Ratssaal 2015 10 19 02 beschnitten b © till seiler

„Haushaltssperre!“ – OB Burchardt simuliert Handlungsfähigkeit

Von Till Seiler (Text & Bild)
Ratssaal 2015 10 19 02 beschnitten b © till seiler

Am 19. September hat Uli Burchardt ohne Beteiligung des Gemeinderats die „Haushaltssperre“ verfügt, der Finanzausschuss des Gemeinderats hat am 16. Oktober die Verlängerung bis zum Jahresende empfohlen. Das Ganze klingt nach entschlossenem Handeln, die Einsparungen sind aber gering. Es gab offenbar gravierende Probleme bei der Implementierung der Haushaltssperre bezüglich des Sozialpasses.

Der Begriff „Haushaltssperre“ taucht in Medien oftmals im Kontext der USA auf, wenn sich Präsident und Kongress nicht auf den Bundeshaushalt einigen können. Hier bedeutet Haushaltssperre wirklich, dass kein Geld abfließen kann, US-Bundesbeschäftigte erhalten dann kein Gehalt.

Die „Haushaltssperre“ in Konstanz ist etwas völlig anderes. Alle Ausgaben auf gesetzlicher Grundlage erfolgen weiterhin, auch diejenigen, die zur „Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs“ erforderlich sind, sowie Ausgaben, mit denen ein „wirtschaftlicher Schaden“ (etwa der Ausfall von Fördermitteln) abgewendet werden kann. Außerdem können die städtischen Fachämter Ausnahmen bei der Kämmerei beantragen. Die Kämmerei war als für Finanzen zuständiges Amt bis vor kurzem unmittelbar dem Oberbürgermeister unterstellt – neuerdings ist sie dem Verwaltungsdezernenten untergeordnet.

Kritische Haushaltslage

Bei der Sitzung des Finanzausschuss des Gemeinderats am 16. Oktober wurde die kritische Haushaltslage deutlich. Ein Blick auf den Ergebnishaushalt zeigt dies. Dabei handelt es sich – vereinfacht dargestellt – um die laufenden Kosten sowie Einnahmen der Stadt ohne Berücksichtigung der Investitionen, die im Finanzhaushalt erfasst werden. Der Ergebnishaushalt sollte planmäßig für 2025 ein Defizit von 13,4 Mio. Euro aufweisen. Insbesondere aufgrund eines Einnahmerückgangs bei der Gewerbe- und der Grundsteuer kam es jedoch zu einer Vergrößerung des Defizits um weitere 6,3 Mio. Euro. Die Kämmerei rechnet also für das Haushaltsjahr 2025 mit einem Defizit von insgesamt 19,7 Mio. Euro.

Die Wirkung der „Haushaltssperre“ ist jedoch bescheiden. Nach im Finanzausschuss vorgestellten Prognosen können in diesem Jahr noch ca. 1,2 Mio. Euro eingespart werden. Davon sind jedoch ca. 600.000 Euro lediglich Verschiebungen ins folgende Haushaltsjahr, so dass „echte“ Einsparungen von gerade mal ca. 600.000 Euro realisiert werden können.

Probleme für den Sozialpass

seemoz hat erfahren, dass es bei der Umsetzung und Kommunikation der „Haushaltssperre“ zu einer gravierenden Fehlleistung bezüglich des Sozialpass kam. Der Sozialpass ist eine wichtige sozialpolitische Leistung der Stadt. Er kann u.a. von Anspruchsberechtigen für Bürgergeld oder Wohngeld beantragen werden. Wohngeld erhalten Personen, die berufstätig sind, aber kein hinreichendes Einkommen erzielen, um das Auskommen ihrer Familie zu finanzieren. Inhaber*innen des Sozialpass erhalten beispielsweise Vergünstigungen bei den Schwimmbädern und für ÖPNV-Tickets. Für Angebote der Volkshochschule (vhs) wird eine Ermäßigung um 80 Prozent gewährt.

