Demo gegen rechts 2024 06 07 konstanz © pit wuhrer

Der Aufstieg der extremen Rechten (3): Wie die Politik hilft

Von Manuel Oestringer
Demo gegen rechts 2024 06 07 konstanz © pit wuhrer
Demo gegen rechts in Konstanz, Juni 2024 (© pw)

Der Anstieg der Rechten mag stark in wirtschaftlichen Sorgen wurzeln, ist aber letzten Endes ein politischer Prozess. Wirtschaftliche und soziale Veränderungen alleine führen vor allem dann zu Wut und zu einer Anfälligkeit für populistische Parolen, wenn die etablierte Politik falsch reagiert. Oder gar nicht.

Nahezu alle Akteur:innen, die den Aufstieg der Rechten verhindern wollen, mobilisieren mit Slogans wie „Demokratie verteidigen“. Dies unterstellt, dass wir aktuell in einer Demokratie leben, in der sich jede:r einbringen kann. Ein großer Teil der unteren Einkommensschichten hat dieses Gefühl nicht.

Das kommt nicht von ungefähr. In der Tat hat der überwiegende Anteil der Bevölkerung nahezu keinen Einfluss auf die Politik. Politische Entscheidungen werden nur getroffen, wenn sie die Zustimmung der reichsten Menschen haben.

Diese Entwicklung ist nicht neu. Es war wahrscheinlich schon immer so. Demokratie im Kapitalismus ist letztendlich ein Widerspruch, denn „die Kapitalistenklasse verfügt über zahlreiche Mittel, um als herrschende Klasse über den Staat zu bestimmen, selbst im Falle einer liberalen demokratischen Ordnung“. Das schrieb kürzlich der Soziologe John Bellamy Foster in einem Beitrag für die Zeitschrift Monthly Review. Und weiter: „Im Kapitalismus kann kein politisches Regime überleben, wenn es nicht den Interessen des Profits und der Kapitalakkumulation dient – eine allgegenwärtige Realität, mit der alle politischen Akteure konfrontiert sind.“ Was jedoch nicht bedeutet, dass die Einführung des allgemeinen Wahlrechts kein riesiger Sprung nach vorne war.

Neu hingegen ist, dass die Mängel der Demokratie offensichtlicher und vielleicht auch stärker geworden sind. Ausgelöst durch die neoliberale Globalisierung liegen immer weniger nationale Entscheidungen auch in den Händen nationaler Regierungen. Westliche Demokratien ähneln zunehmend Technokratien, in denen nicht gewählte Abgeordnete das Sagen haben, sondern ungewählte Bürokrat:innen und internationale Organisationen. Ein Beispiel hierfür ist die Auslagerung der Geldpolitik an die Funktionäre der Europäischen Zentralbank, die nicht gewählt, sondern ernannt werden.

Ein sinnentleerter Wettbewerb

Eng verbunden mit der Auslagerung der Entscheidungen an internationale Organisationen ist eine andere Entwicklung: der regelrechte Mitgliederkollaps von Institutionen, die eine Partizipation ermöglichen sollten, wie Gewerkschaften und Parteien. Deren Basis schrumpft.

„Das Zeitalter der Parteiendemokratie ist vorbei“, fasste Peter Mair bereits vor über zehn Jahren in einer größeren Analyse die beiden Entwicklung zusammen: „Die Parteien selbst sind zwar geblieben, aber sie haben sich so sehr von der Gesellschaft abgekoppelt und betreiben einen so sinnentleerten Wettbewerb, dass sie nicht mehr in der Lage zu sein scheinen, die Demokratie in ihrer jetzigen Form zu erhalten.“

All diese Prozesse haben die oftmals ohnehin schon geringen Möglichkeiten der Einflussnahme geschmälert, so dass die unteren Einkommensklassen heutzutage kaum über Möglichkeiten verfügen, ihre Ansichten in einer komplexen, modernen Gesellschaft zu artikulieren. Wobei die „Sinnentleertheit“ darin besteht, dass nahezu jede zur Wahl stehende Partei rechts wie links der Mitte den neoliberalen Konsens akzeptieren; dadurch  verschwimmen die Unterschiede zwischen ihnen. Große Koalitionen verstärken diese Entwicklung noch weiter. 

