
Patrick Brauns hat Politologie und Sprachwissenschaften studiert. Seit den frühen 1990er Jahren verfasst er Reise- und Sachbücher, vor allem über den Bodenseeraum. Die Fotografien für die Bücher macht er selbst. Eine Auswahl wird gerade in der vhs-Galerie gezeigt.
2015 erscheint sein, wie er selbst sagt, „bisher schönstes“ Bodensee-Buch: „Der Bodensee. 101 Orte zum Verweilen und Entdecken“. Bei der Herstellung ist dann noch eine Doppelseite am Ende frei. Der Verlag ruft beim Autor an und der entscheidet sich für die Abbildung eines Fotos, von dem er mir erzählt, es fasse eigentlich alles zusammen: „Landschaft, Geschichte, Kultur – alles drin.“
Zu sehen sind unter einem wolkenlos blauen Himmel die Uferanlagen des Bodensees bei Unteruhldingen. Ein breiter Schattenstreifen im Gras trennt den Betrachtenden vom Bildinhalt. Dahinter sitzt auf einer Bank eine Frau, die Beine hochgelegt, und liest ein Buch. Hinter der Lesenden sehen wir eine die Umrisse eines Hauses skizzierende Stahlrohrkonstruktion auf einem ins Wasser reichenden Steg. Es steht symbolisch für die Pfahlbauten und wurde nach ihrer Aufnahme ins Weltkulturerbe dort aufgestellt. Dunkel führt die vorn links im Bild stehende Silhouette eines Baumes die senkrechten Linien der Hausinstallation in den Bildvordergrund weiter und dreht mit seiner spitz nach oben ragenden Krone das Dachdreieck des Stahlrohrhauses um. Der Oberkörper der sitzenden Frau und die hintere Stange des Hauses bilden eine Linie, die das Bild in zwei Hälften teilt. Links das bewohnte Land und rechts der offene, von leichten Wellen bewegte See. Das ist ein nicht nur formal gelungenes Bild.

Wie die Bilder in die Bücher kommen
Auf der Vernissage zur Ausstellung „Wie die Bilder in die Bücher kommen“ erzählt Patrick Brauns die Geschichte dieses Bildes und zeigt seine Kameras. Drei hat er dabei, einfache Kleinbildkameras, leicht mitzutragen beim Wandern, aber gewiss kein Profiwerkzeug. Bei allem Gespür für gute Bildaufteilung ist ihm doch das erzählerische Moment des Dargestellten am wichtigsten.
Brauns zeigt selten leere Landschaften. Kulturlandschaften haben es ihm angetan: irgendein Bezug zu menschlicher Tätigkeit ist immer zu sehen und sei es nur die Rückseite eines nackten Mannes mit Rucksack, dem er einmal beim Wandern begegnet ist. Im Schnee genügen hin und wieder auch die Spuren von Füßen, die hier gewandert sind.
So ist es kaum Zufall, dass er sich, gefragt nach seinen frühesten Wandererfahrungen, nicht an ausgedehnte Wälder, sondern an den sonntäglichen Familienspaziergang zum Schloss Nymphenburg erinnert. „Das war ein Weg, mindestens zwei Kilometer, dann dort durch den Park und wieder zurück. Das war schon an der Grenze zur Wanderung. Man hätte auch gut mit dem Auto hinfahren können, aber es war ein Sonntagsritual, zum Schloss Nymphenburg durch das Stadtviertel, den Kanal entlang auf das Schloss zu.“
„Wir sind halt irgendwann zurückgekommen …“
Eine spätere Wandererfahrung von Freiburg aus hat er noch gut in Erinnerung: „Als ich zwölf Jahre alt war, wurde ich mit meinem zwei Jahre älteren Bruder von einer Tante zu einer Tageswanderung losgeschickt. Mit der Seilbahn auf den Schauinsland und von dort über den Feldberg bis Neustadt. Von dort sollten wir dann den Zug nehmen und zurückfahren. Damals hat man Kinder einfach losgeschickt und die sind dann halt irgendwann zurückgekommen.“

