
Es dauerte nur wenige Sekunden, dann hatte eine enorme Druck- und Hitzewelle von 6000 Grad Celsius die Stadt zerstört und 100.000 Menschen getötet. Drei Tage später folgte der nächste Atomschlag der US Army Air Force. Was vor 80 Jahren in Hiroshima und Nagasaki geschah, bewegt heute noch viele – auch in Konstanz. Weil die Gefahr eines Atomkriegs so groß ist wie schon lange nicht mehr.
Es kamen mehr, als viele erwartet hatten: Rund hundert Menschen hatten sich Mitte vergangenen Woche auf dem Konstanzer Münsterplatz versammelt, um an eine menschengemachte Katastrophe zu erinnern – den Atombombenabwurf auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Dass sich im Vergleich zu früheren Gedenken an dieses Ereignis so viele Bürger:innen trafen, hat auch mit der aktuellen Stimmung im Land zu tun: Der von den Regierungsparteien propagierten Kriegsertüchtigung, den vielen Milliarden, die zusätzlich in die Rüstung fließen sollen, die Weigerung der deutschen Regierung, den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterschreiben.

Und mit der Angst, dass die aktuellen Konflikte in der Ukraine und Gaza mitsamt den größenwahnsinnigen Politikern kriegsentscheidender Staaten die Menschheit in einen dritten Weltkrieg treiben könnten. Davor warnten auch die vielen Redner:innen auf dem Münsterplatz.
Franz Segbers zum Beispiel hob hervor, dass die Bombenabwürfe kurz vor der Kapitulation der japanischen Militärs eine „eklatante Missachtung des Völkerrechts“ waren und dass es wieder normal geworden sei, sich „mit wechselseitigem Völkermord durch Atombomben zu drohen“ (seine Rede ist hier nachzulesen). Mike Schluroff von der Konstanzer Friedensinitiative erinnerte daran, dass es während es Kalten Kriegs zwischen den USA und der Sowjetunion über ein Dutzend äußerst kritischer Vorkommnisse gab, bei denen oft erst in letzter Minute ein Atomschlag der einen oder anderen Seite hatte verhindert werden können.

Gisela Kusche (Grüne) und Zahide Sarikas (SPD) schilderten die Hölle, durch die die Menschen vor achtzig Jahren gegangen waren. Nie wieder darf so etwas passieren, sagten sie. Lars Hofmann (Landtagskandidat der Partei Die Linke) kritisierte, dass weiterhin US-Atomwaffen in Deutschland liegen und nun auch noch mit deutschen F-35-Kampfbombern einsatzfähig gemacht werden sollen (die Rede ist hier nachzulesen).
Es geht ums Überleben, das betonten auch Dietmar Messmer von Klar! e.V. und Carsten Trost vom Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel, die die Veranstaltung organisiert hatten.
Hier zwei der Reden – von Amnesty International und der Linksjugend ’solid –, die auf der Konstanzer Gedenkversammlung gehalten wurden:
„Nie wieder“ ist nicht selbst verständlich, es ist harte Arbeit
„Nun bin ich zum Tod geworden, dem Zerstörer der Welten“. Diese Erkenntnis äußerte Robert Oppenheimer, nachdem der Bau der Atombombe fertiggestellt war.
Heute vor 80 Jahren, in den Morgenstunden des 6. August 1945, wurde über Hiroshima eine US-amerikanische Atombombe abgeworfen. Nur wenige Tage später, am 9. August, eine weitere über Nagasaki. Es war das erste Mal in der Geschichte, dass Atomwaffen im Krieg eingesetzt wurden. Am Boden entstand unermessliches Leid, dabei ist der militärische Nutzen bis heute höchst umstritten. Ein Kriegsverbrechen, wie es zuvor nicht stattgefunden hat. Über 200.000 Menschen kamen durch die Bomben ums Leben, dazu kommen die Folgen der Verstrahlung für Mensch und Umwelt in den Jahrzehnten die folgten. Die Folgen sind in Japan bis heute zu spüren und werden es noch für eine lange Zeit sein.
Nach den Abwürfen veränderte sich etwas in der Geschichte der Menschheit. Die Atombombe wurde spätestens damit zu dem großen Abschreckungsfaktor vor einem weiteren Weltkrieg. Die Welt sah mit an, was eine solche Massenvernichtungswaffe ausrichtet. Ironischerweise wurde die Atombombe damals zu einer Art Friedenssymbol verklärt, da sie einen globalen Krieg verhindert habe. Ein Trugschluss. Frieden kann nicht auf gegenseitiger Abschreckung beruhen und mittels Aufrüsten aufrechterhalten werden.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat es folgendermaßen formuliert: „Der einzige Weg nach vorn ist die Diplomatie. Die einzige Hoffnung ist Frieden.“
Laut dem schwedischen Friedensforschungsinstitut Sipri stehen wir zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder vor der Aussicht, dass die Zahl der Atomwaffen auf der Erde steigen könnte. Die nuklearen Waffen, die wir heute auf der Welt haben, bergen eine bis zu 80 mal höhere Sprengkraft. Diese Aussicht können wir gerade jetzt, da sich Hiroshima zum 80. Mal jährt, nicht hinnehmen. Die globale Politik muss weiterhin die Abrüstung als grundlegendes Ziel verfolgen.
Dass der Atomwaffensperrvertrag sowie der Atomwaffenverbotsvertrag weiterhin Gültigkeit bewahren und diese verteidigt werden müssen, steht außer Frage. Der Atomwaffenverbotsvertrag von 2021 wurde bis heute von keiner Atommacht und keinem NATO-Staat unterschrieben. Dies muss sich ändern!
Das iranische Regime verstößt mit seiner Urananreicherung und seinem Atomprogramm gegen eben diesen Sperrvertrag. Dies ist seit Jahren bekannt und darf nicht akzeptiert werden.
Ein mutmaßlicher Fortschritt im iranischen Atomprogramm rechtfertigt jedoch in keinster Weise einen militärischen, völkerrechtswidrigen Angriff. Bei den Attacken Israels und den USA starben hunderte Zivilist:innen. Wo die Atomwaffe im letzten Jahrhundert als die größte Abschreckung galt, darf sie jetzt nicht zur Rechtfertigung werden für weiteres Leid und den Tod Unschuldiger. „Frieden durch Stärke“, wie Netanjahu es nennt, darf niemals die Lösung sein! Israel selbst hat den Atomwaffensperrvertrag nie unterzeichnet und gilt global unbestritten als Atommacht.

