
Mit dem am 1. November in Kraft getretenen „Hebammenhilfevertrag“ verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen für Hebammen und die Versorgungslage in diesem wichtigen Teil des Gesundheitssystems droht noch prekärer zu werden. Laut einer aktuellen Studie denkt fast jede zweite Hebamme in Deutschland ernsthaft über die Aufgabe ihres Berufes nach.
„Hebammen brauchen keine bürokratischen Vorschriften und Einschränkungen in der Ausübung ihres Berufs: Sie brauchen ganz einfach exzellente Arbeitsbedingungen und gute Löhne“, so John Löser, Rettungssanitäter und Landtagskandidat der Linken für Singen, in einer Pressemitteilung der Partei.
Viele Hebammen arbeiten freiberuflich als sogenannte Beleghebammen an Kliniken, entweder im Schichtdienst – zum Beispiel im Kreißsaal, auf der Wochenstation oder im Kinderzimmer – oder in individueller Geburtsbegleitung über die gesamte Schwangerschaft hinweg. Mit dem neuen Abrechnungssystem verlieren sie jedoch deutlich an Einkommen.
Vor der Reform wurde die gleichzeitige Betreuung von zwei Patientinnen gleichwertig vergütet, nun bekommen die Beleghebammen für die Begleitung der ersten Gebärenden 80 Prozent, und für die der zweiten 30 Prozent: „Der Aufwand und die Verantwortung bleiben gleich – die Bezahlung nicht. Das ist schlicht unfair“, kritisiert Löser. Zudem ließen sich viele Tätigkeiten, die nicht unmittelbar mit der Geburt zu tun haben – etwa organisatorische Aufgaben oder die ambulante Betreuung – nicht mehr abrechnen. In bayerischen Kliniken, in denen das System bereits getestet wurde, sank die Vergütung im Schnitt um bis zu 30 Prozent. Wegen der geringeren Einnahmen könnten sich die Beschäftigten umorientieren. Bei der bereits jetzt dünnen Personaldecke wäre das eine Katastrophe – sowohl für die Versorgung der Patientinnen, als auch für die Arbeitsbedingungen der verbliebenen Hebammen.
„Schon jetzt sehen wir ja den Mangel hier bei uns im Kreis“ führt Sibylle Röth, Kreisrätin der Linken Konstanz aus. „Die Schließung der Geburtshilfestation in Radolfzell war sogar gewissermaßen der Anfang vom Ende des dortigen Klinikums. Aber auch am Konstanzer Krankenhaus ist es im Herbst 2022 zu regelmäßigen Schließungen des Kreißsaals wegen Personalmangels gekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand diese Zustände wiederhaben will. Aber genau das droht jetzt!“
Aus dieser Sorge heraus, so Röth, habe der Kreistag bereits im Mai diesen Jahres einen dringenden Appell an den Spitzenverband der deutschen Krankenkassen formuliert, die Reform noch einmal zu überarbeiten. „Natürlich ist die Grundidee des Plans verständlich: Durch die Begrenzung der Vergütung für eine zweite Patientin sollten Anreize für eine 1-zu-1-Betreuung gesetzt werden und eventuelle Verdienstausfälle durch einen höheren Stundenlohn ausgeglichen werden“ räumt Röth ein. „Nur leider geht dieser Ansatz an der Realität des Arbeitsalltags von Hebammen vorbei.“
So wären bislang im Kreißsaal Mehrfachbetreuungen die Regel, was im neuen System und der Versorgungsplanung nicht berücksichtigt werde. „Um zu funktionieren, setzt die Reform eine illusionäre Personaldichte voraus, die wir uns zwar alle wünschen würden, die aber nunmal nicht da ist. Was sollen aber Hebammen machen, wenn Schwangere in Nöten zu ihnen kommen?“ Die Frauen müssten von den Hebammen versorgt werden, aber gleichzeitig würden diese im Zweifel dafür finanziell bestraft.
Letztlich sei diese Entwicklung ein Baustein einer immer schlechter werdenden medizinischen Grundversorgung, konstatiert Röth: „Einen Kreißsaal in einer erreichbaren Nähe zu finden, wird in diesen Zeiten schließender Kliniken immer komplizierter. Schwangeren, die wir eigentlich besonderen schützen wollen, machen wir so ihr Leben schwer.“
Auch die „Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V.“ warnt eindringlich vor einer verschlechterten Versorgung: Wenn Hebammen aus der ambulanten Betreuung verdrängt werden, geht nicht nur eine direkte Betreuung verloren, sondern auch wichtige Expertise. Zudem drohe eine Verschlechterung in Folge der Auslagerung auf eine ärztliche Betreuung ambulanter Patientinnen, da diese bereits jetzt an ihrer Belastungsgrenze sind – die Überlastung von Notaufnahmen ist ja durchaus bekannt. Durch die finanziellen Einbußen verlöre der Beruf an Attraktivität, und die Alternativen wie die generelle stationäre Aufnahme der Patientinnen wäre wenig realistisch. Die angemahnte Überprüfung der geplanten Regelungen ist indes ausgeblieben.
Nadine Heptner, Sprecherin des Linke-Ortsverbands Singen und Mutter zweier Kinder, ergänzt aus ihrer persönlichen Erfahrung: „Ich habe zwei Kinder zur Welt gebracht. Meine Hebamme war mein Anker – sie hat mich in einem unglaublichen, überwältigenden Moment gestützt, sie war an meiner Seite, als alles gleichzeitig wild, schön und beängstigend war. Es schmerzt mich, dass jetzt Menschen wie sie, die Leben auf die Welt begleiten, für ihre Arbeit bestraft werden. Hebammen sind keine Randfigur im Gesundheitssystem, sie sind das Herz der Geburtshilfe. Wenn sie aufgeben müssen, weil sich ihre Arbeit nicht mehr trägt, verlieren wir mehr als nur Fachkräfte. Wir verlieren Nähe, Sicherheit und Menschlichkeit. Wer Hebammen schwächt, gefährdet die Geburtshilfe in ganz Deutschland. Wir brauchen Verträge, die sie stärken – nicht solche, die sie in die Knie zwingen.“
„Eigentlich wäre es dringend notwendig, den Job attraktiver zu machen, und nicht schlechter zu bezahlen und mit bürokratischen Arbeitsbedingungen zu überfrachten. Wir müssen hier schnell gegensteuern, und ein Anfang ist, diese Reform zurückzunehmen,“ meint Löser abschließend.

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