Es brauchte dann allerdings bis zum Studium in Konstanz, bis er aus eigenem Antrieb regelmäßig zu wandern beginnt. Eine Spur dieser Zeit findet sich auf dem Titelblatt seiner Dissertation. 1988 verknüpft Brauns seine sprach- mit seinen politikwissenschaftlichen Interessen in seiner Promotion in Politologie „Die Zeiten sind hart, aber ‚modern‘. Sprachliche Inszenierung der sozialistischen Politik in Frankreich 1983–1986“.
Auf dem Umschlag ist ein Foto zu sehen, das das Ortsschild des elsässischen Dorfs „Obermodern“ zeigt. Der Dorfname hat mit ‚modern‘ aber nicht mehr als die Buchstabenfolge gemein: „Schon damals habe ich gewusst, dass auch bei der Publikation einer wissenschaftlichen Arbeit eine ansprechende Verpackung ein wichtiges Element der Vermarktung ist: Ein originelles Bild als Blickfang, das mit dem Thema nur assoziativ etwas zu tun hat – die Gemeinde Obermodern ist nach dem Fluss Moder benannt. Dazu ein plakativer Titel, der durch einen informativen Untertitel inhaltlich erklärt wird.“
Der „Zahme Kaiser“
Diese Verknüpfung von Sprache und Landschaft ist ein zentrales Interesse von Patrick Brauns geblieben. „Das hat eine lange Vorgeschichte. In meiner Münchener Zeit, mit sieben, acht Jahren, hat mich der Bergname ‚Wilder Kaiser‘ irritiert. Ich habe damals gedacht ‚Ein Kaiser kann doch nicht wild sein‘. In der Nachbarschaft gibt es dann den ‚Zahmen Kaiser‘, aber ‚zahm‘ ist ein Kaiser doch erst recht nicht. Buchstäblich verstanden, führen Ortsnamen auf eine falsche Fährte.“
Der Sage nach soll der Name „Kaisergebirge“ von einer Felsformation, die man als Profil eines Kopfes mit Krone deuten kann, herrühren. Andere wiederum meinen, die Gegend sei kaiserliches Lehensgut gewesen. Schließlich gibt es da noch die Geschichte einer gottlosen Sennerfamilie, die aber rein gar nichts mit Kaisern zu tun hat.
„Kuriose Ortsnamen wirken oft erst dann, wenn man sie assoziativ miteinander verbindet: Frauenfeld und Mannenbach etwa. Oder wenn man von Lustdorf über Scherzingen nach Lachen fährt. Wo kann man das schon? Oder mitten im Thurgau geht man von Birwinken nach Weinfelden – was hat mehr Alkohol? Natürlich hat Birwinken nichts mit Bier und Weinfelden nichts mit Wein zu tun. Aber das ist für mich ein wenig fröhliche Wissenschaft. Ich habe ein Buch über Bergnamen in den Alpen geschrieben [Die Berge rufen. Alpen, Sprachen, Mythen, 2002], darin auch einen Essay über die kürzesten und längsten, sehr assoziativ: ‚Wo es »Au« gibt, muss es weh tun‘.

Höchste Dichte von ‚Frohsinn‘ im Thurgau
Über Restaurantnamen habe ich auch schon gearbeitet. Da reizen mich die unmotivierten Namen – in der Nähe des früheren Kreuzlinger Hauptzolls, also 600 Meter vom See entfernt, gab es zum Beispiel das ‚Bootshaus‘. Da würde ich doch gern hinter’m Haus ein Boot anbinden. In der Schweiz gibt es sehr häufig Restaurantnamen mit ‚Frohsinn‘. Die höchste Dichte von ‚Frohsinn‘ findet man im Thurgau.“
Während Brauns bei Texten für Länderlexika des Bertelsmann-Verlags noch in der Bibliothek bleiben kann, ist ein Buch wie „Gipfelglück“ (2012) tatsächlich Schritt für Schritt erwandert. Eigentlich, so erzählt Brauns, sei es ihm um die „wichtigsten“ Berge Baden-Württembergs gegangen, also nicht unbedingt die höchsten, sondern die kulturell, historisch oder sprachlich am interessantesten sind. So hat ihn die Entscheidung des Verlags, das Buch „Gipfelglück. Die markantesten Berge Baden-Württembergs“ zu nennen, kalt erwischt. Eine Stunde blieb ihm, um im Vorwort zu erklären, dass das Glück der Mittelgebirge und Hausberge ein anderes als das des Hochgebirges ist und zudem ein ganz eigenes.

