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Braver Wahlkampf im Stadttheater

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Auf der großen Bühne des Stadttheaters präsentierten sich vor ca. 300 Zuhörer:innen Kandidat:innen der acht Parteien und Gruppierungen, die zur Konstanzer Gemeinderatswahl antreten. Eingeladen hatte der Südkurier, dessen Lokalchef Jörg-Peter Rau das „Stadtgespräch“ moderierte.

In der Runde sitzen einmal nicht altgediente Gemeinderät:innen, sondern Neulinge, nämlich die auf ihren jeweiligen Listen Bestplatzierten, die dem aktuellen Gemeinderat nicht angehören. Das bringt neue Gesichter und manchmal erfrischende Beiträge, die noch nicht von Detailkenntnis, Fraktionsdisziplin und langjähriger Übung in öffentlichen Auftritten glattgeschliffen sind. Nachteil des Formats ist jedoch, dass man die hehren Versprechen und Absichten der um Wählerstimmen Werbenden nicht mit ihrem tatsächlichen Abstimmungsverhalten in vergangenen Ratssitzungen vergleichen kann.

Ein Wutbürger gegen alle

Nach der Vorstellungsrunde eröffnet Jörg-Peter Rau das „Stadtgespräch“ mit der Frage an Lisa Kreitmeier (Grüne), was sie denn von den Social-Media-Posts des neben ihr platzierten Michael Blümm (KN kommt) halte. Die bekennt freimütig, die Posts des KN-Kommt-Spitzenkandidaten nicht zu kennen.

Zwar gereicht es einer aufrechten Demokratin – Kreitmeier engagiert sich beim Bündnis für Demokratie – zur Ehre, keine Facebook-Followerin ihres rechtslastigen Konkurrenten zu sein. Allerdings waren dessen wutbürgerische Entgleisungen auch schon Thema auf seemoz und im Südkurier, Medien also, die eine Lokalpolitikerin in spe durchaus lesen sollte. Was soll’s. Kreitmeier umschifft ihre Unkenntnis eloquent und beweist damit eine für Politiker:innen wichtige Qualität, nämlich auch Fragen beantworten zu können, die frau eigentlich nicht beantworten kann.

Wahlkampf Kandidatenbild 2 H.reile
Lisa Kreitmeier, Michael Blümm

Der Moderator ist nun genötigt, selbst die grenzwertigen Äußerungen Blümms in den Raum zu stellen. Der schrieb vom „verlogenen Pack der AltParteien“, das bei der nächsten Wahl entsorgt werden müsse, und stellte Olaf Scholz in eine Reihe mit Adolf Hitler. „Herr Blümm, stehen Sie dazu?“ Unruhe kommt auf, Buhrufe aus dem Publikum, Zwischenrufe vom Podium. Blümm, nervös die Hände reibend, appelliert an demokratische Gepflogenheiten, man müsse ihm hier doch Raum geben, sich zu erklären. Und wiegelt ab. Mit „entsorgen“ habe er ja nur abwählen gemeint, nicht mehr.

Wohnraum für alle. Aber wie?

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Jörg-Peter Rau

Rau könnte nun nachhaken, weshalb Blümm fürs Abwählen das Framing der Müllbeseitigung gewählt habe (von der Müllverbrennung zur Gaskammer ist es ja technisch wie gedanklich nur ein kleiner Schritt, zumal wenn der Name Hitler mit im Spiel ist). Macht er aber nicht und wendet sich stattdessen einem Thema zu, das die Stadt seit langem umtreibt: Überhöhte Mieten und Wohnraumknappheit!

Auf die Frage, was denn bezahlbare Mieten seien, mag sich niemand so recht festlegen. Die SPD-Kandidatin Petra Rietzler verweist immerhin darauf, dass manche heute mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Miete ausgeben müssten, und das sei entschieden zu viel. Wolfgang Moßmann (Linke Liste) fordert für alle Bauvorhaben pauschal eine Quote von 50 Prozent sozialer Wohnungsbau, also gefördert und mietpreisgedeckelt für Einkommensschwache.

Wie zu erwarten sind alle Kandidat:innen fürs Bauen und dafür, dass es schneller gehen müsse. Doch wie kommt man dahin? Während die Runde nach der Distanzierung von den Blümmschen Entgleisungen (siehe oben) im weiteren Verlauf des Abends meist recht pfleglich miteinander umgeht, greift Rietzler hier die Grünen scharf an: Sie würden, gemeinsam mit Interessengruppen (gemeint sind wohl Bürgergemeinschaften und Naturschutzverbände) das Erschließen neuer Baugebiete oft verzögern und blockieren.

CDU-Wähler aufgepasst!

Aufhorchen lässt die Meinung von Sabine Feist, die hier wohl mehr als Architektin denn als CDU-Frau spricht: Einfamilienhäuser seien definitiv out und es bedürfe einer Bodenbevorratung, also des Ankaufs von Grundstücken durch die Kommune. Hört! Hört! Solche Politik ist in der Tat auf lange Sicht, beispielhaft Ulm oder gar Wien, die beste Mietpreisbremse. Feist, die auch in anderen Bereichen mit der besten Sachkenntnis auf dem Podium punktet, war bereits von 2014–2019 Gemeinderätin. In ihre Amtszeit fielen die Sündenfälle Laubenhof und Bückle-Areal, als die Stadt mit Zustimmung der CDU-Fraktion ohne Not große Flächen privaten Investoren überließ. Ob sich hier ein Gesinnungswandel abzeichnet und in konkreten Entscheidungen manifestieren wird?

