Butterwegge freieverwendung

„Ich bin für die Butter statt für die Kanonen“ (Teil 2)

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Ein Interview mit Christoph Butterwegge über den Zusammenhang von Hochrüstung, Ungleichheit und Sozialabbau. Der renommierte „Armutsforscher“ und profilierte Politikwissenschaftler kommt zu zwei Vorträgen nach Konstanz und Singen, die sich mit den möglichen sozialen Folgen der sogenannten Zeitenwende befassen.

Teil 2/2, Teil 1 kann hier aufgerufen werden.

seemoz: Welche Rolle spielt die bisherige und zukünftige deutsche Steuerpolitik für die wachsende Ungleichheit in Deutschland (z. B. keine Vermögensteuer seit 1997, niedrige Spitzensteuersätze und ein Erbschaftssteuerrecht, das den Superreichen nutzt)?

Die wachsende soziale Ungleichheit ist das Kardinalproblem der Gegenwart, weil sie zu ökonomischen Krisen, ökologischen Katastrophen sowie Kriegen und Bürgerkriegen führt. Zu der sich immer mehr vertiefenden Kluft zwischen Arm und Reich hat die Steuerpolitik unterschiedlich zusammengesetzter Bundesregierungen maßgeblich beigetragen. Seit dem Aufschwung des Neoliberalismus in den 1980er-Jahren folgt sie tendenziell dem Matthäus-Prinzip, heißt es doch in dem Buch dieses Evangelisten sinngemäß: Wer hat, dem wird gegeben, und wer nicht viel hat, dem wird auch das noch genommen.

Einerseits schaffte man alle Besitz-, Kapital- und Gewinnsteuern, die es hierzulande gab, in den vergangenen Jahrzehnten entweder wie die Börsenumsatz- und die Gewerbekapitalsteuer ab, erhob sie wie die Vermögensteuer seit 1997 einfach nicht mehr, weichte sie wie die Erbschaftsteuer durch Firmenerb:innen privilegierende Sonderregelungen nach und nach auf oder beraubte sie wie die Einkommen-, die Kapitalertrag- und die Körperschaftsteuer durch Senkung des jeweiligen (Spitzen-)Steuersatzes ihrer redistributiven Wirksamkeit.

Andererseits wurde die Arme und Geringverdienende am härtesten treffende Steuerart – die zum 1. Januar 1968 als Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug und einem Normalsteuersatz von 10 Prozent eingeführte Mehrwertsteuer – wiederholt angehoben, zuletzt am 1. Januar 2007 unter Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Finanzminister Peer Steinbrück von 16 auf 19 Prozent.

Weil die soziale Ungleichheit durch solche parlamentarischen (Fehl-)Entscheidungen zugunsten der Wohlhabenden, Reichen und Hyperreichen verschärft worden ist, besteht freilich auch die Möglichkeit, sie durch staatliche Eingriffe zugunsten der Armen und eines sozialen Ausgleichs zu verringern.
 
seemoz: Was schlagen Sie vor, damit sich die Schere zwischen Arm und Reich nicht immer weiter öffnet?

Weil das Vermögen den Kern des Reichtums bildet, ist seine jährliche Besteuerung ein Schlüssel zur Verringerung der sozialen Ungleichheit. Ansetzen muss die Rückverteilung des Reichtums bei den großen Vermögen, weil diese und nicht – wie in der Medienöffentlichkeit teilweise suggeriert – sehr hohe Einkommen für ihn konstitutiv sind. Denn die Einkommensquellen vieler Menschen können über Nacht versiegen, wie die Covid-19-Pandemie mit dem ersten bundesweiten Lockdown im März 2020 gezeigt hat, große Vermögen aber nicht urplötzlich verschwinden.

Vordringlich ist die Wiedererhebung der Vermögensteuer, welche nicht bloß mehr Steuergerechtigkeit ermöglichen, sondern auch die Länder finanziell handlungsfähiger machen würde. Die Karlsruher Richter hatten 1995 nicht etwa – wie von interessierter Seite gern behauptet – das Vermögensteuergesetz als solches für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, sondern nur moniert, dass für Grundbesitz der – seit 1964 in Westdeutschland bzw. seit 1935 in Ostdeutschland trotz seiner Fortentwicklung nicht mehr angepasste – Einheitswert, für sonstiges Vermögen hingegen der Gegenwartswert als Bemessungsgrundlage zugrundegelegt wurde.

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Dadurch war zwar der Gleichheitsgrundsatz verletzt, die bis heute in der Verfassung (Art. 106 Abs. 2 GG) stehende Vermögensteuer aber keineswegs hinfällig geworden. Vielmehr räumten die Karlsruher Richter dem Gesetzgeber eine Nachbesserungsfrist bis zum 31. Dezember 1996 ein, die er mit seiner damals schwarz-gelben Mehrheit allerdings bewusst verstreichen ließ, um sich auf diese Weise der nur Reiche treffenden Steuerart zu entledigen.

Kaum etwas widerspricht dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden so stark wie die schärfere Besteuerung von Arbeitseinkommen als von Kapitalerträgen. Daher gehört die Abschaffung der Kapitalertragsteuer und ihre Reintegration in die normale Einkommensteuer ganz oben auf die steuerpolitische Agenda. Wieso die einfachste und bequemste Möglichkeit für Wohlhabende und Reiche, viel Geld zu verdienen, nämlich durch den Kauf bzw. Verkauf festverzinslicher Wertpapiere und von Aktien, mit dem niedrigsten Steuersatz (25 Prozent) begünstigt, um nicht zu sagen: belohnt wird, ist weder einzusehen noch länger hinzunehmen. Außerdem gilt für Kapitalbesitzer:innen, Börsianer:innen und Finanzspekulant:innen ein weitgehendes Bankgeheimnis, das für Transferleistungsbezieher:innen abgeschafft worden ist.

Flankiert werden müssten diese Reformpläne durch einen progressiver verlaufenden Einkommensteuertarif mit einem höheren Spitzensteuersatz. Millioneneinkommen, die kein Mensch braucht, um ein komfortables Leben zu führen, sollten deutlich höher besteuert werden als „normale“ und hohe Einkommen, die zwar den Lebensunterhalt (einer Familie) sichern, aber keinen Luxus ermöglichen. Wer ein zu versteuerndes Jahreseinkommen von über 1 Million Euro hat, kann für diese Summe übersteigende Beträge problemlos 60 Prozent Steuern zahlen.

Wer ein noch deutlich höheres Jahreseinkommen (über 1,5 Millionen oder 2 Millionen Euro) hat, sollte in der Spitze mit 75 Prozent besteuert werden. Denn das bedeutet in unserem linear-progressiven Steuersystem ja nicht, dass er durch eine konfiskatorisch wirkende Millionärssteuer den größten Teil seines Einkommens an den Staat abtreten muss, sondern nur, dass er für den 1 Million Euro überschreitenden Betrag eine so hohe Steuer entrichten muss.

Firmenerb:innen müssen in Zukunft genauso behandelt werden wie die Erb:innen anderer beträchtlicher Vermögenswerte. Warum sollte das Kind eines Großunternehmers, der in Griechenland, Russland oder der Ukraine als Oligarch bezeichnet würde, im Erbfall gegenüber dem Kind eines Großgrundbesitzers, eines Bankiers oder einer Finanzinvestorin steuerlich privilegiert werden?
 
seemoz: Leben wir in Deutschland überhaupt noch in einer „Sozialen Marktwirtschaft“?

„Soziale Marktwirtschaft“ war das die gesamte Bevölkerung ansprechende Wohlstandsversprechen, mit dem Ludwig Erhard und die Unionsparteien in den 1950er- und 1960er-Jahren große Wahlerfolge feierten. Heute handelt es sich eher um einen Kosenamen für den Finanzmarktkapitalismus. Zwar steht der Markt und nicht der Mensch im Mittelpunkt der Regierungspolitik, die Konzentration und Zentralisation des Kapitals verhindern aber, dass zwischen den Marktsubjekten überhaupt ernsthafte Konkurrenz herrscht. Außerdem verliert das Soziale unter der neuen CDU/CSU/SPD-Koalition mit Friedrich Merz und Lars Klingbeil an der Spitze immer mehr an Bedeutung.

Die Veranstaltungen „Von der militär- zur sozialpolitischen Zeitenwende. Wer zahlt für die Aufrüstung?“ mit Christoph Butterwegge finden am 23. Juli um 19:00 Uhr im Konstanzer Astoriasaal und am 24. Juli um 19:00 Uhr im Bildungszentrum Singen statt.

Die Fragen stellte Anke Schwede, Bild: Christoph Butterwegge (frei verwendbar). Siehe auch Teil 1 und „Umverteilung des Reichtums“.

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