Die Stadtverwaltung hatte zunächst entschieden, dass der Sozialpass von der Haushaltssperre betroffen ist und hier keine Auszahlungen aus dem Haushalt mehr möglich sind. Diese Entscheidung wurde am 25. September denjenigen Einrichtungen mitgeteilt, bei denen Vergünstigungen für Inhaber*innen des Sozialpasses vorgesehen sind. Die vhs informierte pflichtgemäß ihre Kund*innen darüber. Bei der vhs geht es zum Beispiel um Gebühren für Prüfungen als Abschluss von Sprachkursen. Diese Prüfungen sind für viele Personen von existenzieller Bedeutung, denn sie ermöglichen etwa eine Berufstätigkeit.

Am Nachmittag des 25. September kamen mehrere verzweifelte Kund*innen in die Geschäftsstelle der vhs, um sich dort zu informieren. Einige Personen haben geweint. Für die Mitarbeitenden der vhs entstand eine schwierige Situation. Die vhs verfügt über keinerlei finanzielle Spielräume und kann auf die Gebühreneinnahmen bzw. auf den Ersatz dieser Einnahmen durch die Stadt nicht verzichten. Die Stadtverwaltung hat dann am Folgetag entschieden, doch eine Ausnahme für den Sozialpass zu gewähren.

„Operative Probleme“

In der Sitzung des Finanzausschuss verpasste Oberbürgermeister Burchardt die Chance, sich für diese vorschnelle Entscheidung zu entschuldigen. Er ging während der Sitzung nicht konkret auf den Sozialpass ein, sondern bemerkte lediglich lapidar: „An der ein oder anderen Stelle gab es ein operatives Problem.“ Die Gemeinderatsfraktion FGL&Grüne hatte bereits am 27. September über Instagram eine Ausnahme für den Sozialpass gefordert. Stadtrat Niklas Becker schrieb dort: „Die Haushaltskrise darf nicht zulasten der Schwächsten in unserer Gesellschaft gehen.“ Im Finanzausschuss sagte er: „Ich halte die Haushaltssperre für richtig. Allerdings hätten Kriterien wie der Vertrauensschutz von Anfang an mitgedacht werden müssen.“ Auch Dorothee Jacobs-Krahnen (FGL&Grüne), Jan Welsch (SPD) sowie Moritz Schneider (Junges Forum) sprachen sich für eine Ausnahme beim Sozialpass aus. CDU-Fraktionsvorsitzende Heike Rawitzer forderte „strenge“ Kriterien für die Gewährung von Ausnahmen, plädierte aber ebenfalls für eine Ausnahme bezüglich des Sozialpasses.

Stadtrat Wolfgang Moßmann nahm für die Linke Liste Stellung: „Wir fordern die Aufhebung der Haushaltssperre. Freiwillige Leistungen im Bereich Sport, Soziales und Bürgerbeteiligung dürfen nicht in Frage gestellt werden.“ Am Ende stimmten lediglich Linke Liste und Junges Forum gegen die Fortführung der „Haushaltssperre“ bis zum Jahresende. Im Dezember soll über den Nachtragshaushalt mit weiteren Konsolidierungsmaßnahmen sowie gegebenenfalls über eine Verlängerung der „Haushaltssperre“ entschieden werden. Uli Burchardt deutete in der Sitzung bereits an, dass diese „möglicherweise“ weiterlaufen müsse.

Burchardt ging auf den Anteil aus dem „Sondervermögen“ des Bundes ein, den die Kommunen erhalten sollen. Baden-Württemberg soll für zwölf Jahre 12 Milliarden Euro vom Bund bekommen und will davon 8,7 Milliarden an die Kommunen weiterleiten. Er rechnete überschlägig: Konstanz macht etwa ein Prozent von Baden-Württemberg aus, so dass für den Zeitraum von zwölf Jahren in jedem Jahr mit etwa sieben Millionen Euro für die Finanzierung von Investitionen gerechnet werden kann.

Überlegungen zur Haushaltskonsolidierung

Grytner sebastian
Stefan Grytner soll als neuer Leiter der Kämmerei die Finanzen der Stadt konsolidieren © privat

Uli Burchardt skizzierte im Finanzausschuss auch das angedachte Vorgehen zur Haushaltskonsolidierung in den nächsten Jahren. Für den Nachtragshaushalt 2026 sei eine „schlanke“ Beratung ohne die Beteiligung der Fachausschüsse vorgesehen, so dass hier keine größeren strukturellen Veränderungen, sondern lediglich kleinere Sparmaßnahmen implementiert werden könnten.