Und das Glück auf dem ‚Gipfel‘ des Hohentwiel zu sein, ist dementsprechend auch anders definiert: „Es ist das Glück, nach Feierabend auf den Hausberg zu steigen, in der Sonne zu sitzen und über die Stadt zu schauen.“ Oder auch: „Die tausend Stufen einer Himmelsleiter hinaufzusteigen und oben anzukommen.“ Die „Himmelsleiter“ ist tatsächlich ein Treppe, die mit etlichen 1200 Stufen vom Heidelberger Schloss auf den Königstuhl führt. Auch „markant“ ist ein schwieriges Adjektiv: „Man stellt sich einen Zacken vor wie das Matterhorn, aber der Dreifaltigkeitsberg oberhalb von Spaichingen ist so eine Linie (Patrick Brauns malt mit der ausgestreckten flachen Hand eine Linie in die Luft) und irgendwo in der Mitte steht eine Kirche.“
Gucken, wie das Wetter wird
Patrick Brauns liebt seinen Konstanzer Hausberg, keine hundert Meter von seinem Wohnhaus entfernt: „Dieser Wasserbehälter, ein Plateau, etwa ein Viertelfußbaldfeld groß, zwischen Uhlandstraße und Silvanerweg, der ist 50 Meter über‘m Seeniveau. Mein Morgenritual ist, dort hinaufzugehen und zu gucken, wie das Wetter wird. Ob die Berge noch da sind, die ganze Allgäuer Alpenkette, ein Zacken neben dem anderen – und dann ein paarmal tief durchatmen, um dann an die Arbeit zu gehen.“ Man merkt, hier geht es weniger darum, wie der ‚Berg‘ aussieht als um das, was man von seiner Spitze aus sieht, nicht die Ansicht des Berges, sondern der Blick, den er ermöglicht.

So empfiehlt er auch allen, die in Konstanz einen Bergblick suchen, den Raiteberg mit dem Bismarckturm darauf. Ich bin unzufrieden, gerade dieses hässliche nationalistische Fackelmonument … „Na“, antwortet Patrick Brauns, „den hat man ja dann im Rücken. Ich empfehle auch in Paris den Platz vor Sacré-Cœur, weil man dieses Monstrum von Kirche dann nicht sehen muss.“ Manchmal also muss man auch irgendwo hin oder irgendwo rauf, um etwas gerade nicht zu sehen.
Wer etwas weiter weg möchte, dem empfiehlt er das Hörnli, hinter und oberhalb von Fischingen am Konstanzer Jakobsweg gelegen. „Da oben ist auch eine Wirtschaft drauf. Vom Parkplatz aus dauert der Aufstieg etwa eine Dreiviertelstunde. Man kann also wirklich bis Sonnenuntergang oben bleiben und schließlich in der Dämmerung zurücklaufen.“
Die Idylle
Und dann erinnert er sich, gefragt nach dem besten Abschluss einer Wanderung, an einen Ort, den „es leider nicht mehr gibt, den Sonnenhof in Schönenbaumgarten. Vor zwanzig Jahren hat der Röschtibauer das an seinen Schwiegersohn abgegeben, aber der hatte nicht das Charisma des Alten. Da bin ich öfters eingekehrt. Es gab Geschnetzeltes mit Rösti. Man wusste, drei Portionen reichten großzügig für vier. Wenn der Wirt gut drauf war, hat er Witze erzählt. Man saß draußen, Hühner liefen zwischen den Tischen, und der Bauer schenkte nach deftigem fetten Essen Schnaps aus. Wer sich beschwerte, das sei aber ein doppelter, dem wurde beschieden, wer einen kleinen wolle, müsse das schon sagen.“ Patrick Brauns seufzt: „Der Sonnenhof in Schönenbaumgarten, ach, schöner kann man es sich nicht wünschen: die Idylle, die im Wort steckt.“

Immer wieder, selbst bei der Erinnerung an fette Mahlzeiten, weist Patrick Brauns auf von Namen und sprachlichen Wendungen erzeugte Bilder hin. Patrick Brauns ist, das darf man wohl sagen, ein Wortwanderer, einer, der im Wort zuhause ist, durch die Wörter hindurchläuft, sie sammelt und sorgfältig aufbewahrt, sich von ihnen inspirieren lässt, ihnen einen Sinn, einen Witz, eine Poesie ablauscht, die direkt in ihrer lautlichen Oberfläche liegen.
Und deshalb ist es auch ein Glück, dass Patrick Brauns häufig in seiner Ausstellung anzutreffen ist. Bereitwillig erzählt er dann von dem, was man auf den Bildern als Unbeteiligter nicht sehen kann: von den Wörtern und den imaginären Räumen, die sie öffnen. So beschenkt, geht man selbst später anders durch die Welt. Was ist schon das Wissen um die mittelalterliche Gesellschaft zur Katz, wenn man sich die Katzgasse auch voll von mauzenden Feliden denken kann? Dann nämlich öffnet sich das Konstanzer Abendland ins Morgenland der Hauff‘schen Märchen, und wer genau hinsieht, kann über dem Katzenkonzert noch den Geruch von Tausendgüldenkraut wahrnehmen.
VHS Galerie, Katzgasse 7, 78462 Konstanz. Die Öffnungszeiten finden Sie hier.


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