Gegen die Eliten?

Übrig bleibt die extreme Rechte, die es schafft, die Wut vieler zu kanalisieren. Sie verspricht einen Pseudobruch mit den neoliberalen Sparmaßnahmen und eine Rückkehr zum (ökonomischen) Nationalismus – verbunden mit einer Sprache, die sich scheinbar gegen die Eliten richtet.

Dort, wo die extreme Rechte an die Regierung kam, brach sie jedoch nicht mit dem neoliberalen Konsens, sondern setzte die Deregulierung ebenso fort wie der Sparmaßnahmen (abgesehen von den Militärausgaben). Politisch halten sie sowohl am europäischen Markt fest als auch an der NATO. 

Zudem wandelte sich ab den 90er Jahren der Fokus der Politik. Klassenorientierte Aussagen und Begriffe, die sich auf soziale und ökonomische Interessen bezogen, galten zunehmend als anachronistisch und verschwanden; ersetzt wurden sie von einer Sprache der Identität, die zur Antriebskraft vieler sozialen Bewegungen wurde. Der Parteienwettbewerb verschob sich hin zu Identitäten, die vermeintlich unabhängig vom Klassenstatus stehen. Die neue Rechte schaffte es, diesen vermeintlichen Widerspruch aufzulösen – so verband sie beispielsweise den Kulturkampf für die traditionelle Familie mit den wirtschaftlichen Vorstellungen der unteren Mittelschicht.

Die Niederlagen der Linken

Das alles wirft die große Frage auf: Wo waren die linken Parteien, die den neoliberalen Konsens ablehnen und sich Deregulierung, Privatisierung und Abbau des Sozialstaats widersetzen?

Die gab es. Im Gefolge der Finanzkrise gab es in vielen westlichen Ländern Versuche, eine glaubhafte Alternative zu schaffen. In Griechenland wurde die linke Partei Syriza ab 2012 zu einer bedeutenden politischen Kraft, in Spanien kam die neu gegründete Partei Podemos bei den Wahlen im Dezember 2015 erstmals auf den dritten Platz, und in Frankreich entstand 2016 La France Insoumise.

Analog strebte in den USA Bernie Sanders 2016 und 2020 die Präsidentschaftsnominierung der Demokratischen Partei an und in Britannien übernahm 2015 Jeremy Corbyn den Vorsitz der Labour-Partei. Trotz hoher Popularität setzte die Führung der Demokraten alles daran, dass Sanders beide Male die Nominierung verlor. In London wiederum torpedierte der rechte Parteiflügel den linken Corbyn und sorgte dafür, dass er in einem dubiosen Verfahren aus der Partei ausgeschlossen wurde.

Syriza hingegen gewann 2015 die griechischen Wahlen, und Podemos erlangte in regionalen und landesweiten Wahlen größere Zustimmung. Dass diese beiden Parteien an die Regierung kamen, hatte jedoch weniger mit ideologischer Klarheit zu tun“, wie es in der Studie  „The False Concept of Populism and the Challenges facing the Left“ des Tricontinental Instituts heißt, als mit der Gelegenheit, die sich durch Wahlen in Zeiten eines rapiden Verfalls der Lebensstandards bot. „Ohne diese Klarheit kollabierten sie vor dem Muskelspiel des neoliberalen Zentrums in der EU.“ 

La France Insoumise entging diesem Schicksal nur, weil es die Partei von Jean-Luc Mélenchon trotz höherer Zustimmungswerte bisher nicht in die Regierung schaffte. Die Schwäche linker Parteien und Politiker:innen gegenüber der Mitte ermöglichte erst den Aufstieg der extremen Rechten, die sich – da links keine ernsthafte Konkurrenz existiert – als einzige Alternative darstellen kann. 