Für den Doppelhaushalt 2027/2028 avisiert er grundlegende Beschlüsse. Der Gemeinderat solle „große Zahlen“ als Einsparvorgabe beschließen, die Details seien dann von der Stadtverwaltung auszuarbeiten. Es dürfe nicht mit dem „Rasenmäher“ gespart werden. Es soll also keine gleichmäßigen Einsparvorgaben für sämtliche Fachämter geben, stattdessen schwerpunktmäßige Einsparungen für einzelne Teilhaushalte und große Budgets. Etwas kryptisch deutete er an, dass der Gemeinderat auch „eine Einrichtung schließen“ könne. Es ist wohl davon auszugehen, dass damit eine Kultureinrichtung gemeint ist. Zuletzt gab es im Herbst 2023 eine kontroverse Diskussion um die Schließung der Werkstattbühne des Stadttheaters. Aus der Stadtgesellschaft gab es großen Protest gegen diesen Vorschlag, der vom Gemeinderat schließlich abgelehnt wurde. Das Stadttheater kann mit seinen drei Spielstätten auch ein umfassendes Bildungsangebot im Bereich des Kinder- und Jugendtheaters realisieren.

Berücksichtigung der Einnahmesituation

Die Diskussion im Finanzausschuss fokussierte sich einseitig auf die Ausgaben der Stadt, die Einnahmesituation blieb weitgehend unberücksichtigt. Die großen Stellschrauben bei den Einnahmen sind die Hebesätze für die Grund- sowie die Gewerbesteuer. Der Hebesatz für die Grundsteuer soll angepasst werden, um eine Aufkommensneutralität im Zusammenhang mit der durchgeführten Reform zu erreichen. Als Folge der rechtlich gebotenen Reform der Grundsteuer zahlen einige Personen mehr Steuern, andere weniger. Insgesamt sollen die Einnahmen aus der Grundsteuer aber unverändert bleiben.

Beim Hebesatz für die Gewerbesteuer, der auf die Gewinne von Unternehmen fällig wird, gibt es aber durchaus Spielräume für Mehreinnahmen. Dieser Hebesatz könnte von 410 auf 430 Punkte erhöht werden und entspräche dann dem Niveau der Stadt Freiburg. Nach einer Berechnung der Kämmerei aus dem Jahr 2022 wären bei der Erhöhung um 20 Punkte jährlich Mehreinnahmen von ca. 2,7 Millionen Euro zu erreichen. Diese Berechnung dürfte in der Größenordnung auch aktuell stimmen. Mit der „Haushaltssperre“ sollen jetzt in einem Quartal 700 000 Euro gespart werden. Bei dieser maßvollen Erhöhung der Gewerbesteuer könnten in einem Quartal Mehreinnahmen in ähnlicher Höhe erzielt werden.

Vorlage zur „Haushaltssperre“
Aktuelle Vorlage zur Gewerbesteuer
Ältere Vorlage zur Gewerbesteuer, Dezember 2022 (mit Berechnung von Mehreinnahmen)

Ein Kommentar

  1. Peter Conzelmann

    // am:

    Normalerweise sollte der Finanzhaushalt – also der Teil des Haushalts, der für die Investitionen = alle größeren Ausgaben vorgesehen ist – aus dem Überschuss des für die laufende Verwaltungstätigkeit vorgesehenen Ergebnishaushalts finanziert werden. Das gelingt nur, sofern der Ergebnishaushalt mehr Einnahmen als Ausgaben aufweist und der positive Saldo = Überschuss an den Finanzhaushalt gehen kann. Die an die Kommunen weitergeleiteten Zuwendungen aus dem „Sondervermögen“ des Bundes werden somit diese zwar im investiven Bereich unterstützen können, sie werden einem strukturellen Defizit der Stadt aber im Bereich des Ergebnishaushalts nicht abhelfen. Nach meiner Erfahrung ist in allen deutschen Kommunen in den letzten Jahrzehnten ein immenser Investitionsstau entstanden (über marode Schulen, Brücken, Straßen, Freibäder etc. wurde genug berichtet), sodass auch der Investitions-„Booster“ aus Berlin nicht ausreichen dürfte.

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