Uffruhr ausstellung schussenried

„Uffrur!“ – mit Avataren durch den Bauernkrieg

Von Ralph-Raymond Braun
Uffruhr ausstellung schussenried

Vor 500 Jahren erhoben sich Bäuer:innen und Städter gegen die Ausbeutung der Feudalherren. Die erste Massenbewegung der deutschen Geschichte forderte universale Freiheitsrechte und die Gleichheit aller Menschen. Baden-Württemberg begeht das Jubiläum mit einer mehrteiligen großen Landesausstellung. Unser Autor hat „UFFRUR! Utopie und Widerstand im Bauernkrieg 1524/25“ im Kloster Schussenried besucht.

Nach der erlebnisorientierten Mitmachshow „PROTEST! Von der Wut zur Bewegung“ im Stuttgarter Landesmuseum ist die eher kulturhistorisch konzipierte Ausstellung in Schussenried der zweite Schwerpunkt der Reihe. Parallel dazu gastiert an verschiedenen Orten „UFFRUR! … on the road“ mit Theater, Musik und wiederum Mitmach-Events. 7,1 Millionen Euro kostet das Gesamtprojekt, 2,7 Millionen Euro davon die Ausstellung in Bad Schussenried – finanziert von Land, Bund und weiteren Sponsor:innen.

Warum die Ausstellung ausgerechnet im Kloster Schussenried? War doch das reichsunmittelbare, also nur dem Kaiser unterstellte Chorherrenstift der Prämonstratenser im Bauernkrieg nur ein Schauplatz unter vielen – und blieb trotz Plünderung im Gegensatz zu manchen anderen Klosteranlagen von größeren Zerstörungen verschont. Als landeseigenes Kulturdenkmal wird es heute von der Abteilung Staatliche Schlösser und Gärten des landeseigenen Bau- und Vermögensamts verwaltet. Teile der Anlage werden von Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Südwürttemberg genutzt, die ehemalige Klosterkirche ist nun katholische Pfarrkirche des Städtchens, andere Räumlichkeiten sind, manche sogar als Wohnungen, für diverse Zwecke vermietet.

Bleibt das Neue Kloster, der barocke Konventsbau der Anlage: Neben den Dauerausstellungen zur Geschichte der Reichsabtei und der Schussenrieder Psychiatrie gibt es dort noch reichlich Platz, den das Land seit Längerem für Wechselausstellungen nutzt, so etwa 2003 zur Landesausstellung „Säkularisation“ und 2016 zu „Pfahlbauten“.

„Sie waren dabei!“

Von der Kasse im Eingangsbereich und vielleicht noch einem Abstecher zu den Toiletten und Garderoben geht es über einen breiten, doch unerwartet schmucklosen Treppenaufgang zu den Ausstellungsräumen im Obergeschoss. Dort stellen sich als überlebensgroße Leinwandprojektion acht Zeitzeugen vor („sie waren dabei“), die uns durch die Ausstellung begleiten werden. Sie stehen für die Vielfalt der am Bauernkrieg Beteiligten. 

Am bekanntesten wohl Georg Truchsess von Waldburg, genannt Bauernjörg, Vorfahr eines bis heute in Oberschwaben einflussreichen und steinreichen Adelsgeschlechts und von den Feudalherren mit der Niederschlagung des Aufstands beauftragt. Dann Götz von Berlichingen, der aus der Schullektüre mit dem anrüchigen Schwäbischen Gruß („Er aber, sag’s ihm, er kann mich im Arsche lecken!“) in Erinnerung blieb. Als kriegserfahrener Ritter war er zeitweise Anführer eines Bauernhaufens. 

Weiter Jakob Murer, Abt des Klosters Weißenau, auf den wir weiter unten noch zu sprechen kommen werden. Auch Stefan Rahl, ein gut situierter, gleichwohl leibeigener Bauer und als Anführer der Weißenauer Untertanen Gegenspieler des Abts. Den Laientheologen Sebastian Lotzer kennt man als Verfasser der Zwölf Artikel von Memmingen, dem politischen Programm der Aufständischen. Jörg Ratgeb hat sich einen Namen als Maler gemacht, bevor ihn die württembergischen Bauern zu ihrem Unterhändler wählten und er zur Strafe dafür von der Siegerjustiz gevierteilt wurde.

Überhaupt nur zwei auf Seiten der Aufständischen aktive Frauen sind mit Namen überliefert. Die weibliche Perspektive vermitteln Magdalena Scherer, um 1524/1525 Geschäftsführerin eines Badhauses in Stuttgart. Sie ist auch die Hauptfigur der die Ausstellung begleitenden digitalen Erzählung #LAUTseit1525 auf Instagram. Ihr zur Seite steht Margarete Renner, verwitwete Pächterin eines Hofs, die über Jahre mit dem Heilbronner Rat über Abgaben und Steuern stritt und in den Chroniken der Stadt als derbe Aufwieglerin der Bäuerlichen daherkommt.

