
Zum „Internationalen Tag für die Beseitigung der Armut“ am 17.10. erreichte uns folgender Beitrag, der die Erfahrungen und Gedanken einer Frau wiedergibt, die seit einiger Zeit in Konstanz Pfandflaschen sammelt.
Heute ist der Himmel grau und bewölkt. Perfekt für einen trüben Tag Mitte Oktober. Wo es doch eigentlich heißt, dieser Monat sei golden. Dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass es am späten Nachmittag doch noch sonnig wird und die Temperatur die Menschen einlädt, ausgiebig spazieren zu gehen. Denn das bedeutet für mich nicht nur einige wunderbare Sonnenstrahlen gratis, sondern im besten Fall einige Pfanddosen und Pfandflaschen, die von mir eingesammelt werden möchten. Dass ich diesen harten Job bei jedem Wetter und von montags bis samstags nun seit eineinhalb Jahren ausüben würde, hätte ich nie gedacht.
Davor lebte ich in überwiegend stabilen finanziellen Verhältnissen, ging arbeiten und bekam mein monatliches Gehalt wie andere Mitmenschen auch. Durch anhaltendes Mobbing wurde ich nach ausführlicher Beratung und auf ärztlichen Rat zur Eigenkündigung gezwungen. Obendrein kam noch eine einjährige Krankschreibung inklusive einer Operation dazu, und ich verlor nach und nach die monetäre Konstanz in Konstanz, zumal ich an meiner neuen Arbeitsstelle aus gesundheitlichen Gründen nur in Teilzeit tätig sein konnte. Die rückwirkende Auszahlung meines Krankengeldes machte mich zusätzlich total gaga, so dass ich finanziell zu oft auf die sehr hilfsbereite Unterstützung von Bekannten und Freunden angewiesen war. Ich gebe es ungern zu, doch ich kam finanziell knapp bis gar nicht über die Runden, so dass ich an einem heißen Sommertag im vergangenen Jahr beschloss, als Hilfe zur Selbsthilfe mein „privates Umweltprojekt“ aus meiner Ausbildungszeit, wo ich nur ab und zu Pfandsammeln ging, wieder aufleben zu lassen.
Wenn ich, ausgerüstet mit einer grünen Baumwolltasche, die natürlich auch Pfand hat, unterwegs bin, sehe ich fast jeden Tag neue Gesichter, die wie ich Pfand sammeln. Männer wie Frauen. Die Not und Armut sind groß, obwohl das manche Mitmenschen nicht sehen oder wahrhaben wollen. Zwar gibt es (aufstockend) Bürgergeld und andere Sozialleistungen sowie tolle karitative Einrichtungen, die sich um die Hilfsbedürftigen kümmern. Doch jeder Mensch hat seine individuellen Bedürfnisse und Wünsche, und dass die meisten Dinge teurer geworden sind, brauche ich hier eigentlich nicht zu schreiben.
Als ich das erste Mal in einen großen Mülleimer langte, um dort Pfanddosen herauszuholen, schämte ich mich abgrundtief. Inzwischen habe ich mich längst an den ein oder anderen verwunderten bis abwertenden Blick gewöhnt und denke, dass diese Person in meiner Situation eventuell auch nichts anderes tun würde. Umso mehr freue ich mich aufrichtig und bin dankbar für die bisher überwiegend positiven und solidarischen Begegnungen mit meinen Mitmenschen. Zum Beispiel bekam ich einmal beim Aldi Pfandflaschen geschenkt oder durfte auf Nachfrage eine Coladose bei einem Kebab Imbiss mitnehmen. Auch freue ich mich, wenn die Leute ihr Pfand neben den Mülleimer stellen und nicht zerdrückt in den Abfall werfen.
Für mich ist Pfand zu sammeln wie ein festes Arbeitsverhältnis, weil es mir eine Tagesstruktur und einen Sinn im Leben gibt. Pfand aus Plastik oder Glas gehört ja definitiv nicht in die Umwelt. Am Ende meiner Pfandrunden spende ich den Pfandbon meiner paar Glasflaschen an die Tafel, ein Ritual, das mir persönlich am Herzen liegt, weil meine prekäre Situation wenigstens ein bisschen etwas Gutes bewirken soll. Je nachdem kaufe ich Vogelfutter für die stets hungrigen Konstanzer Stadttauben und fülle das Vogelhäuschen im Stadtgarten für die friedlichen Tiere auf, die es im Leben ebenfalls schwer haben. Abends bin ich meistens erschöpft, denn stundenlang Pfand zu sammeln ist körperlich anstrengend. Laufen, bücken, strecken, hoch, runter, links und rechts. Das ideale Fitnessprogramm. Und das kostenlos.
Was andere Pfandsammler:innen mit dem Geld machen, weiß ich nicht, und ich habe auch bisher noch niemanden gefragt. Wenn die Person davon Alkohol, Zigaretten oder gar illegale Drogen kauft, ist das deren Problem. Selbst hatte und habe ich damit nichts zu tun. Anstatt Alkohol gibt es ab und zu eine Cola Zero und anstatt Gras meinen veganen Lieblingsjoghurt. Im Vergleich zum Sommer ist es in dieser herbstlichen Zeit deutlich weniger, was an Pfand herumsteht oder herumliegt. Dennoch bin ich jedes Mal dankbar und fühle mich vom Himmel reich beschenkt. Vor allem, wenn eine oder mehrere Pfanddosen irgendwo herumstehen und auf mich zu warten scheinen. Oder ich doch unerwartet erfolgreicher bin als gedacht. Danke für die wunderbaren Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Danke, dass ich noch eine kleine Hoffnung habe, dass es mir bald wieder finanziell gut gehen wird und ich nicht täglich mit Geldsorgen aufwachen muss.
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