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Sabine Feist, Sonali Mhalas-Bartels, Petra Rietzler, Svetlana Wiedenbeck

Nichts Neues zum Verkehr

Beim Thema Verkehr bewegt sich die Diskussion in den bekannten Bahnen. Die Bürgerlichen bis hin zur SPD wollen keine Parkplätze streichen und halten nichts vom Ausweiten der Tempo-30-Zonen; Linke, Grüne und Junges Forum wollen das Gegenteil. Manfred Hensler (FDP) plädiert für Tempo 40, denn man dürfe den Bürger nicht überfordern. Die Litzelstetterin Sonali Mhalas-Bartels (Freie Wähler) wünscht sich einen Viertelstunden-Takt für die Busanbindung der Vororte, Wolfgang Moßmann fordert einen kostenlosen ÖPNV oder wenigstens das 1-Euro-Ticket wie in Radolfzell. Vorschläge, wie das zu finanzieren sei, machen beide nicht.

Moderator Jörg-Peter Rau versäumt an dieser Stelle, die Kandidat:innen nach ihrer Haltung zu einem Mobilitätspass zu fragen. Nach den Plänen der Landesregierung sollen die Kommunen nämlich die Möglichkeit bekommen, von Einwohner:innen oder KfZ-Halter:innen eine Abgabe zur Verbesserung der kommunalen ÖPNV-Systeme erheben.

Ideen zum Zähringerplatz

Stattdessen fragt Rau nach konkreten Verbesserungsvorschlägen für den Zähringerplatz, wo sich vor den Ampeln regelmäßig Fußgänger:innen und Radler:innen in die Quere kommen, weil es zu wenig Aufstellflächen gibt. Kreitmeier, Hensler und Feist empfehlen einen Kreisverkehr. Und wissen dabei nicht um die Argumente, mit denen ein solcher erst im letzten Herbst von der Verwaltung und der Mehrheit des Technischen und Umweltausschusses abgelehnt wurde. Man arbeite an einer alternativen Lösung, ließ damals der städtische Radbeauftragte Gregor Gaffga verlauten. Und arbeitet daran wohl immer noch, denn seither hat man nichts mehr dazu gehört.

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Svetlana Wiedenbeck, Manfred Hensler, Wolfgang Moßmann

Moßmann schlägt vor, die von der Uni über die Friedrichstraße kommenden Radler weiter östlich und dann über die Allmannsdorfer Straße auf den Platz zu leiten. Immerhin mal eine neue Idee. Utopisch-grotesk dagegen der Vorschlag von Michael Blümm („Ich habe lange in München gelebt“), den Zähringerplatz mit einer Einkaufsmeile zu untertunneln. Die zwar radikale, doch preiswerte Lösung, Tempo 20 und Radler wieder zurück auf die Straße, kommt keinem in den Sinn.

Wie hast du’s mit den Steuern?

Zuletzt: Die Steuern. Höchst unbeliebt beim Wahlvolk. Nur Wolfgang Moßmann spricht sich pauschal dafür aus, Besserverdiener:innen mehr und Geringverdiener:innen weniger zur Kasse zu bitten. Auf die Frage an die Kandidat:innen, wie man/frau zu höheren Grund- oder Gewerbesteuern stehe, geht er nicht weiter ein.

Alle anderen auf dem Podium sind klar dagegen, die Finanznot der Kommune mit Steuererhöhungen zu lindern. Die üblichen Argumente: Unternehmen würden dann abwandern und die Grundsteuer müssten letztlich die Mieter:innen zahlen. Dabei wählen Betriebe den Standort Konstanz gewiss nicht wegen eines besonders günstigen Gewerbesteuer-Hebesatzes. Und die nach einem Verfassungsgerichtsurteil neu justierte Grundsteuer trifft künftig weniger die mehrgeschossigen Blocks mit Mietwohnungen, sondern die Einfamilienhäuser. Warum also von denen, die privilegiert sind, nicht mehr fordern?

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Was hat’s gebracht?

Nicht abgefragt wurden an diesem Abend Ideen, wie Konstanz auf die Klimakrise reagieren könne. Moderator Jörg-Peter Rau entschuldigte dies mehr schlecht als recht mit dem Hinweis, beim Verkehr sei es ja irgendwie auch ums Klima gegangen, und außerdem habe es früher schon mal ein „Stadtgespräch“ zur Klimakrise gegeben. So blieb es den Kandidat:innen auf dem Podium erspart, zur zentralen Frage unserer Zeit Farbe zu bekennen.

Fazit nach zwei Stunden: Alle wollen mehr Grün, mehr bezahlbaren Wohnraum und weniger Verkehr. An wenigen Stellen auch neue Ideen, von denen sich noch zeigen muss, ob sie in den jeweiligen Fraktionen oder gar im Gemeinderat mehrheitsfähig sein werden.

Hilfen, um für die Richtigen zu stimmen

Wer sein Kreuzchen auf dem Wahlzettel nicht pauschal bei einer der antretenden Parteien und Gruppierungen machen will, sondern ausgiebig zu kumulieren und panaschieren gedenkt, dem sei zur Entscheidungsfindung die aufschlussreiche Wahlorientierung der Umweltverbände empfohlen. Sie hat zu 30 Fragen die Meinung von mehr als hundert Gemeinderatskandidat:innen evaluiert.

Text: Ralph-Raymond Braun, Transparenzhinweis: Der Autor kandidiert selbst auf Platz 29 der Linken Liste für den Gemeinderat. Bilder: Ralph-Raymond Braun, H. Reile

Eine Antwort

  1. Constanze Pfeiffer

    // am:

    das zweite Foto mit dem Kandidaten B., aber auch das Gruppenfoto darüber ist ein besonders gelungenes Beispiel für manspreading-in Kombination mit seinem leicht selbstgefälligen Grinsen quasi unschlagbar und ein Fall fürs Lehrbuch :-)

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