Kunstfiguren in glatter Fantasy-Ästhetik

Nicht immer ist das Aussehen dieser Personen bekannt. Und noch weniger, was sie gedacht oder gefühlt haben. Die Ausstellungsmacher:innen bemühen sich aber erst gar nicht um historische Korrektheit und frisieren und kleiden ihre Protagonisten nicht im Stil des frühen 16. Jahrhunderts, lassen sie nicht sprechen, wie man es für Luthers Zeiten erwarten könnte. Stattdessen treten uns durchgestylte Kunstfiguren in glatter Fantasy-Ästhetik gegenüber, nicht von Schauspieler:innen gespielt, sondern in Form von KI-generierten Avataren, die uns in der Umgangssprache heutiger Zeit ansprechen. 

Die Personen sollen „zwischen Vergangenheit, Gegenwart und einer fantastisch-futuristischen Anmutung“ changieren, heißt es im Pressetext. Denn man wolle die Charakteristika der Figuren in für alle Besucher:innen verständlichen Form darstellen. Dazu wurden „die teils spärlichen Informationen […] mit plausiblen Annahmen ergänzt“. Sowieso sei jede Geschichtsdarstellung letztlich Interpretation.

Uffruh ausstellung bauernleben
Die lustigen Bauersleut’: Wie die Herrschenden ihre Leibeigenen sahen

So verschwimmen in den Figuren die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion, verengen so aber den Raum fürs Staunen und Wundern über das Fremde. Doch da sind ja noch die rund 150 Exponate, nämlich Flugschriften, Bücher, Waffen, Gemälde, Skulpturen, Kleidungsstücke und Alltagsgegenstände. Blickfang ist eine „Rüstung für Mann und Ross“ aus der Rüstkammer des Adelsmuseums im Schloss Glatt. Ein solcher frühneuzeitlicher Panzer mag im direkten Gegenüber dem mit Spieß und Kurzschwert bewaffneten Bauern Furcht und Schrecken eingeflößt haben, war den damals schon verbreiteten Feuerwaffen aber nicht mehr gewachsen.

Personalisierung der Klassenverhältnisse

Doch wie sah die Lebensrealität des Landvolks im frühen 16. Jahrhundert aus? Wie schon mit ihren KI-Figuren setzten die Ausstellungsmacher:innen weiter auf Personalisierung der herrschenden Klassenverhältnisse. Da sind Skulpturen und Abbildungen von Bauern, so etwa die vier Holzfiguren der „Abgabenbauern“ aus dem Überlinger Rathaus, die mit ihren Attribute Geldtasche, Sack und Rübe, Kornschütte und Korb mit Gänsen verschiedene Arten von Abgaben symbolisieren – übrigens stets mit fröhlichem Gesicht. 

Der Gegensatz zwischen den einfachen Kleidern der Landleute und dem prächtigen Outfit der städtischen Oberschicht führt die sozialen Unterschiede vor Augen. Neben den Vitrinen mit den Gewändern kann man im Nachdruck des „Klaidungsbuechlin“ blättern, in dem der fuggersche Chefbuchhalter Matthäus Schwarz die Herrenmode seiner Zeit festgehalten hat.

Zahlreiche satirische Druckgrafiken der Zeit, etwa von Albrecht Dürer und Hans Sebald Beham, zeigen das Landvolk als plump und lasterhaft. Eine Radierung von Daniel Hopfer führt es uns als fröhlich feiernde Gemeinschaft vor, die in wildem Treiben den Lastern Völlerei (Trinken), Wollust (Sex) und Zorn (Handgemenge) frönt. Eine Zeichnung von Lukas Cranach d.J. wird jedoch ausnahmsweise als realistisches Bildzeugnis eines Bauern des 16. Jahrhunderts erachtet. 

Die ausgestellten Urbare, Beschwerdebriefe, Urkunden und anderen Schriftquellen dokumentieren die ungleiche Verteilung von Macht und Gütern, die wachsende Belastung der Bäuer:innen im Zangengriff von Grund- und Territorialherren, steigende Abgaben und Frondienste sowie den zunehmenden Zugriff der Herren auf die Allmende und die Beschwernisse der Leibeigenschaft. Doch wer kann diese aus konservatorischen Gründen nur schummrig beleuchteten Dokumente, zumal die Handschriften, heute noch entziffern und verstehen? Hier hätten Übersetzungen der musealen „Flachware“ mehr geholfen als die Avatare.

Die Weißenauer Chronik

Ein Highlight der Ausstellung sind die elf großflächig auf eine Leinwand projizierten Federzeichnungen aus der Weißenauer Chronik, welche die Eskalation des Konflikts und seinen Fortgang rund um das Kloster Weißenau bei Ravensburg zeigen. Begleitet wird die Präsentation vom filmischen Auftritt des Weißenauer Abts Jakob Murer und seines Leibeigenen Stefan Rahl. Die Zeichnungen folgen der Chronologie der Ereignisse. Jakob Murer gab die Chronik schon wenige Wochen nach den Ereignissen in Auftrag, der Zeichner ist unbekannt.