Das Alte stirbt

Dazu kommt, dass dem heutigen Kapitalismus durch die Internationalisierung des Finanzkapitals ein externer Wachstumsmotor fehlt. Die zahlreichen schweren ökonomischen Krisen in den letzten zwanzig Jahren bezeugen dies. Das ist die Grundlage für den Aufstieg extrem rechter Parteien, die sich als einzige Alternative präsentieren. Derweil sucht die liberale Mitte, die Jahr für Jahr weiter schmilzt, einen Ausweg aus der Stagnation durch Militarisierung. 

1930 schrieb Antonio Gramsci, der als Mitbegründer und zeitweiliger Vorsitzender der Kommunistischen Partei Italiens von den Faschisten zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden war, über die damalige Zeit: „Das Alte stirbt und das Neue kann nicht zur Welt kommen: Es ist die Zeit der Monster.“

Weder die von Rechten propagierte Pseudorückkehr zum Nationalismus noch der von den Parteien der Mitte propagierte Ansatz werden die wirtschaftliche Lage der Bevölkerungsmehrheit verbessern. Das bietet linken Bewegungen und Parteien eine Chance – sofern sie aus den Niederlagen der letzten Jahre lernen und es schaffen, eine ideologisch kohärentere Basis in der Arbeiterklasse aufzubauen. 

Leicht wird das nicht. Denn die Kulturkämpfe der letzten Jahre haben tiefe Spaltungen hinterlassen. Hinzu kommt, dass sowohl den diversen linken Parteien wie auch den Bewegungen aktuell eine substanzielle Basis fehlt. Zwischen dem Wunsch, den Kapitalismus mittels keynesianischer Marktstimulation zu reparieren, oder der Hoffnung auf eine kommunistische Alternative, ist alles vertreten. 

Hinzu kommen offene strategische Fragen: Inwiefern kann sich eine Linke als echte Alternative etablieren, wenn sie, wie bei den Massenprotesten gegen die AfD, gemeinsam mit SPD- und CDU-Politiker:innen eine Einheitsfront gegen den Faschismus bildet? Andererseits: Wie kann sie glaubwürdig vermitteln, dass sie antifaschistisch ist, wenn sie keine Einheitsfront bildet? 

Solche Fragen werden zunehmend nicht nur für Straßenproteste relevant sein. Auch in den stetig instabiler werdenden parlamentarischen Mehrheiten werden diese Fragen wichtiger werden. Und letztendlich stellt sich bei aller parlamentarischer Arbeit auch immer die Frage, die zuletzt in den diversen linken Regierungsversuchen im europäischen Süden wieder aufgeworfen wurden: Wie viel Macht hat ein nationales Parlament überhaupt noch, um wirkliche Veränderungen durchzusetzen?

Der Blick nach vorne

Die Herausforderungen vor denen wir stehen, sind enorm. Doch die Lage ist nicht aussichtslos. Die Klassenbasis extrem rechter Parteien zwischen der unteren Mittelschicht, Teilen der Arbeiterklasse und den ultrareichen Multimilliardären ist fragil. Die ersten Brüche zwischen der Trump’schen Make-America-Great-Again-Basis und der herrschenden Elite sind bereits sichtbar. 

Und so fasst das Tricontinental Institute zusammen: „Die extreme Rechte macht regelmäßig zu große Versprechungen, vor allem, wenn es um Fragen der wirtschaftlichen Misere geht. Weder ihre Anti-Immigrationspolitik noch ihre Zollpolitik werden die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Mehrheit verbessern, insbesondere wenn sie den Bruch mit asiatischen Ländern wie China und Indien verschärfen.“ Das letztendliche Scheitern der extremen Rechten werde eine enorme Chance für die Linke darstellen – „vorausgesetzt, die Linke ist bereit, die Verantwortung zu übernehmen“.

Zum Thema:

● Die Krise des Kapitalismus und das Erstarken der Rechten
● Der Aufstieg der extremen Rechten (1): Woher kommt der Erfolg?
● Der Aufstieg der extremen Rechten (2): Sind das Faschisten?

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