Wir sind heute hier versammelt, weil wir wissen, wie wichtig Erinnerungskultur ist. Die letzten Zeitzeug:innen sind über 80 Jahre alt, was heißt, dass es heute umso wichtiger ist, dass Erinnerung auch über Generationen hinweg aufrechterhalten wird. Auch zu dem Zeitpunkt, an dem es keine Zeitzeug:innen mehr geben wird, ist es umso wichtiger, dass wir als Zivilgesellschaft weltweit daran erinnern, was für ein unendliches Leid der zweite Weltkrieg und die Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki verursacht haben.
Gerade heute. Heute werden in den USA Bilder des Flugzeuges vernichtet, das die Bombe über Hiroshima abwarf. Der Grund: das Flugzeug war auf den Namen „Enola Gay“ getauft. Das Beispiel macht deutlich, dass Erinnerung nicht bloße dokumentarische Information sein darf.
Erinnerungskultur heißt Geschichte bewahren und aus ihr lernen. Das heißt: aktiv hinsehen. Sehen wir aktiv nach Gaza, aktiv in den Sudan, aktiv in den Iran und auch aktiv in die zunehmende Demokratiefeindlichkeit in Europa!
Ein „Nie wieder“ ist nicht selbst verständlich, es ist harte Arbeit. Es wäre eine fatale Illusion davon auszugehen, dass im Krieg ein gewisser Grad an Verbrechen gegen die Menschlichkeit akzeptiert werden kann. Die einzige Schwelle, die wir akzeptieren, liegt bei Null! Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, die Atommächte dieser Welt zur Abrüstung zu zwingen und dafür zu sorgen, dass keine dieser Bomben jemals wieder militärisch zum Einsatz kommt.
Menschen haben Rechte und Menschenrechte brauchen aktiven Schutz.
Von uns allen!
Text: Lena Schulz, Annalena Riemer, Hanna Adler, Mark Schoder von Amnesty International
„Frieden durch Stärke“ ist nur die Vorbereitung auf den nächsten Krieg
Ich stehe heute hier nicht als Experte, sondern als junger Mensch. Als jemand, der glaubt, dass Erinnerung politisch ist – und dass Frieden nicht vom Himmel fällt.
Wir stehen heute hier 80 Jahre nach dem ersten Atombombenabwurf der Menschheitsgeschichte und erinnern an das Unvorstellbare. Am 6. und 9. August 1945 wurden die Städte Hiroshima und Nagasaki in Sekundenbruchteilen dem Erdboden gleichgemacht. Mehr als 200.000 Menschen verloren ihr Leben, viele sofort, viele durch die grausamen Spätfolgen. Es waren keine Soldaten. Es waren Zivilist:innen, es waren Kinder, es waren Mütter und Großeltern. Menschen mit Hoffnungen, mit Träumen, mit dem ganzen Leben noch vor sich.
Ich bin jung, ich gehöre zu einer Generation, die diese Ereignisse nur aus dem Geschichtsunterricht kennt, und doch fühlt sie sich auf beängstigende Weise wieder aktuell an. Ich bin in einer Welt aufgewachsen, in der nukleare Abrüstung der Weg sein sollte. Eine Welt, in der die Schrecken von Hiroshima und Nagasaki uns hätten lehren sollen: Nie wieder!