Die wimmelbildartigen Illustrationen bieten mit unzähligen Details auch Einblick in den Alltag der Bäuer:innen. Dargestellt ist unter anderem, wie die Weißenauer Bauern mit ihrem Herrn, dem Abt, verhandeln, einen Ausgleich finden – sich am folgenden Tag aber dann doch dem Baltringer Haufen des rebellierenden Landvolks anschließen. Sie zeigen; wie ihr Anführer Stefan Rahl zu ihnen spricht, wie sie das Kloster plündern und schließlich bei Weingarten den adligen Truppen gegenüberstehen – dann ihre Waffen abgeben und am Ende ihrem Herrn abermals huldigen.

Bevor die baden-württembergische grün-rote Landesregierung 2016 das Thema „Bauernkrieg“ weitgehend aus dem gymnasialen Lehrplan Geschichte strich und allenfalls noch als Anhängsel der Reformation gelten ließ, waren die Bilder der Weißenauer Chronik in den Schulen beliebtes Übungsmaterial zur Quellenkritik. Die übliche Fragestellung: Sind die Zeichnungen neutral oder parteiisch für die eine oder andere Seite in diesem Konflikt?

Diese Frage stellt die Schussenrieder Ausstellung nicht. Sie präsentiert auch nicht den Weingartener Vertrag, also den Friedensschluss zwischen den Aufständischen und dem Adelsheer, auf dem die abschließende Huldigung der Weißenauer Bauern beruhte. Wo man doch allein schon aus der Präambel hätte schließen können, dass dies kein Vertrag unter Gleichen, sondern ein Diktatfrieden war, der die Fortdauer der feudalen Herrschaft zementierte.

Finale

Gegen Ende des Ausstellungsrundgangs werden in einem eigenen Kabinett Knochenteile aus einem Massengrab präsentiert. Sie stammen von Gefallenen, die 1525 bei Leipheim auf Seiten der Bäuer:innen kämpften. Diese erlitten hier eine erste und besonders blutige Niederlage gegen das Heer des Schwäbischen Bunds. Weitere Niederlagen werden folgen, nicht zu reden von der Rache der Sieger. Etwa 70.000 Bäuer:innen verlieren während des Bauernkriegs ihr Leben.

„Werden wir vergessen?“, fragt zum Schluss in einem Video der Schauspieler Herbert Knaup, der hier nicht als Kommissar Kluftinger, sondern in der Rolle eines geschlagenen Bauern auf einem Küchenstuhl sitzend Bilanz zieht. Sein Monolog referiert noch einmal die Mühsal und die Ungerechtigkeiten, die zum Aufstand führten, beklagt das Scheitern der Bewegung und hofft, dass die Opfer nicht umsonst waren.

Immerhin nicht völlig umsonst, meint die neuere Forschung zum Bauernkrieg, und verweist darauf, dass in der Folge in vielen Herrschaften die Pflichten der Untertanen, der Leibeigenen, durch Verträge deutlich gemildert wurden. Manche sehen in dieser zunehmenden Verrechtlichung von Konflikten Ansätze einer Entwicklung zum Rechtsstaat.

Plakat uffrur schussenried

Doch darauf geht die Ausstellung nicht weiter ein und entlässt uns mit Knaups Schlussmonolog. Dieser versöhnt mit den doch etwas nervigen Auftritten der schillernden KI-Avatare. Nicht diese, sondern die eindrucksvollen Fülle interessanter Exponate macht die Ausstellung sehenswert.

„Uffrur!“ im Kloster Schussenried dauert noch bis 5. Oktober, Öffnungszeiten Di–Fr 10-17 Uhr, Sa/So und feiertags 10–18 Uhr, www.bauernkrieg-bw.de

Titelbild: Landesmuseum Württemberg, Jonathan Leliveldt, Mark Damian; Abgabefreudiger Bauer: Jonathan Leliveldt, Alexander Lohmann; Jakob Murer: P. Frankenstein, H. Zwietasch; Bauernfest: Stadtmuseum Kaufbeuren. Alle Pressebilder wurden vom Landesmuseum Württemberg zur Verfügung gestellt.

Mehr zum Thema:

Aufruhr in Hilzingen: Was geht’s uns heute an?
Bumiller: „Der Bauernkrieg im Hegau“
Bauernkrieg 1525: Die Revolution der kleinen Leute
Bauern, Bürger, Ritter – Unruhen und Aufstände als Vorboten des Bürgerkriegs
Ressourcenkonflikte vor 500 Jahren: der Bauernkrieg 1525
Krieg den Höfen, Friede den Burgen?
Protestaktion für die Abschaffung des Adels
Der Bauernkrieg 1525: Eine Katastrophe bis heute

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert