aber fragen, was auf diesem oder jenem Feld geschehen ist, dann heißt es, das notiere ich mir jetzt mal und nehme es mit. Und dann passiert häufig nichts mehr.

seemoz: „Das nehme ich mit“ ist oft nur eine höfliche Version von „Leck‘ mich“.

Weitere Informationen

Das Gespräch führte Harald Borges, die Fotos stellte der Stadtseniorenrat zur Verfügung.

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