Und doch sehe ich heute ein neues Wettrüsten. „Frieden durch Stärke“ nennen sie das – doch was sie Stärke nennen, ist nur die Vorbereitung auf den nächsten Krieg, auf die nächsten toten Kinder und das nächste Vergehen an der Menschheit. Vergessen wir so schnell? Staaten wie Russland, China, die USA aber auch Europa geben das Geld der Krankenhäuser und Schulen zu Rüstungskonzernen, und es werden neue Milliarden in Waffen gesteckt. Deutschland diskutiert plötzlich über nukleare Teilhabe. Es wird darüber geredet, ob „unsere“ Atomwaffen nicht moderner, effizienter und „einsatzfähiger“ sein sollten. Das ist Wahnsinn. Eine Waffe entschärft man nicht, indem man sie entsichert. Lernen wir denn überhaupt aus der Geschichte, wenn wir heute dieselben Fehler wiederholen?
Die Geschichte Hiroshima und Nagasaki ist keine ferne Erzählung aus einem längst vergangenen Krieg. Sie ist ein Mahnmal. Eine brennende Erinnerung daran, wie zerstörerisch unsere Technologien sein können, wenn wir sie in die Hände von Menschen legen, die Macht und Profit über Menschlichkeit stellen.
Ich bin jung. Ich habe mein Leben noch vor mir. Und ich frage mich. „Was passiert, wenn wieder jemand den Knopf drückt?“ Wer wird dann verstrahlt, wer leidet, wer stirbt, wer erinnert? Es werden nicht die sein, die heute in Regierungsbüros sitzen, Waffen exportieren oder an der Rüstung verdienen. Es wird meine Generation sein und die nach mir. Wir sind es, die die Zukunft erben. Und wir sind es, die die Folgen tragen müssen. Ich sage klar: Sicherheit kommt nicht durch Aufrüstung. Sicherheit kommt durch Abrüstung, durch Diplomatie, durch internationale Solidarität.

Es ist unsere Aufgabe, diese Geschichte zu bewahren, nicht als Symbol für technischen Fortschritt, sondern als Symbol des menschlichen Versagens. Und es ist unsere Pflicht, daraus Konsequenzen zu ziehen. Politisch, gesellschaftlich, global.
Wir dürfen nicht zulassen, dass Hiroshima und Nagasaki nur noch ein Kapitel im Geschichtsbuch sind, das nach dem Test vergessen wird! Sie müssen eine Warnung bleiben: laut, unbequem und unvergessen. Ich wünsche mir… nein es muss eine Zukunft ohne Atomwaffen geben. Ohne Kriege. Ohne die Angst, bald am eigenen Leib Hiroshima und Nagasaki neu zu erleben. Eine Zukunft, in der Kinder nicht lernen, wo der nächste Bunker ist, sondern in der junge Menschen Pläne machen können für ein Leben in Frieden, in Gerechtigkeit, in Freiheit.
Lasst uns gemeinsam dafür kämpfen.
Nie wieder Hiroshima. Nie wieder Nagasaki.
Nie wieder Krieg.
Text: Amelie Mandausch und Tim Schreiter von der Linksjugend ’solid Konstanz
Fotos von der Konstanzer Hiroshima-Kundgebung: Pit Wuhrer. Historische Bilder Wikipedia
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